Ariósto

[758] Ariósto, Ludovico, einer der drei großen epischen Dichter Italiens, geb. 8. Sept. 1474 in Reggio, gest. 6. Juli 1533 in Ferrara, war für das Studium der Rechte bestimmt, wandte sich aber bald den schönen Wissenschaften zu und trieb unter der Leitung des tüchtigen Philologen Gregorio von Spoleto mit Eifer Latein, so daß er sehr bald viele seiner gelehrten Zeitgenossen im richtigen Verständnis der römischen Dichter übertraf. Inzwischen starb sein Vater (1500), und die ihm nun mehr obliegende Sorge für seine zahlreichen Geschwister unterbrach vielfach seine literarischen Besch ist gun gen, ohne ihn jedoch denselben zu entfremden. Viel mehr fallen in diese Zeit die meisten seiner kleinern italienischen Gedichte, mehrere seiner lateinischen und die beiden Lustspiele. »La Cassaria« (1508) und »I Suppositi« (1509), ersteres dem Plan tus nachgeahmt und eins der ersten regelmäßigen Lustspiele der neuern Literatur. Er trat 1503, schlecht bezahlt, in die Dienste des ungebildeten und unliebenswürdigen Kardinals Hippolyt von Este, der sich seiner als Geschäftsträger bediente. So sandte er ihn zwei mal in geheimer Botschaft an Papst Julius II. (1509 und 1510). A. blieb 14 Jahre im Dienste des Kardinals und vollendete während dieser Zeit sein berühmtes romantisches Epos »Orlando furioso«. das von vornherein bestimmt war, das Haus Este in der Person eines der vornehmsten Helden des Gedichts, den der Dichter zum Stammvater des Hauses macht, zu verherrlichen. Das Werk erschien in seiner ersten Ge statt, dem Kardinal selbst gewidmet, 1516 (neuer Abdruck dieser ersten Ausg., Ferrara 1875). Die mehr als kühle Aufnahme, die es von seiten des Kardinals fand, verletzte den Dichter, und als einige Zeit darauf A. seiner geschwächten Gesundheit wegen es ablehnte, seinem Gebieter nach Ungarn zu folgen, entließ ihn dieser. A. trat bald (1518) in die Dienste des Herzogs Alfons II., bei dem er ein ruhigeres Leben führen konnte. Den Rest seiner Tage verlebte er in Ferrara, wo er sich 1527 ein eignes Häuschen baute, mit einer[758] geliebten Gattin. In dieser Muße arbeitete er die »Cassaria« und die »Suppositi« in Verse um und brachte zwei weitere Lustspiele: »La Lena« und »Il Negromante«, zur Ausführung. Ein fünftes, »Gli studenti«, hinterließ er unvollendet, und sein Bruder Gabriele vollendete es unter dem Titel »Scolastica«. Endlich legte er die letzte Hand an sein großes Gedicht, das, durch sechs Gesänge vermehrt, in endgültiger Gestalt 1532 zu Ferrara in Folio erschien. A. ward in der Benediktinerkirche zu Ferrara begraben, wo ihm 40 Jahre später einer seiner Verehrer ein Denkmal und 1612 einer seiner Nachkommen ein noch prächtigeres setzen ließ, das noch heute zu sehen ist.

Von Charakter war A. rechtschaffen, sanft, bescheiden und hilfreich, wo er konnte, dazu liebenswürdig im Umgang und einfach in seinen Sitten. Sein unvergänglicher Dichterruhm, der ihm bei seinen Landsleuten den Beinamen il Divino (der Göttliche) eingetragen hat, beruht vorzugsweise auf seinem großen romantischen Heldengedicht »Orlando furioso«, das in seinen 46 Gesängen die Liebe Orlandos zu der schönen Angelika und seinen hieraus entspringenden Wahnsinn zum Hauptinhalt hat. Das Gedicht ist eigentlich eine Fortsetzung des »Orlando innamorato« des Bojardo (s. d.), und es ist zu seinem vollen Verständnis die Kenntnis dieses letztern sehr förderlich. Ein streng regelmäßiges Epos ist der »Orlando« nicht. Vielmehr wird der eigentliche Faden der Erzäht ung fort und fort durch eine Reihe scheinbar nur lose zusammenhängender, dennoch aber aufs kunstreichste miteinander verbundener Episoden unterbrochen. Gerade in diesem bunten Wechsel liegt der eigentümlichste Reiz des Gedichts, da er dem Dichter Gelegenheit gibt, den ganzen Umfang seines Genius zu entfalten. Reichtum der Phantasie, eine Fülle immer neuer Erfindungen, Glanz, Mannigfaltigkeit und Naturwahrheit der Schilderungen, ein stets wohltuender Wechsel von Scherz und Ernst, die Schönheit und stete Augemessenheit seiner Gleichnisse, die anmutigste Erzählungsweise und ein Versbau von wunderbarer Leichtigkeit und Harmonie sichern dem »Orlando furioso« den ersten Platz unter den romantischen Heldengedichten und haben ihm zu allen Zeiten die ungeteilte Bewunderung der ganzen gebildeten Welt erworben. Eine für die erweiterte Ausgabe von 1532 ausgearbeitete Episode, die dann aber nicht verwendet wurde, bilden die sogen. Cinque canti, die den Ausgaben des »Orlando« in der Regel angehängt sind. – Von Ariostos übrigen Werken sind besonders seine sieben Satiren in Terzinen zu erwähnen (1517–31). Sie gehören zu den vorzüglichsten der italienischen Literatur. Die Lustspiele sind zu sehr von ihren klassischen Vorbildern abhängig. Die Charakteristik der Personen ist meist oberflächlich, und der Witz oft unfein. Unter seinen vermischten Gedichten sind besonders die Elegien bemerkenswert. Seine lateinischen Gedichte zeichnen sich durch große Reinheit der Sprache aus. Ausgaben von Ariostos Werken erschienen Venedig 1730, 1741, 1766, 1772. Vom »Orlando furioso« erschienen nach der erwähnten ersten Ausgabe (Ferrara 1532) mehr als 100 Ausgaben; unter den zahlreichen neuern sind gut und korrekt die von Morali (Mail. 1818), Casella (Flor. 1877) und Picciola (das. 1885). Eine neue Ausgabe der Lustspiele und der lateinischen und der kleinern italienischen Gedichte besorgte Polidori (»Opere minori in versi ed in prosa di L. A.«, Flor. 1857, 2 Bde.). Unter den deutschen Übersetzungen des »Rasenden Roland« ist die beste die von Gildemeister (Berl. 1882, 4 Bde.); ältere von W. Heinse (in Prosa), Gries, Streckfuß, H. Kurz. Die Satiren übersetzte Ahlwardt (Berl. 1794). Die beste Biographie Ariostos ist die von Cappelli in dessen Ausgabe der »Lettere di Lod. A.« (3. Aufl., Mail. 1887). Vgl. G. Campori, Notizie per la vita di L. A. (3. Aufl., Flor. 1896); Rajna, Le fonti dell' Orlando furioso (2. Aufl., das. 1900); Carducci, D, die poesie latine edite e inedite di L. A. (Bologna 1876); Ferrazzi, Bibliografia Ariostesca (Bassano 1881).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 758-759.
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