Jerusalem [1]

[478] Jerusalem, d.h. Friedensstadt, von den Orientalen Soliman, auch el Kods d.h. die heilige genannt, einst der religiös-politische Einheitspunkt des israelitischen Volkes. seit Konstantins d. Gr. Zeit der erste Wallfahrtsort der Christenheit. noch gegenwärtig die Hauptstadt von Palästina, zählt etwa 20000 E., worunter nahezu die Hälfte Mohammedaner, 1/3 Christen (unirte und nichtunirte Griechen, Katholiken, Armenier, Kopten u.s.w.), der Rest aber Juden sind. Die Bevölkerung lebt theilweise vom Besuch der Pilgrime, deren um Ostern jährlich 4–5000 hier zusammenströmen, sowie vom Handel (es ist in J. ein Bazar) und Gewerbe, Oelbaumzucht. Feldbau. J., wohin gegenwärtig kein ordentlicher Feldweg geschweige eine Straße führt, liegt so ziemlich in der Mitte von Palästina, 2200' über dem Meere auf und zwischen [478] 3 Hügeln und bietet von Außen einen imposanten Anblick dar, indem über der 1542 von Sultan Soliman erbauten 40' hohen Ringmauer sich 120' hohe Thürme, dazu viele Kirchenkuppeln und Minarets erheben und die Stadt auf schroffen Abhängen, obwohl von kahlen Bergen ringsum überragt, sich erhebt. J. hat 7 Thore, darunter ein wegen einer türk. Weissagung zugemauertes; der Schmerzensweg. via dolorosa, führt mitten durch die Stadt, vom Stephansthore an, beim Teiche Bethesda vorüber bis zur Heiliggrabkirche, gerade eine Viertelmeile. Man sieht viele elende Hütten, Schmutz u. Trümmer, dazwischen aber auch prachtvolle Kirchen, Klöster, Moscheen u.a. Gebäude. Wir nennen die Kirche des hl. Grabes mit den hl. Leidensorten, das Franciskanerkloster, das armenische Kloster auf dem Berg Zion mit 1000 Zimmern für Pilgrime, das Kloster und 13 Kirchen der Griechen, unter den 11 Moscheen die große Moschee Omars, welche auf der Stätte des alten jüdischen Tempels im 7. Jahrh. n. Chr. erbaut wurde und den Mohammedanern als ein Heiligthum gilt, weil Abraham auf einem in der Moschee befindlichen Felsen den Isaak geopfert haben und Mohammed in einer Höhle des Felsens dereinst das Weltgericht halten soll. Zugleich ist ein Springbrunnen im Vorhofe dieser Moschee der einzige Platz in J., wo man lebendiges Wasser findet. Oestlich von J. liegt der Oelberg 2556' über dem Mittelmeere mit herrlicher Fernsicht, südlich Bethlehem. – Geschichte. J. ist das uralte Jebus, das bei der Theilung nach Josues Einzug in Kanaan dem Stamme Benjamin zufiel. Zur Zeit als David es eroberte, war es im Besitze der Jebusiter; er machte es zur Residenz und baute an der nordwestl. Ecke des Berges Zion die Burg Millo (die Davidsstadt), Salomo aber, der die Verschönerungen und Befestigungen fortsetzte, auf dem Hügel Moriah seinen Tempel. Seit der Trennung des Reiches unter Roboam erfuhr J. traurige Schicksale; der Aegyptier Sisack. der israel. König Joas, der Assyrer Asarrhadon und der Aegyptier Necho zogen nach einander als Eroberer in J. ein. welches durch Nebukadnezar 606 v. Chr. sammt dem Tempel von Grund aus zerstört wurde. Nach dem 70jährigen babylonischen Exil (s. d.) baute Zorobabel Stadt u. Tempel wieder auf. allein jene wollte nicht volkreich werden, dieser ließ sich mit dem salomonischen kaum vergleichen. Der pers. Herrschaft folgte die syrische; Antiochus Epiphanes plünderte den Tempel, stellte die Bildsäule des olympischen Zeus hinein und die Syrer fuhren so lange im Bau von Festungswerken und mit gewaltthätiger Proselytenmacherei für ihr Heidenthum fort, bis die Makkabäer sich erhoben. Judas stellte im Tempel den Jehovadienst (daher Fest der Tempelweihe). Jonathan die Mauern der Stadt wieder her, Simon vollendete die Vertreibung der Syrer. Streitigkeiten um die Herrschaft um 63 v. Chr. bewirkten, daß Pompejus J. eroberte, das Gleiche geschah durch Herodes d. Gr. (s. Herodes), der aber die Verwüstungen durch den Bau neuer Festungswerke u. prachtvoller Gebäude gutmachte, worin seine Söhne. Agrippa I. und II., in seine Fußtapfen traten. Die Belagerung und Zerstörung J.s durch Vespasian und Titus (71 n. Chr.), ist in ihren schauerlichen Einzelheiten von Josephus Flavius (s. d.) beschrieben und noch heute sprichwörtlich. Der Aufstand des Bar-Kochba (127–135 n. Chr.), welcher alle Nichtjuden aus Palästina vertreiben wollte, führte den Hadrianus (s. d.) zu grausamen Maßregeln. Aus der von ihm erbauten u. durchweg mit Nichtjuden bevölkerten Stadt Aelia Capitolina wurde allmälig das jetzige J., der Streit über die wahre Lage der hl. Stätten erst in neuester Zeit durch Sepp und Schaffter dahin entschieden, daß mindestens das hl. Grab und Golgatha am rechten Orte gesucht werden. Kaiser Konstantin d. Gr. baute die Auferstehungskirche. seine Mutter Helena Kirchen auf dem Oelberg und in Bethlehem; Julianus Apostata versuchte umsonst. den jüdischen Tempel dem Willen Gottes entgegen wieder herzustellen, dafür baute Justinian 550 die prächtige Kirche der [479] hl. Jungfrau u.a.m. Der Neuperser Chosroës II. plünderte J. u. soll namentlich mit Beihilfe der Juden 36000 od. gar 90000 Christen ermordet haben. doch 628 brachte Heraklius das von Chosroës geraubte hl. Kreuz wieder nach J. zurück. Kurz darauf (638) mußte sich J. an den Chalifen Omar ergeben; die noch vorhandene Kapitulationsurkunde gewährte den Christen übrigens sehr günstige Bedingungen. ihre Lage blieb erträglich u. der Weg nach J. den Wallfahrern offen. Harun al Raschid sandte sogar an Karl d. Gr. die Schlüssel zu den Thoren u. Kirchen. wohin Karl viele Stiftungen machte. Große Drangsale kamen nach der Zertrümmerung des Chalifates durch die seldschukkischen Türken über die Christen, als kräftige Antwort aus dem Abendlande die Kreuzzüge. Durch die Kreuzfahrer, welche am 15. Juli 1099 J. eroberten, entstand und blühte das Königreich J., dessen Mittelpunkt die Stadt J. selbst wurde, in welcher die Orden der Johanniter u. Tempelherren aufblühten. Unter den Königen von J. war nach Gottfried v. Bouillon (s. d.), dem zunächst Balduin I. (1100–18), Balduin II. (1118–31) u. Fulko von Anjou (1131–42) folgten, Balduin III. (s. Balduin). 1143–62. der tüchtigste. Seine Nachfolger wußten den Hader der verschiedenen Nationalitäten, von denen jede die vorherrschende sein wollte, nicht zu beherrschen, im Abendlande kühlte sich der Eifer für die Kreuzfahrten allmälig ab. Nachdem 1187 J. in Saladins Hände gefallen war, vertauschte Guido von Lusignan (s. d.) 1190 die Rolle eines Königs von J. mit der eines Königs von Cypern. Richard Löwenherz gab das Königreich J. an Heinrich von Champagne (1190–96), aber unter ihm u. seinen Nachfolgern Amalrich II. von Cypern und Johann von Brienne nahmen die Saracenen eine Besitzung nach der andern weg. Kaiser Friedrich II. gewann 1229 J. wieder, aber durch Unterhandlungen u. als der König von Navarra u. der Herzog von Bretagne seinen Waffenstillstand brachen, zerstörte der ägyptische Sultan mit chowaresmischen Türken J. u. schlug am 18. Oktbr. 1244 bei Gaza die Kreuzfahrer bis zur Vernichtung. Das ganze Königreich J. beschränkte sich bald nur noch auf das feste Ptolemais u. 1292 ging auch dies verloren, Papst und Concilien ermahnten fortan vergeblich zum Kampfe gegen die Türken, nur den Titel des Königs von J. führten die deutschen Kaiser u.a. Fürsten fort. J. kam 1382 an die Mamelucken. 1517 an die Pforte. 1833 an Mehemed Ali. 1840 wiederum an die Pforte, welche einen Pascha hineinsetzte. J., der Sitz eines kathol. Patriarchen, wurde 1841 Sitz eines protest. Bischofs, 1845 eines griech. Patriarchen und 1851 ein protestant. Diakonissenhaus daselbst errichtet. Für Herbeiführung des gegenwärtigen Krieges zwischen Rußland einerseits, der Türkei und ihren Verbündeten anderseits hat der alte Streit über die hl. Orte in J. der Diplomatie Vorwände herleihen müssen. – Vergl. die Werke des Amerikaners Robinson über Palästina (Palästina, deutsch in Halle 1841–43, 3 B.; Neue Untersuchungen über die Topographie J.s, Halle 1847), Dr. Sepp: Forschungen eines teutschen Reisenden in Jerusalem (im 19. B. der historisch-polit. Blätter), die Reisebeschreibungen von Schubert, Sieber, Berggren, Geramb; Abbé Dupuis: histoire et plan de Jérusalem et de ses faubourgs, Brux. 1844; Ritters Erdkunde im 16. Band.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 478-480.
Lizenz:
Faksimiles:
478 | 479 | 480
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon