Lokomotivbekohlungsanlagen [1]

[200] Lokomotivbekohlungsanlagen sind, soweit sie mechanisch betrieben werden, in neuerer Zeit insofern eine Folge des stetig zunehmenden Zugverkehrs, als die Forderungen an eine schnelle Kohlenversorgung der Lokomotiven erheblich gegen früher gewachsen sind und weil die Vermehrung der Kohlenbühnen mit von Hand betätigten Kranen u. dergl. durch die mit ihnen zugleich steigende Zahl von Kohlenladern meist unzweckmäßig ist aus Gründen, die bereits bei den – ähnlichen Bedingungen unterworfenen – Förder- und Lageranlagen in Kraftwerken (s. Kesselhaus), bei Gasfabriken (s.d.) und Hüttenwerken (s.d.) aufgeführt wurden; im übrigen vgl. Haufenlager (Fig. 1 und 11), Hochbehälter (Fig. 1, Bd. 5, S. 83), Kipper (Fig. 5), Konveyor (Fig. 11), Massentransport, Schiffsbekohlung und [1].

Nach der Anordnung und Formgebung ihrer Vorratsbestände seien die Lokomotivbekohlungsanlagen in zwei Gruppen geteilt:

I. Die auf Lagerplätzen zu ebener Erde (Kohlenhaufen) gestapelten Kohlen gelangen auf vielen Bahnhöfen noch heute a) mittels 50 kg fassenden Handkörben oder b) bei einer Mindesttagesausgabe von 20 t (unter Halbierung der Verladungszeit und -kosten gegenüber a) durch Verwendung eiserner Schmalspurwagen (Hunde) von 500 (1000) kg Inhalt auf eine Bühne (Fig. 1) [2] und von hier auf den Tender, c) In Dänemark heben vielfach die zu bekohlenden Lokomotiven mittels einer am Tenderzughaken befestigten Kette von bestimmter Länge die Kohlenkübel gerade so hoch, daß, wenn der Tender vor dem Kohlendrehkran fleht, der Kübel[200] sich bequem vom Heizer entleeren läßt [3], d) In Schweden findet man häufig, daß Schmalspurwagen mittels eines Seiles auf einer Rampe; zu einer Kohlenbühne hinausgezogen werden mit Hilfe von Vollbahnlokomotiven, die auf neben der Bühne angeordneten Gleisen laufen [4].

e) In ähnlicher Weise betätigen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika oft die zu bekohlenden Lokomotiven einen Aufzug (Fig. 2), dessen schmalspurige Wagen gefüllt werden von einem erhöhten Gleis aus, auf das Vollbahnwagen mittels einer Rampe hinauf gedrückt sind [5] f) Tagesleistungen bis zu 700 t weist die mit einem Bockkran mit Wage ausgerüstete Mannheimer Anlage (Fig. 3 bis 6) auf [6]; das Lager (205 × 9,14 m = 1874 qm ~ 3400 t Kohlen) wird nur beansprucht, wenn keine Wagen zum unmittelbaren Ueberladen von Kohlen zur Stelle sind.[201]

II. Im allgemeinen in der Anlage etwas teurer, im Betrieb aber wegen der geringeren Zahl von Bedienungsmannschaften oft wesentlich billiger sind die mit Hochbehältern (s.d.) – bezw. außerdem mit Tiefbehältern (s.d.) – ausgestatteten Anlagen, g) Neuerdings in den Vereinigten Staaten von Nordamerika sehr beliebt und verbreitet ist die Anordnung (Fig. 7) mit Segmentlager (s. Haufenlager, Fig. 11) mit auf Ringgleis fahrbarem Greiferdrehkran (s. Greifer), Hochbehälter, Jochbrücke mit Taschen (s.d.) und Tiefbehältern für Kohle und Asche [7], h) In Deutschland kommt in Aufnahme der Greifer-Hochbahnkran mit überspanntem Haufenlager und seitlichen, auch zur Aufnahme von Schlacken und Asche bestimmten Hochbehältern (Fig. 8 und 9) [8]. i) Bei der Huntschen Anlage (Fig. 10 und 11) [9] ist die Aufgabe gelöst, 5001 Kohle mit Hilfe eines 60 t/St. leistenden Konveyors (s.d.) so in einem auf beschränkter Grundfläche errichteten Gebäude zu lagern, daß die Lokomotiven in der kürzesten Zeit mit Brennstoff, Sand und Wasser versorgt und zugleich von der Asche befreit werden können. 11 Leute bilden die Bedienung der Station 1 Vormann, 1 Maschinist, 4 Arbeiter zum Entladen der Wagen, 1 Mann im Tunnel, 1 zum Anfeuchten und Kühlen der Asche, 1 im Kohlenspeicher und 2 an den Schüttrinnen zum Messen (Meßtrommelinhalt 2,51) und Ausgeben von Kohlen, Wasser und Sand. Durchschnittlich machen 560 t in 10 Stunden den Kreislauf, wobei sich die Kosten auf 10 Lokomotivbekohlungsanlagen [1]./t Kohlen und 18 Lokomotivbekohlungsanlagen [1]./t Asche (Amerika!) belaufen; es werden in 24 Stunden 150 Lokomotiven bekohlt und 6 Wagen (zu 22 t) mit Asche gefüllt. Die erste derartige Anlage in Deutschland wurde in St. Johann-Saarbrücken erstellt [10]; bei später von derselben Firma (J. Pohlig, Cöln) ausgeführten derartigen Anlagen in Antwerpen [11] und München (Fig. 12) sind die ebenfalls als Lagerräume dienenden (übrigens nur bei niedrigem Grundwasserstand preiswert herstellbaren) Erdfüllrümpfe (Tiefbehälter) wesentlich größer bemessen. In München beträgt das Fassungsvermögen der Tiefbehälter 1100 t, das der Hochbehälter (bei 34 m Länge und 4,2 m Breite) 180 t. Leistung der Becherkette 30 t/St., der Meßgefäße 1,5 t/Min.; Arbeitsverbrauch rund 6–8 PS. In 10 Stunden sind 120 Lokomotiven mit ~ 300 t zu bekohlen. Kosten der Eisenkonstruktion und der mechanischen Teile 99200 ℳ., der Tiefbehälter und des Kanals 25600 ℳ. k) Eine neuere, ebenfalls mit Konveyor arbeitende amerikanische Kohlen- und Aschenförder- und Lageranlage zeigen die für sich selbst sprechenden Fig. 13 und 14 (Kohlenlager 2500 t; Aschenbehälter 120 t). Nach den Betriebsergebnissen der vereinigten Preußischen und Hessischen Staatseisenbahnen im Geschäftsjahr 1904 betrugen die Barauslagen für die[202] Lokomotivkohlen 75155 Millionen Mark (Wert an der Zeche). Die Transportleistung für diese Kohlen betrug rund 1,35 Milliarden t/km. Für das Aufstapeln der Kohlen und das Ueberladen derselben werden etwa 60 Lokomotivbekohlungsanlagen [1]./t gerechnet, das sind bei 6,9 Millionen Tonnen jährlich 4,2 Millionen Mark [12].


Literatur: [1] Buhle, Techn. Hilfsmittel zur Beförderung und Lagerung von Sammelkörpern (Massengütern) – im folgenden bezeichnet mit T.H. –, 3. Teil, Berlin 1906, S. 320 und S. 101 (Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1905, S. 783); Ders., ebend., 2. Teil, S. 67 (»Stahl und Eisen« 1903, S. 1330); ferner Zimmer, The mechanical handling of material, London 1905, S. 410 ff. – [2] Berndt, Der Eisenbahnbau der Gegenwart, 3. Abschn., Bahnhofsanlagen, Wiesbaden 1899, S. 736 ff.; vgl. a. ebend., S. 807 (Literatur über Kohlenladevorrichtungen für Betriebs- und für Verkehrszwecke). – [3] Buhle, Glasers Annalen 1898, II., S. 91 und Tafel 7. – [4] Ders., ebend., S. 69 ff. – [5] Ders., T.H., 2. Teil, S. 57 ff. (Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1900, S. 74 ff.). – [6] Mannheim und seine Bauten, Mannheim 1906, S. 445; vgl. a. S. 439 und S. 474. sowie Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnwesens 1903, S. 113 ff., und v. Hanffstengel, Dingl. Polyt. Journ. 1906, S. 625 ff. – [7] Buhle, T.H., 3. Teil, S. 238 (Deutsche Bauztg. 1906, S. 310). – [8] Guillery, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1907, S. 292 ff. – [9] Buhle, T.H., 1. Teil, S. 64 ff. (Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1900, S. 81 ff.) und Glasers Annalen 1898, II, S. 92 ff. – [10] Ders., Glasers Annalen 1898, II, S. 93. – [11] Ders., ebend., Tafel 6. – [12] Pforr, ebend. 1907, I, S. 208; Harprecht, ebend. 1906, I, S. 184 ff.; Zimmermann, ebend. 1907, I, S. 36 ff.

M. Buhle.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3–6.
Fig. 3–6.
Fig. 7.
Fig. 7.
Fig. 8 und 9.
Fig. 8 und 9.
Fig. 10 und 11.
Fig. 10 und 11.
Fig. 12.
Fig. 12.
Fig. 13 und 14.
Fig. 13 und 14.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 200-203.
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