Cambrai [2]

[713] Cambrai (spr. kangbrä, deutsch Kambryk), Arrondissementshauptstadt und Festung erster Klasse im franz. Depart. Nord, an der Schelde und am Kanal von St.-Quentin, Knotenpunkt an der Nordbahn, ist durch eine bastionierte Umwallung, eine starke Zitadelle und mehrere Vorwerke befestigt, hat eine schöne Esplanade zwischen Stadt und Zitadelle, eine nach dem Brand von 1859 wieder aufgebaute Kathedrale mit Denkmal Fénelons (von David d'Angers), ein schönes Rathaus, einen erzbischöflichen Palast und (1901) 18,415 (als Gemeinde 26,586) Einw. C. besitzt viele Fabriken für Batist, Linon, Gaze (cambrais oder Kambriks, s.d.), Tüll und Baumwollenspitzen, ferner Zucker- und Seifenfabriken, Brauereien, Gerbereien etc. Der Handel mit diesen Fabrikaten sowie mit Getreide, Hopfen, Vieh, Lein ist bedeutend. Die Stadt ist Sitz eines Erzbischofs und eines Handelsgerichts, hat eine Bibliothek (40,000 Bände und 1250 Handschriften), ein Collège, ein theologisches Seminar, eine Musik- und eine Zeichenschule, ein Theater und ein Museum für Altertümer. C. ist Geburtsort des Generals Dumouriez, des Bildhauers Francheville etc. – C. war das Camaracum der Alten, eine Stadt der Nervier in Gallia belgica. Zur römischen Kolonie erhoben, wurde es bald eine der vornehmsten Städte Galliens. Der Usurpator Maximus zerstörte C. 370; später wurde es von den Vandalen und Alanen erobert. Durch den Vertrag von Verdun 843 fiel es an Lothar I., durch den von Mersen 870 an Karl den Kahlen; doch kam es 880 an Ostfranken, im besondern an Lothringen. 925–1677 hat C. dauernd zum Deutschen Reiche gehört. Inzwischen war C. und sein Gebiet (Cambrésis) eine Grafschaft geworden, die nach dem Aussterben der Grafen der deutsche König Heinrich I. den Bischöfen von C. verlieh. 1595 wurde die Stadt von den Spaniern erobert, 1677 von den Franzosen genommen und im Frieden von Nimwegen an Frankreich abgetreten. Von den Engländern 25. Juni 1815 erstürmt, war C. die erste französische Stadt, die Ludwig XVIII. wieder empfing. Dann war C. bis 1818 das Hauptquartier Wellingtons. Berühmt ist C. durch die Liga von C., die Ludwig XII. von Frankreich 10. Dez. 1508 mit dem Kaiser Maximilian, Ferdinand dem Katholischen von Aragonien und Papst Julius II. zur Demütigung Venedigs schloß, sowie durch den »Damenfrieden«, den am 5. Aug. 1529 Spanien durch Margarete, Statthalterin der Niederlande, Karls V. Tante, mit Frankreich durch Luise von Savoyen, Mutter Franz' I., schloß. Vgl. Bouly, Histoire de C. et du Cambrésis (Cambrai 1843, 2 Bde.); Lécluselle, Histoire de C. depuis 1789 (das. 1874–75, 2 Bde.); Dieckmeyer, Die Stadt C., verfassungsgeschichtliche Untersuchungen (Bielef. 1890); Reinecke, Geschichte der Stadt C. (bis 1227; Marburg 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 713.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika