Don Juan

[115] Don Juan (span., spr. chuán), Held einer spanischen Sage, die, unter dem heißen Himmel des Südens entstanden, in ihrer erschütternden Gewalt wie ihrer tief im Geiste des Mittelalters wurzelnden Grundidee, der Faustsage des Nordens entspricht oder vielmehr deren Ergänzung bildet. Während diese das Überspringen der dem forschenden Menschengeist gesteckten Schranken als Frevel darstellt, der ins Verderben stürzt, zeigt jene, wie umgekehrt das maßlose Schwelgen im Genuß des Irdischen zu demselben Ziel führt. Die D.-Sage, in der sich mit dem Hauptmotiv internationale Märchenelemente (von redenden und sich rächenden Statuen) gemischt haben, knüpft (wie die Faustsage) an eine geschichtliche Person an. Ihr Familienname Tenorio gehört einem galicischen Hidalgogeschlecht an, das einen portugiesischen Troubadour, einen Erzbischof und besonders einen berühmten Admiral Alfonso Jufre Tenorio hervorgebracht hat, der sich im Kampf gegen die Mauren einen ruhmvollen Namen erwarb. Im jüngsten seiner Söhne, Juan, den die Geschichte als Silberkämmerer und Günstling Peters des Grausamen kennt (1350–69), will man den Helden der Sage erkennen. Als Genosse des Königs bei seinen Lüften und Grausamkeiten, wurde er in Sevilla und der Umgegend zum Gegenstande der abenteuerlichsten und schaudervollsten Erzählungen, doch scheinbar erst im 17. Jahrh., nachdem die Dramatisierung des Stoffes sich vollzogen hatte. Nach zahllosen Freveltaten, so wird berichtet, habe er endlich eine Jungfrau in Sevilla zu entehren versucht und ihren Vater, den Gouverneur der Stadt, der ihr zu Hilfe eilte, im Zweikampf ermordet. Als er darauf im Übermut die jenem errichtete steinerne Statue zum Nachtessen geladen, sei diese wirklich erschienen und mit ihm zur Hölle gefahren. Mit dieser Sage kreuzte sich später eine andre, deren Gegenstand ein Wüstling, namens Don Juan de Maraña, ein Bündnis mit dem Teufel schloß, sich schließlich aber nach vielen Schandtaten bekehrte und im Geruch der Heiligkeit starb. Frühzeitig von einem unbekannten Dichter dramatisch bearbeitet u. d. T.: »El ateista fulminado«, ward die D.-Sage erst in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. berühmt, als der ergiebige Stoff in zwei Dramen u. d. T.: »El burlador de Sevilla y convidado de piedra« (vor 1630; deutsch von Braunfels in Rapps »Spanischem Theater«, Bd. 5, Hildburgh. 1870) auf die Bühne gebracht und unter dem Namen[115] des beliebten Tirso de Molina verbreitet wurde. Eine abweichende Bearbeitung u. d. T.: »Tan largo me lo fiais« ward neuerdings gefunden und veröffentlicht (Bd. 12 der »Coleccion de libros esp. raros ó curiosos«, Madr. 1878). Das Stück, eine flüchtige Arbeit, die aber doch Partien enthält, die eines Dichters ersten Ranges würdig sind, wurde zu Ende des 17. Jahrh. in Spanien von Ant. de Zamora überarbeitet. Sein »Convidado de piedra« verdrängte den ältern von der Bühne. Bereits vorher war derselbe nach Italien übergegangen und in Neapel ausgeführt, zuerst in O. Gilibertos (1652, jetzt verloren), dann in Cicogninis Bearbeitung (»Il convitato di pietra«), die bemerkenswert ist, weil die komische Person hier zuerst in bestimmter Zeichnung erscheint, später in einer neuen von Perrucci. Von Italien drang das Stück nach Frankreich, wo Dorimond eine Bearbeitung nach Giliberto unter dem abgeschmackten Titel: »Le festin de pierre (!), ou le fils criminel« 1658 in Lyon, dann de Villiers eine solche als »Tragikomödie« 1659 in Paris zur Ausführung brachte. Der Stoff erregte hier so großes Interesse, daß Molière nach demselben seinen »D. J., ou le festin de pierre, comédie en 5 actes« bearbeitete, der 1665 zum erstenmal auf dem Theater des Palais Royal ausgeführt ward. Der Spaßmacherei der Italiener gegenüber wollte Molière den Gegenstand in die Sphäre der eigentlichen Komödie erheben, verwischte aber dabei jede Spur vom national-historischen Charakter des spanischen Dramas. Thomas Corneille brachte das Stück 1677 in Verse, und in dieser Gestalt schritt es bis in die neuere Zeit (1847) über die französischen Bühnen. Von andrer Seite wieder faßte der Schauspieler Dumesnil (als Dichter Rosimond genannt) den Stoff auf, indem er seine Tragikomödie »Festin de pierre, ou l'athée foudroyé« (1669) zu einem Dekorations- und Spektakelstück machte und die Handlung in heidnische Zeiten verlegte, um ungestraft seinen Atheisten prahlen zu lassen. Auch in England ward der Stoff durch Shadwells Tragödie »The libertine destroyed« eingeführt (1676); doch war darin der Held so grenzenlos verrucht, daß er alle Schranken der Billigkeit überschritt. Durch Molière angeregt, suchte 50 Jahre später auch Goldoni das alte spanische Stück seinem Vaterland in der würdigern Gestalt einer regelmäßigen Komödie vorzuführen. Sie wurde 1736 in Venedig u. d. T.: »Don Giovanni Tenorio, ossia: il dissoluto punito« ausgeführt; sonderbarerweise aber läßt der Dichter den steinernen Gast ganz weg und übergibt einem Blitzstrahl das Racheamt. In Deutschland gehörte »D., oder das steinerne Gastmahl« (!) seit dem Anfang des 18. Jahrh. zum stehenden Repertoire der improvisierenden Schauspieler, die dafür ebensowohl Dorimonds und Molières Stücke wie die Traditionen der Italiener benutzt zu haben scheinen. Neben diesen dramatischen Bearbeitungen fehlte es nicht an Versuchen, den Stoff als Oper zu behandeln. Den ersten Anlauf dazu nahm der Franzose Le Tellier 1713 in Paris; 1761 wurde ein Ballett: »D.«, mit Musik von Gluck, in Wien ausgeführt; etwa 20 Jahre später ging eine gleichnamige Oper, komponiert von V. Righini, in Prag und anderwärts über die Bretter. Alle diese Arbeiten weit hinter sich zurück ließ Mozart, der in seinem Meisterwerk »Il dissoluto punito, ossia Don Giovanni« (1787, nach Dapontes einsichtsvoll gearbeitetem Textbuch komponiert) den ergreifenden Stoff in seiner tiefen poetischen Bedeutung erfaßte und ihm die klassische Gestaltung gab, die ihn nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen zivilisierten Welt volkstümlich machte. Unmittelbar nach Mozart schrieb auch Gazzaniga eine Oper: »Convitato di pietra«, die 1789 in Bergamo und Rom, später in Mailand und Paris mit Beifall gegeben ward. Auch im 19. Jahrh. blieb die D.-Sage ein Lieblingsgegenstand der Poeten. Byrons epische Dichtung »D.« knüpft allerdings nur an den Namen des Helden an und entfernt sich im übrigen ganz von der Sage. Dagegen sucht Grabbe in seiner Tragödie »D. und Faust« (1829) die alte südliche Volkssage mit der Faustsage des Nordens in Verbindung zu bringen; andre D.-Dramen brachten Holtei (1834), Sigismund Wiese (1840), Braun v. Braunthal (1842) u.a. Auch Lenau hinterließ eine (unvollendete) epische Dichtung: »D.«, voll dramatischer Präzision und genialer Keckheit der Gedanken. In Frankreich wurde die Sage von neuern Dichtern ebenfalls wiederholt behandelt, teils dramatisch, wie z. B. von A. DumasDon Juan de Marana«, 1836), teils als Roman, wie von Mérimée (1834), Mallefille (1858) u.a. Eine anziehende Bereicherung der D.-Dichtungen brachte in neuerer Zeit das Heimatsland der Sage selbst mit José Zorillas Drama »Don Juan Tenorio« (1844; deutsch von Wilde, Leipz. 1850, und von Fastenrath, Dresd. 1898; franz. von A. Fouquier, Par. 1882; ital. von Giordano Zocchi, Mail. 1884). Wie nämlich Goethe der Faustsage eine dem Volksglauben entgegenlaufende, aber im fortschreitenden Bewußtsein der Zeit begründete versöhnende Wendung gegeben hat, so wird in dem Drama Zorillas auch die D.-Sage, ohne daß der Stoff im wesentlichen sich verändert, ganz im modernen Geist behandelt. Übrigens hat derselbe Dichter den Gegenstand noch episch-lyrisch in »El desafio del diablo« (1845) und »Un testigo de bronze« (1845) bearbeitet. Als jüngste Glieder dieser Kette von Dichtungen sind Guerra-Junqueiros romantisches Poem »Morte de D. João« (1874), Manuel Fernandez y Gonzalez' Roman »Don Juan Tenorio«, J. M. Bartrina y Arnus »El nuevo Tenorio, leyenda en 7 actos« (Barcelona 1885) und P. Heyses freilich nur an die alte Sage anknüpfendes Drama »Don Juans Ende« (1883) zu nennen. Ausführliche Nachweise über die Sage und ihre Bearbeitungen enthalten Scheibles »Kloster«, Bd. 3, Abt. 2 (Stuttg. 1846) und Castil-Blaze, Molière musicien, Bd. 1 (Par. 1852). Vgl. Karl Engel, Die D.-Sage auf der Bühne (Dresd. 1887); A. Farinelli, Don Giovanni, Note critiche (Turin 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 115-116.
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