Börne

[231] Börne, Ludwig, Schriftsteller, geb. als Sohn eines jüdischen Bankiers 6. Mai 1786 in Frankfurt a. M., gest. 12. Febr. 1837 in Paris, hieß vor seinem Übertritt zum Christentum Löb Baruch. Der Vater wünschte, daß er Medizin studiere, und vertraute ihn der Leitung des ausgezeichneten jüdischen Arztes Markus Herz zu Berlin an. Für dessen schöne Frau, Henriette Herz, faßte der bewegliche Jüngling eine Leidenschaft, die nicht Erwiderung, aber schonende Duldung fand (vgl. »Briefe des jungen B. an Henriette Herz«, Leipz. 1861). Später studierte B. in Halle, dann in Heidelberg, wo er 1807 die medizinischen Studien mit kameralistischen u. staatswissenschaftlichen vertauschte, die er 1808 in Gießen fortsetzte. 1809 in seine Vaterstadt zurückgekehrt, wurde er unter großherzoglich frankfurtischer Regierung 1811 Aktuar bei der Polizeidirektion, ohne daß ein Glaubenswechsel von ihm begehrt ward. Ende 1813, nach Auflösung des Großherzogtums Frankfurt, als Jude gegen seinen Wunsch pensioniert, verfaßte B. im Interesse der Frankfurter Judenschaft mehrere Denkschriften, mit denen er seine publizistische Laufbahn begann. Innerlich jedoch früh seinen Stammesgenossen entfremdet, trat er 5. Juni 1818 zum Christentum über und nannte sich von nun an Ludwig B. Vom Juli bis Oktober 1819 redigierte er »Die Zeitschwingen«, von 1818–21 »Die Wage, Blätter für Bürgerleben, Wissenschaft und Kunst«, in der er die Reihe jener sowohl ästhetischen als politischen Artikel zu veröffentlichen begann, die ihm den Ruf eines geistvollen Oppositionsschriftstellers verschafften. Fortan lebte er, journalistisch tätig, abwechselnd in Paris, Heidelberg, Frankfurt, Berlin und Hamburg. Der Tod seines Vaters gab ihm 1827 materielle Unabhängigkeit. Die Kunde von der Pariser Julirevolution begrüßte er mit Enthusiasmus, ging schon im Herbst des Jahres 1830 wieder nach Paris, das ihm nunmehr als das Mekka der politischen Freiheit galt, und ließ sich seit 1832 dauernd in der französischen Hauptstadt nieder. Seine literarische Wirksamkeit setzte er von hier aus mit den »Briefen aus Paris« fort und ward wie einer der Hauptvorläufer, so nunmehr auch einer der Hauptschriftsteller des »jungen Deutschland«, das die Zeit gekommen erachtete, die ästhetisch-sittliche Kultur der Nation mit der rein politischen zu vertauschen. Dabei entfremdete sich B. der Heimat mehr und mehr und schalt sich in eine höchst einseitige Verachtung des damaligen deutschen Lebens hinein. Seit 1833 war er kränklich. An Jeanne Wohl, an die er seine »Pariser Briefe« gerichtet hatte, fand B. eine sorgfältige, aufopfernde Pflegerin. Während seiner letzten Lebensjahre ergriffen ihn die Erscheinung und das Auftreten Lamennais' in mächtiger Weise; die Idee der demokratisch-christlichen Völkerverbrüderung eignete er sich an und sah sie zunächst durch die geistige Hegemonie Frankreichs verkörpert. In diesem Sinne nahm er seine seit 1821 eingegangene Zeitschrift »Die Wage« wieder auf und ließ sie als »Balance« in französischer Sprache erscheinen. Nach dem Beschluß des Bundesrates zu Frankfurt 1835, der infolge der Angriffe Menzels auf das »junge Deutschland« sämtliche vergangene und zukünftige Schriften desselben verbot, schrieb B. die Streitschrift: »Menzel, der Franzosenfresser« (Par. 1836), worin er dessen teutonische Einseitigkeit geißelte. Seine letzte Ruhestätte fand B. auf dem Friedhofe Père Lachaise, wo ihm 1843 von seinen Landsleuten ein von David gefertigtes Erzdenkmal errichtet wurde. – Der Schwerpunkt seines Wesens lag im politischen Pathos, in der Hingabe an die Idee der Freiheit, wie er sie verstand. In seinen Theater- und Literaturkritiken verriet er gelegentlich einen guten Blick für poetische Schönheit, ein treffendes Urteil, aber mit gröblicher Unduldsamkeit gegen jede andre Welt- und Lebensanschauung als seine eigne mißhandelte er selbst die Heroen der deutschen Literatur. Besonders sein Urteil über Goethe war äußerst beschränkt. Für den deutschen Journalismus galt B. jedoch lange Zeit als Meister und Vorbild. Die Uneigennützigkeit seines Charakters genügt freilich nicht, um die Einseitigkeit seiner Anschauungen und die Befangenheit seines Urteils vergessen zu machen. Der ersten Ausgabe seiner »Gesammelten Schriften« (Hamb. 1829–34, 14 Tle.) folgten die »Nachgelassenen Schriften« (Mannh. 1844–50, 6 Bde.); eine vollständigere Ausgabe der »Gesammelten Schriften« erschien in 12 Bänden (Hamb. 1862–63, neue Aufl. 1868) und in 6 Bänden, besorgt von A. Klaar (Leipz. 1899). Seine französischen Schriften (»Fragments politiques et littéraires«) gab Cormenin heraus (Par. 1842; deutsch von Weller, Bern 1847). Vgl. Gutzkow, Börnes Leben (Hamb. 1840); Heine, Über L. B. (das. 1840); Gervinus, Über Börnes Briefe aus ParisHistorische Schriften«, Darmst. 1838); Holzmann, L. B., sein Leben und sein Wirken (Berl. 1888); Brandes, Das junge Deutschland (4. Aufl., Leipz. 1899); Joh. Proelß, Das junge Deutschland (Stuttg. 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 231.
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