[631] Demokrĭtos, griech. Philosoph aus Abdera, einer ionischen Kolonie in Thrakien, geb. zwischen 460 und 470, gest. im Alter von 100 oder über 100 Jahren, verwendete als Sohn reicher Eltern sein Vermögen auf ausgedehnte Reisen und erwarb sich Kenntnisse über den ganzen Umfang des damaligen Wissens, so daß ihn darin unter den Spätern nur Aristoteles übertroffen zu haben scheint. Von seinen zahlreichen Schriften, von deren Titeln wir ein Verzeichnis besitzen, sind nur Fragmente erhalten. Daß er über alles gelacht habe, weshalb er als der lachende Philosoph dem Heraklit, als dem weinenden, gegenübergestellt wurde, ist eine spätere Erfindung. Seine Lehre ist ein konsequenter und zwar atomistischer mechanischer Materialismus, dessen wesentliche Grundzüge sich bei den materialistisch gesinnten Naturforschern unsrer Tage beinahe unverändert wiederfinden. D. verwirft die Annahme eines vom körperlichen Stoff verschiedenen geistigen Prinzips (wie es der Nus seines Vorgängers Anaxagoras war), welches die Dinge seinem Endzweck gemäß gestalte, und führt das Werden der Dinge auf die den unteilbaren Elementen der Materie, den gleichfalls körperlichen Atomen, von Anbeginn innewohnende Bewegung im Leeren, das auch wirkliche Existenz hat, zurück. Jene sind voneinander nicht der Beschaffenheit (wie bei Anaxagoras), sondern bloß der Gestalt und der Größe nach verschieden; sie sind unteilbar, weil sie kein Leeres in sich haben, und wegen ihrer Kleinheit, obwohl Körper, unsichtbar. Da ihre Qualität dieselbe ist, so können auch die aus ihnen zusammengesetzten Körper nicht qualitativ, sondern nur quantitativ, d. h. der Gestalt, der Ordnung und Lage ihre Elemente nach, unterschieden sein. Aus den genannten Verschiedenheiten lassen sich alle Mannigfaltigkeiten der Erscheinungswelt erklären, wie »ja aus den nämlichen Buchstuben die Tragödie und Komödie wird«. Weder bei den Atomen noch bei deren Eigenschaften, ebensowenig wie bei deren Bewegung darf man nach einer Ursache fragen; sie sind sämtlich ewig. Es häuften sich nach ihm Atome, von verschiedenen Seiten in ursprünglicher Bewegung kommend, zusammen, wodurch ein sich allmählich immer weiter ausbreitender Wirbel entstand, der die Weltbildung herbeiführte. Wie sich beim Würfeln des Getreides von selbst Spreu zur Spreu und Korn zum Korn findet, so mußte durch die wirbelnde Bewegung mit Naturnotwendigkeit das Leichtere zum Leichten, das Schwerere zum Schweren gelangen und durch dauernde Verflechtung der Atome der Grund zur Bildung größerer Atomenaggregate (Körper) und ganzer Körperwelten gelegt werden. Einer der auf diesem Wege gewordenen Körper ist die Erde. Auch die Seele ist ein Atomenaggregat, d. h. körperlich, aber sie besteht aus den feinsten, kugelförmigen, leichtest beweglichen Atomen, die feuriger Natur und durch den ganzen Leib verbreitet sind. Teile derselben werden, solange das Leben währt, durch Ausatmen an die Luft abgegeben, durch das Einatmen aus derselben als Ersatz aufgenommen. Durch seine Ausflüsse aus den Dingen, die durch die Öffnungen unsers Leibes (die Sinnesorgane) an die Seele gelangen, werden Eindrücke auf unsre Seele, die Sinneswahrnehmungen, erzeugt. Letztere bilden die einzige, aber nichts weniger als unbedingt zuverlässige Quelle unsrer Erkenntnis, die durch das Denken zustande kommt, aber sich nicht über die Stufe der Wahrscheinlichkeit erhebt. Von den Eigenschaften der zusammengesetzten Körper kommen die einen den Dingen selbst zu, die andern entstehen erst durch unsre Wahrnehmung, eine Vorausnahme der Lehre Lockes von den primären und sekundären Eigenschaften der Dinge. Das ethische Ziel ist dem D. die Glückseligkeit, d. h. die zu wirklichen Lustgefühlen sich erhebende gleichmäßige Gemütsstimmung, zu der die Vorbedingung die Unerschütterlichkeit (Ataraxie) ist. Aus dem richtigen Gleichgewicht kommt die Seele durch das Zuviel von Begierden und Genüssen, zu deren richtiger Befolgung und Auswahl die Einsicht erfordert wird. Aus sich selbst muß man seine Freuden schöpfen; wer die Güter der Seele liebt, liebt das Göttliche und Dauernde, wer die des Leibes, liebt das Menschliche. Die Grundlage der Atomistik hat D. höchstwahrscheinlich von seinem gewöhnlich mit ihm zugleich genannten, aber sehr wenig gekannten Landsmann Leukippos (s.d.) entlehnt. Die Fragmente seiner Schriften wurden am vollständigsten von Mullach herausgegeben (Berl. 1843). Vgl. Liard, De Democrito philosopho (Par. 1873); Brieger, Urbewegung der Atome (Halle 1884); Liepmann, Die Leukipp-Demokritschen Atome (Berl. 1885); Natorp, Die Ethika des D., Text und Untersuchungen (Marb. 1893); auch Wielands im ganzen treue Darstellung des D. in den »Abderiten«. Nach D. hat K. Jul. Weber sein Buch »D., oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen« (das sonst mit D. nichts gemein hat) betitelt.