Diluvium

[770] Diluvium, Diluvialperiode, -formation, -system, Pleistocän z. T., Postpliocän, Quartärperiode, -system, -formation werden in der Erdgeschichte diejenigen Ablagerungen genannt, deren Entstehungszeit zwischen die Tertiärzeit und die Gegenwart fällt. Die charakteristischen Bildungen des Diluviums sind durch eine gesteigerte Tätigkeit des fließenden Wassers und des Eises zustande gekommen, und diese beiden Gesichtspunkte setzen die Herrschaft eines kälteren Klimas voraus, als es dasjenige des Tertiärs und der Gegenwart ist.

Ueber die Ursachen der Abkühlung sind befriedigende Erklärungen noch nicht vorhanden. Außerordentlich große Flächen der Erdoberfläche, besonders die die älteren Massen- und Kettengebirge umgebenden Hoch- und Tiefebenen waren von Gletschereis ganz bedeckt; so z.B. trug die ganze niederdeutsche Tiefebene von den Niederlanden nach Nordosten bis tief nach Rußland hinein (bis an die Wolga) eine vom südlichen Skandinavien ausstrahlende, mächtige, bis an das rheinische Schiefergebirge, den Harz, das Riesengebirge und die Sudeten reichende Eisdecke. Zu beiden Seiten der Alpen traten in der sogenannten Eiszeit aus den heutigen Alpentälern mächtige Gletscher sowohl nach der oberitalienischen Tiefebene wie nach dem schweizerischen Hügelland, dem Bodenseegebiet und der südbayrischen Hochebene aus und breiteten sich hier fächerförmig aus. Diese Ausdehnung der »Gletscher der Vorzeit« war keineswegs während der ganzen Eiszeit (Glazialzeit) eine durchaus gleiche und unveränderliche. Aehnlich dem Wachsen und Zurückgehen der Gletscher der Gegenwart in den Hochgebirgen zeigten auch die diluvialen Gletscher bedeutende Schwankungen ihrer Ausdehnung. Das Gletschereis drang entweder vor oder zog sich zurück, und in den meisten diluvialen Gletschergebieten wiederholte sich dieses Spiel mehrere Male. Man spricht daher auch von Interglazialzeiten in dem Sinne, als man damit diejenigen Zeiträume in der diluvialen Geschichte eines Gebietes meint, während denen die Gletscher in einem Minimum ihrer Ausdehnung (zwischen zwei Maxima) sich von einem Gebiet zurückgezogen hatten. Man konnte mehrere Vergletscherungen (Maxima) desselben Gebietes und auch zwischen denselben eine oder zwei Interglazialzeiten unterscheiden. Die geologische Tätigkeit der diluvialen Gletscher war dieselbe wie die der gegenwärtigen Gletscher, nur ihrer größeren Ausdehnung entsprechend weit stärker. Sie äußerte sich vornehmlich im Transport und in der Ablagerung bedeutender Massen von Gebirgsschutt (Blöcken) in Form von Moränen, besonders von Grundmoränen, in der abschleifenden und abtragenden Kraft des abwärts gleitenden Gletschereises, in der Stauchung und Quetschung des Untergrundes, veranlaßt durch das Abwärtsgleiten der auflaufenden Eismassen, in dem Zerreiben und Zermalmen des mitgeführten Gesteinsmateriales und in der Bildung von sichelförmigen Wällen an den Stirnenden der Gletscher, erzeugt durch das Vorsichherschieben von Gesteinsschutt beim Vorstoß der Gletscher. Mit der Ausdehnung des fließenden Eises auf der Erdoberfläche stand diejenige des fließenden Wassers in der Diluvialzeit im engsten Zusammenhang. Starke atmosphärische Niederschläge und damit vereint die abfließenden Schmelzwasser der großen Gletscher trugen bedeutende Massen Gesteinsschutt aus den Gebirgen zu Tal und in die Ebenen und erzeugten so, sich rückwärts in die Gebirge immer tiefer einschneidend, die Täler und in den Ebenen mächtige Ablagerungen von Flußschottern, Sanden, Lehm und Löß. Die Wirkung des fließenden Wassers und damit in der Hauptsache auch diejenige der Erosion war eine länger andauernde als diejenige des Gletschereises, denn sie bildete sowohl die Einleitung als den Schluß der Vergletscherung der diluvialen Glazialgebiete. Man steht daher Ablagerungen des fließenden Wassers diejenigen der Gletscher sowohl unter- wie überlagern, und sicher hat die Tätigkeit des fließenden Wassers in der Diluvialzeit einen größeren Anteil an der Gestaltung der heutigen Oberflächenformen der Erde als diejenige der alten Gletscher, obgleich diese auffälliger und charakteristischer erscheint. Die allgemeine Bedeutung der diluvialen Erscheinungen ruht daher in der Schaffung unsrer heutigen Täler und Bergformen im kleinen. Im großen sind die Gebirge[770] und Ebenen die Schöpfung andrer und älterer Kräfte. Neben dem Eis und dem fließenden Wasser wird der Tätigkeit des Windes besonders in Steppen ein gewisser Einfluß zuzuschreiben fein; indes dürfte er gegen erstere sehr zurückstehen. Ueber die Meerestätigkeit der Diluvialzeit sind nur sehr wenige Tatsachen vorhanden, weil die Verteilung des Meerwassers auf der Erde annähernd die gleiche wie die der Gegenwart war und seine Wirkungen daher in den heutigen Meeren verborgen liegen. Nur sehr untergeordnet sind daher marine Absätze, und ihre organischen Reste vermögen an dem durchaus binnenländischen Charakter der Lebewesen nichts zu ändern. Diese schließen sich in der Hauptsache an die heutige Tier- und Pflanzenwelt eng an und hatten sich in ihrer Organisation vielfach den veränderten klimatischen Verhältnissen angepaßt. Besonders wichtig ist das erste Auftreten des Menschen in der Diluvialzeit, gekennzeichnet durch Knochen- und Kulturüberreste.

Man unterscheidet in der Diluvialzeit nach ihrer charakteristischen Erscheinung drei Phasen: 1. Beginn und Vorschreiten der Vergletscherung. Ablagerung mächtiger Schotterlager. 2. Hauptvergletscherung mit mehreren Maxima der Vergletscherung und dazwischenliegenden Minima (Interglazialzeiten). 3. Rückzug der Gletscher. Ablagerung von mächtigen Schotterlagern, Sand, Lehm und Löß. Da erhebliche Veränderungen in der Lagerung der Schichten seit ihrer Bildung nicht vor sich gingen, so kann die Lagerung der diluvialen Schotter, Sande, Lehme, Lösse, Moränen u.s.w. im allgemeinen als eine ungestörte betrachtet werden. Ihrem Absatz jedoch gingen bedeutende Abtragungen durch fließendes Wasser voraus, und somit gestaltet sich ihre Auflagerfläche meist sehr unregelmäßig im Gegensatz zu den im Meer gebildeten Ablagerungen.

Die Ausfüllung und Einebnung großer Niederungen, Becken u.s.w. hat durch Aufschüttung von mächtigen Schotter-, Sand- und Lehmmassen in der Diluvialzeit jene weiten und flachen Ebenen geschaffen, die heute vorzugsweise dem Ackerbau dienen und im allgemeinen sich durch einen lockeren und tiefgründigen Boden auszeichnen. Das Diluvium hat daher für die landwirtschaftliche Kultur die größte Bedeutung von allen Formationen (norddeutsche Tiefebene, mittelrheinische Tiefebene, bayrische Hochebene, Ungarn, Oberitalien u.s.w.). Bei großer Horizontalausdehnung führt es der im allgemeinen starken Durchlässigkeit und seines tiefe Niederungen ausfüllenden Auftretens wegen viel Wasser, zeigt aber nur da, wo es von jüngeren Tälern bis auf das weniger durchlässige Liegende wieder durchschnitten wird, Quellen. Der Umstand tritt trotz der großen Horizontalausdehnung selten ein. So bieten ausgedehnte Diluvialgebiete fast stets Gelegenheit zu künstlicher, selten aber zu natürlicher Wasserversorgung. Die Verwendung der Gesteine für Bauzwecke ist die mannigfaltigste, soweit Schotter- und Kieslager, Sand und Lehm in Betracht kommen. Natürliche Bausteine freilich fehlen in der Regel, und daher gilt die Formation auch als steinarm. Eine Ausnahme machen die feste diluviale Nagelfluh (s.d.) der bayrischen Hochebene, auch manche Kalktuffe. Ablagerungen der diluvialen Eiszeit (Moränen, Geschiebelehme u.s.w.) jedoch sind minder wertvoll, weil ihre Beschaffenheit zu großem Wechsel unterliegt. Nur die gröberen Blöcke derselben sind gesucht. Löß- und Lehmgebiete haben für die Beschaffung von Rohmaterial für Ziegel- und Backsteinherstellung und für die Landwirtschaft großen Wert.


Literatur: Gümbel, C.W. v., Grundzüge der Geologie, Kassel 1888; Credner, Elemente der Geologie, Leipzig 1901, 9. Aufl.; Kayser, Geolog. Formationskunde, Stuttgart 1902, 2. Aufl.

Leppla.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 770-771.
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