[616] Wiese, ein Grundstück, das dauernd mit Gräsern und Kräutern in geschlossenem Stand (Grasnarbe) bewachsen ist und nicht gepflügt wird. Natürliche Wiesen sind unbedingte oder sie können, wenn es dem Interesse des Wirtschafters entspricht, umgebrochen und zeitweise in Ackerland u. dgl. verwandelt werden. Ebenso sind die Kunstwiesen dauernde oder[616] wechselnde. Der Lage nach unterscheidet man Flußwiesen, Talwiesen, in Vertiefungen zwischen Ackerfeldern und Heiden, in Tälern und an kleinen Bächen gelegen, Au e- oder Marschwiesen, Niederungswiesen, Bergwiesen, Waldwiesen, Feldwiesen, Moorwiesen. Salzwiesen heißen die an den Ufern der Meere oder salzigen Seen liegenden, meist durch große Güte und Fruchtbarkeit ausgezeichneten Wiesen. Man unterscheidet ferner: Wässerungs-, Rieselwiesen und nicht wässerbare Wiesen; nach dem Ertrag einschürige, zweischürige, mehrschürige Wiesen; erstere heißen auch Jakobswiesen, Herbstwiesen, die zweischürigen Pfingst- oder Grumtwiesen. Nach der Güte des Futters spricht man von süßen und sauren (quelligen) Wiesen. Der beste Boden für die Wiesen ist angeschwemmter, frischer, warm er und reicher Boden, in dem die günstigsten physikalischen Zustände mit nachhaltigem Reichtum an allen zur Grasbildung erforderlichen Nährstoffen in richtiger Beschaffenheit und Mischung verbunden sind (Lehm-, Lehmmergel-, Kalkmergel-, Mittelboden); der Untergrund muß mäßig gebunden, nährstoffreich und leicht zu bearbeiten sein. Im Grasbestand unterscheidet man Obergras und Unter- oder Bodengras; zu ersterm gehören die Gräser und Kräuter mit aufrechten und höhern Stengeln, zu letzterm die mit niedrigen oder kriechenden Stengeln. Das Vorhandensein verschiedener Gräser und Kräuter in der Grasnarbe ist für die Tragfähigkeit der Wiesen von großer Wichtigkeit; wie auch die Witterung sich gestalte, stets wird ein geschlossener Bestand möglich sein, weil sich stets Pflanzen finden, denen die gerade herrschende Witterung vorzugsweise zusagt; diese schützen alsdann durch ihr rascheres und üppigeres Wachstum die andern, die bei andrer Witterung sich wieder kräftiger als jene entfalten. Diese Vorteile werden schon durch das Vorhandensein verhältnismäßig weniger Pflanzenarten erreicht. Bei einer Probe fand man auf 0,62 qm einer sehr reichen W. 1000 Pflanzen, und zwar 940 Gräser und 60 Klee- und andre Pflanzen, im ganzen aber nur 20 Arten; auf bewässerter W. 1702 Gräser und 96 Klee- und andre Pflanzen in noch weniger Arten. Im Kunstwiesenbau mischt man daher das Saatgemenge mit nur wenigen Arten, sät aber sehr reichlich. Hanstein (»Die Familie der Gräser«) gibt folgende Bestandsmischungen der vier Wiesenklassen:
Erste Klasse: Wiesen mit fruchtbarem, feuchtem Boden ohne stockendes Wasser; Bestand: Wiesenfuchsschwanz (Alopecurus pratensis), gemeines Rispengras (Poa trivialis), Wiesenschwingel (Festuca pratensis) als die vorherrschenden, mit wenig rohrartigem Glanzgras (Baldingera arundinacea), englischem Raigras (Lolium perenne), Wiesenrispengras (Poa pratensis), Knaulgras (Dactylis glomerata), Goldhafer (Avena flavescens), Fioringras (Agrostis alba), Ruchgras (Anthoxanthum odoratum), Zittergras (Briza media), Honiggras (Holcus lanatus) und Timothygras (Phleum pratense).
Zweite Klasse: Wässerungswiesen; Bestand: Wiesenschwingel, englisches Raigras, Knaulgras, Wiesenrispengras, gemeines Rispengras, mit wenig Goldhafer, Wiesenfuchsschwanz, französischem Raigras (Arrhenatherum avenaceum), Zittergras, Ruchgras, Honiggras, Kammgras (Cynosurus cristatus), weicher Trespe (Bromus mollis) und Fioringras.
Dritte Klasse: trockene Wiesen mit fruchtbarem Boden; Bestand: französisches Raigras, Wiesenrispengras, englisches Raigras, Knaulgras, Wiesenschwingel, weicher Hafer (Aevena pubescens), Goldhafer, roter Schwingel (Festuca rubra), mit wenig gemeinem Rispengras und Wiesenfuchsschwanz.
Vierte Klasse: trockene Wiesen mit wenig fruchtbarem Boden; Bestand: die borstig-blätterigen Schwingelarten, Kammgras, französisches Raigras, Wiesenschwingel und ganz spärlich noch Wiesenfuchsschwanz und gemeines Rispengras.
Dazu gehören für die gute W. noch die Kleearten in geringerer Menge und einige andre Kräuter; von Gräsern können noch vorkommen: die Rasenschmiele (Aira caespitosa), das jährige Rispengras (Poa annua), das Wassersüßgras (Glyceria aquatica), das schwimmende Süßgras (Glyceria fluitans), der gefiederte Stielschwingel (Brachypodium pinnatum), der gemeine Windhalm (Agrostis vulgaris), der Wiesenhafer (Avena pratensis), die aufrechte Trespe (Bromus erectus) und die gemeine Kammschmiele (Koeleria cristata); von andern Pflanzen noch die Arten und Varietäten aus den Gattungen Luzerne (Medicago), Esparsette (Hedysarum), Steinklee (Melilotus), der nebst dem Ruchgras dem Heu den würzigen Geruch verleiht, Wicke (Vicia) und Platterbse (Lathyrus), dann Wegerich (Plantago lanceolata), Kümmel (Carum carvi), Petersilie (Petroselinum sativum) und Bibernelle (Pimpinella sanguisorba).
Alle andern sonst auf Wiesen noch vorkommenden Pflanzen sind als Unkraut oder Giftpflanzen zu bezeichnen. Für Rieselanlagen mit Kloakendüngung wählt man wenige Gräser, besonders englisches und französisches Raigras, als Bestand. Das Gras gedeiht nicht bei mangelnder Feuchtigkeit und mäßiger Sonnenwärme bis in den hohen Norden in beträchtlicher Höhe, liebt aber feuchtes, kühles Klima und kommt am besten in Gebirgsländern und an Meeresküsten fort. Einzelne Gräser gedeihen im geschlossenen Bestand nur in den Tälern, andre in der Höhe.
Zur Kunstwiese kann jeder Boden gemacht werden, wenn Ent- und Bewässerung angebracht werden kann; angeschwemmter Boden verdient immer den Vorzug. Die Bildung der Grasnarbe nach Umbruch oder bei neuen Anlagen geschieht auf verschiedene Art Die Anfaat ist die rationellste; der vorher gut gereinigte, gelockerte und durchdüngte Boden wird im Frühjahr mit der entsprechenden Mischung (4050 kg auf 1 Hektar) besät und der Same entweder für sich allein untergewalzt, oder in eine schützende, bald das Feld räumende Deckfrucht eingeeggt. Die junge Narbe bedarf anfänglich der Schonung, besonders des Fernhaltens von Vieh, wenn nicht das Festtreten durch Überweiden beabsichtigt wird. Impfung findet da statt, wo man Rasenstücke von andern Grundstücken haben kann oder bei Umbauten den vorher abgeschälten und beiseite gebrachten Rasen wieder verwendet; man legt die Rasenstücke nebeneinander an und walzt sie tüchtig an; entweder wird vollständig oder nur in Karees gedeckt, wobei dann die leeren Zwischenräume besät werden oder der natürlichen Berasung überlassen bleiben. Das Verjüngen findet nur auf schon bestehenden Wiesen durch Anfeggen, Einsaat und Überfahren der besäten Stellen mit Kompost, Sand oder Erde zum Schutze des Samens statt; man bessert dadurch Fehlstellen aus. Düngung kann bei rationeller Wiesenkultur nur da entbehrt werden, wo das Überschwemmungs- oder Rieselwasser reich genug an geeigneten Nährstoffen ist. Als Dünger empfehlen sich alle mineralischen, gepulverten, leicht aufzustreuen den Dungmittel, vor allen Kompost, Kalisalze, Asche und Phosphate (Thomasschlackenmehl). Vortrefflich ist Kloakeninhalt für Wiesen; er muß jedoch noch mit etwas Kali und Phosphat gegeben werden, weil man sonst zwar ein massenhaftes Wachstum, aber ein Gras von ungenügender Beschaffenheit für das Vieh erhält. Die Pflege der Wiesen erstreckt sich auf die Unterhaltung der Wässerungsanlagen, die richtige, umsichtige Leitung des Wässerns selbst, das Ebnen der Maulwurfshügel, Ameisenhaufen u. dgl., das Ausputzen der Gräben und die passende Verwendung der ausgehobenen Erde, auf Übereggen oder Überwalzen, die Entfernung aller Wurzelstöcke und Triebe von in der Nähe gepflegten Bäumen oder Hecken,[617] das Zurückschneiden derselben, das Vertilgen der etwa auskommenden Unkräuter u. dgl. Die Ernte wird jetzt vielfach mittels Mähmaschinen und Heuwender bewirkt. Der Ertrag der Wiesen ist sehr verschieden: gute Wässerungswiesen können bei reicher Düngung vom Hektar bis 200 Ztr. Trockenfutter geben und selbst mehr, mit flüssigem Dünger öfters berieselte Wiesen hat man schon bis zu 800 Ztr. und darüber gebracht. Gute natürliche Wiesen geben 120 Ztr.; solche mit unter 60 Ztr. Ertrag sollten gar nicht mehr als Wiesen belassen werden, wenn sie anderweitig nutzbar zu machen sind. Die berühmten Wässerungswiesen in der Lombardei schätzt man bis zu 320 Ztr., die nicht minder berühmten siegenschen Kunstwiesen bis zu 160 Ztr. Ertrag. Ohne Dünger sinkt der Ertrag auf 80 Ztr. und weniger. Vgl. Artikel »Bewässerung« und Hanstein, Die Familie der Gräser (Wiesbad. 1857); Patzig, Der praktische Rieselwirt (4. Aufl., Leipz. 1857); Häfener, Der Wiesenbau in seinem ganzen Umfange (3. Ausg., Stuttg. 1867); Petersen, Beschreibung der neuen Methode des Wiesenbaues (Schlesw. 1863); v. Saint-Paul, Über Wiesenmelioration und Kompostbereitung (3. Aufl., Königsb. 1871); Toussaint, Die W., deren Technik etc. (Bresl. 1885); Dünkelberg, Der Wiesenbau (4. Aufl., Braunschw. 1907); Burgtorf, Wiesen- und Weidenbau (5. Aufl., Berl. 1905); Braungart, Handbuch der rationellen Wiesen- und Weidenkultur (Münch. 1899); Hein, Gräserflora von Nord- und Mitteldeutschland (2. Aufl., Weim. 1880; im Anhang: Anleitung zur Wiesen- und Weidenkultur); Koenig, Die Pflege der Wiesen und Weiden (2. Aufl, Berl. 1906); Kutscher, Wiesenbau (2. Aufl., das. 1898); Stockmayer, Über Behandlung und Pflege der Wiesen (3. Aufl., Leipz. 1896); Strecker, Die Kultur der Wiesen (u. Aufl., Berl. 1905) und Erkennen und Bestimmen der Wiesengräser (4. Aufl., das. 1906); Stutzer, Die Düngung der Wiesen und Weiden (das. 1904); Ulrich, Der praktische Wiesenwirt (Leipz. 1901).
Adelung-1793: Wiese, die · Jacobs-Wiese, die
Brockhaus-1911: Wiese [2] · Wiese
Meyers-1905: Wiese [3] · Wiese [4] · Gräflich Wiese · Wiese [2]
Pierer-1857: Wiese [2] · Wiese [3] · Dreischürige Wiese · Wiese [1]
Buchempfehlung
Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«
270 Seiten, 9.60 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro