Amerikanische Bauweise

[173] Amerikanische Bauweise (Vereinigte Staaten von Nordamerika), zeigt im allgemeinen eine Anlehnung an die stammverwandten englischen Verhältnisse, im einzelnen aber vielfach eigenartige Ausbildungsweisen, die sich aus der kulturellen Entwicklung und örtlichen Verhältnissen ergeben.

In einem Lande, das erst vor 300 Jahren der Kultur erschlossen worden und, von ungeheuern Wäldern bedeckt, in den beiden ersten Jahrhunderten nur wenig an Bevölkerung zugenommen hat, mußte von Beginn an das Holz mit seinen vielen Vorzügen als Hauptbaustoff dienen, so daß es bis auf den heutigen Tag für den größten Teil des weiten Landes, von den kleineren Ansiedlungen bis zu den Städten, sowie auch für die großen Vorstädte der Handelsplätze fast ausschließlich den Baustoff für die sämtlichen Teile der Häuser bildet. Aus Holz sind die äußeren Fachwerkwände ohne eine Ausmauerung, alle inneren Wände (die Feuerwände ausgenommen), die Wandbekleidungen, außen wie innen, die Fußboden, Decken und Dacheindeckungen, letztere in Form von Schindeln, manchmal durch Schiefer ersetzt. Bei der Zusammenfügung gelten aber nicht die alten Verbindungsweisen der europäischen Zimmerleute, vielmehr sind alle Hölzer nur zusammengenagelt. Der Amerikaner baut sein Framehouse (Fig. 1) als ein leichtes Gerippe, wobei die Eck- und Wandpfosten als die stärksten 10 × 20 cm messen und an den Winkeln mit Bügen oder Kopfbändern verbunden sind; die Zwischenpfosten, 10/10 cm stark, stehen in kleinen Abständen ohne Ausriegelung. Die innere Wandfläche bildet eine Belattung mit Verputz, die äußere eine überfalzte Brettschalung, mit Schindeln oder Schiefer bekleidet. Die Decken bestehen nicht aus Balken, vielmehr aus hochkantig gestellten Bohlen in Weiten von 40 cm, alle 2,0–2,5 m mit Kreuzhölzern verspannt, ohne alle Zwischenfüllung. – Die Güte der Bauhölzer sowie die klimatischen Verhältnisse verbürgen eine lange Dauer, wenigstens ist Fäulnis vollkommen ausgeschlossen. Dagegen werden die leicht gebauten Häuser oft von heftigen Stürmen (Zyklons) Förmlich weggefegt, oder sie werden eine Beute des Feuers, dessen rasches Umsichgreifen durch die Hohlräume in Decken und Wänden sehr begünstigt wird, in solcher Weise, daß sehr oft Menschenleben zum Opfer fallen. Zu Anfang der siebziger Jahre fanden große Brände statt, die erstaunliche Zahlen ergaben. In Chicago brannten innerhalb 3 Tagen (vom 8.–10. Oktober 1871) 17000 Häuser im Werte von 190 Millionen Dollars ab, und gingen 200 Menschenleben verloren. In Boston sind vom 9. bis 11. November 1872 Gebäude abgebrannt im Werte von 80 Millionen Dollars. Solche Opfer haben in der Folge dazu geführt, daß innerhalb der großen Städte die Handelshäuser, Warenmagazine, überhaupt alle Gebäude,[173] die vor Brandgefahr zu schützen sind, so auch die von der obersten Baubehörde (Supervising Architecte of Treasury) in dem Gebiete der Vereinigten Staaten erbauten Gerichtshöfe und Postämter [1] in Stein und andern feuersicheren Konstruktionen erbaut wurden.

Das Land ist überreich an natürlichen Steinen. Für Quaderbauten fehlt es nicht an schönem Granit, Marmor und andern Kalksteinen und Sandsteinen in den verschiedensten Farben, die bellen Steine zu den niedersten Preisen; denn der Betrieb in den Steinbrüchen ist hochentwickelt, sinnreiche Bohr- und Sägemaschinen erleichtern die Gewinnung und Bearbeitung, ebenso die weitverzweigten Kanäle die Beifuhr u.s.w. Die Werkleute sind in der Bearbeitung der Steine geschickt und huldigen strengeren Anschauungen, als dies bei uns z.B. am Rhein und Main, dem Lande der Hausteine, der Fall ist. Beschädigte Kanten und Ecken werden nicht geduldet, unsaubere Fugen kommen selten oder nie vor. Im ganzen ist die Behandlung der Hausteine frei, malerisch und markig; die Bossen bald seiner, bald größer, die Lagerfugen auf 2,8 m gebrochen, die Schichten also nicht durchgehend, eine Behandlung, wie sie besonders von Architekt Henry Richardson in Boston († 1888), einem der berühmtesten Architekten der Vereinigten Staaten, in feingefühlter Weise geübt wurde.

Die Backsteine sind wegen ihrer kleinen Abmessungen gut durchgebrannt und fest, etwa von der Güte der deutschen Steine; auch gute Verblender von verschiedenen Abtönungen kommen in den Großstädten zur Anwendung. Dagegen ist im allgemeinen der Verband kein guter zu nennen, indem nur alle 5–6 Schichten eine Binderschichte durchgeht; dazwischen liegen Läufer mit Hinterfüllung (Fig. 2). Gewölbte Deckenbildungen sind selten; nur in einigen der größten Staatsbauten oder Kirchen sind solche ausgeführt. Dagegen ist die Herstellung von Hohlsteinen sehr entwickelt, sowohl für Scheidemauern, als für Ausführung von feuersicheren Decken, besonders zur Umhüllung von eisernen Stützen und Tragbalken u.s.w. Auf die Erfahrung gegründet, daß das Gußeisen im brennenden Gebäude bei rascher Abkühlung zerspringt, das Walzeisen aber sich ausbiegt und dadurch große Zerstörungen entstehen, beruht die amerikanische Erfindung der Ummantelung des Eisens. Es besteht dort die Wight Company, die sich damit befaßt, ihre patentierte feuersichere Konstruktion [2] im Lande zu verbreiten. – Weitgehende Anwendung finden diese feuersicheren Konstruktionen (Steel frame fire proof) in den amerikanischen Großstädten bei den höchst eigenartigen Gebäuden von 12, 20 und mehr Stockwerken, wo die ummantelte Eisenkonstruktion das Hauptgerippe von der Sohle bis zum Dache bildet. Die enormen Gebäude, die sogenannten Himmelskratzer (Fig. 3), werden zuerst in ihren Stahlrahmen je etwa drei Stockwerke zusammen aufgestellt, darauf das zwischenliegende Mauerwerk ausgeführt, meist mit Füllmauerwerk in Grobmörtel ausgestampft, während zugleich die nächsten Stockwerke zur Aufstellung kommen, ein Verfahren, das die rascheste Ausführung ermöglicht.

Auch in dem inneren Ausbau der Gebäude, namentlich in Schreinerarbeiten, leisten die Amerikaner Bedeutendes. Bei der reichen Auswahl in den feinsten und schönsten Holzarten mit ihren Maserungen wird mit Hilfe vollendeter Arbeitsmaschinen eine schöne und elegante Arbeit geliefert. Bekannt ist auch die hochentwickelte Fabrikation von Schlosserarbeiten, so besonders The Yale and Powne Manufacturing Company und die Bradford Lockworks, welche die unsre weit in den Schatten stellt. Besonders aber sind es die Arbeiten zur Vervollkommnung der inneren Ausstattung durch jene Einrichtungen, welche die Annehmlichkeit des Lebens und Wohnens zu erhöhen vermögen: der Bäder, Aborte, Aufzüge, Wasserleitungen und Entwässerungen, der Beleuchtung und Heizung, sowie der Lüftung und Kücheneinrichtungen, die durchweg ein Raffinement zeigen, das bei uns meist noch anzustreben ist.[174]

So erkennen wir überall den Sinn für Zweckmäßigkeit, für praktische Lebensbetätigung, mit der Hinneigung zum Individualismus, während auf Ausbildung der schönen Form, auf die ästhetischen Seiten der Baukunst nur meist in zweiter Linie Wert gelegt wird. Der Mangel einer eignen Kunstgeschichte und höherer Bauschulen läßt dies wohl verliehen. Als ein Fortschritt ist zu bezeichnen, daß in den letzten Jahrzehnten den in Europa, zumeist in Paris gebildeten Architekten ein weiteres Feld der Tätigkeit eingeräumt wird, so daß nunmehr in den größeren Städten der einzelnen Staaten die schöne Architektur in Geltung kommt, wie aus dem größten architektonischen Fachblatt Nordamerikas [1] hervorgeht.

Als eine besondere Eigentümlichkeit der amerikanischen Baumeister ist deren große Gewandtheit hervorzuheben, große und ausgedehnte Bauten, sei es in Holz, sei es in Stein, vom Platze zu bewegen, d.h. zu verschieben oder zu heben. Zweifellos ist diese Fertigkeit, die in Europa bei weitem nicht erreicht wird, zurückzuführen auf den weitverbreiteten leichten Holzbau, der eine solche Fortbewegung wesentlich begünstigen mußte, während die hierbei gemachten Erfahrungen später dazu führten, auch Steinbauten nach denselben Grundsätzen zu versetzen. – Das Verschieben ganzer Gebäude geschieht auf Unterlagen von ganz naheliegenden Balken oder Eisenschienen mittels Walzen oder Rollen (Fig. 4). Die bewegende Kraft besteht entweder in Hebeschrauben oder Winden in genügender Zahl, oder in Dampfmaschinen. So wurde im Jahre 1888 das Grand Hotel am Strande von Brighton auf Coney-Island, das vom Meere unterspült und in Gefahr war, weggeschwemmt zu werden, auf höheres Festland, etwa 180 m zurückgeschoben, auf 25 Schienengleisen gezogen von ca 10 Lokomotiven [4]. Anders erfolgt die Hebung eines Gebäudes. Dasselbe wird zunächst mit Balkenlagen unterfangen, die auf eine Anzahl von Hebeschrauben gestellt werden. Nach einem gleichmäßigen Anziehen der Schrauben werden kurze Balken untergeschoben, die in Quer- und Längsschichten sich allmählich aufeinander bauen (Fig. 5), bis die nötige Höhe erreicht ist. Es ist dies wohl dasselbe Verfahren ältester Zeiten, das schon die Aegypter bei dem Transport und Aufstellen großer Steinmassen, z.B. der Obelisken, zur Anwendung brachten, wie es auf monumentalen Wandbildern zu sehen ist, das aber jetzt erst von dem großen Kulturvolke des neuen Weltteils in ausgedehntestem Maße zur Ausführung gebracht wird.


Literatur: [1] The American Architect and Building News, Boston, zus. 20 Jahrgänge. – [2] Deutsche Bauzeitung 1881, S. 585. – [3] Ebend., 1894, Nr. 39–41. – [4] Baukunde des Architekten, Berlin, 4. Aufl., Bd. 1, 1. Teil, S. 379 ff.

Weinbrenner.

Fig. 1.
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Fig. 2.
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Fig. 3.
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Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 5.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 173-175.
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