Gastmahl

[381] Gastmahl, eine festliche Mahlzeit, die aus einer Reihenfolge von Gerichten besteht, und für deren Veranstaltung gewisse in der Sitte des betreffenden Landes begründete Regeln gelten. Die ältesten festlichen Mahlzeiten waren Leichenschmäuse zu Ehren von Verstorbenen und Opfer- oder Tempelmahle, zu denen die Götter eingeladen und ihre Bilder auf Kissen herangerückt wurden. Daher die Sagen von den Mahlen, die Zeus bei den Sterblichen eingenommen, die griechische Sitte, bei jedem G. den Göttern und der Hestia voran sowie den Toten zu opfern. Hieraus entwickelte sich die Sitte, bei festlichen Gelegenheiten, Hochzeiten u. dgl., Freunde und Verwandte zu gemeinsamen Mahlzeiten zu versammeln. Bei den Griechen pflegten[381] die Festlichkeiten auf gemeinschaftliche Kosten in Geld- oder Naturalbeiträgen (symbolaí) im Hause eines der Teilnehmer oder eines Freigelassenen veranstaltet zu werden (deipnon apò symbolōn, bei Homer éranos). Erst später entstand hieraus die Sitte, daß ein Einzelner Gäste zur Bewirtung auf seine eignen Kosten einlud. Doch blieb es auch dann noch den Eingeladenen gestattet, uneingeladene Gäste mitzubringen. Aus dem Mißbrauch dieser Sitte entwickelte sich eine besondere Art von berufsmäßig uneingeladen an den Tafeln der Gastgeber erscheinenden Gästen: die sogen. Parasiten (s.d.). In Griechenland bestanden in der Ausrichtung festlicher Mahlzeiten bei den verschiedenen Stämmen und Staaten erhebliche Unterschiede. Die Syssitien der Spartaner waren sehr einfach; bei andern Stämmen, namentlich Böotiern und sizilischen Griechen, erreichte der Tafelluxus eine hohe Entwickelung. Frauen und Kinder waren in der Regel von den Gastmählern ausgeschlossen. Während man früher, z. B. noch zu Homers Zeiten, sitzend gespeist hatte, aß man später, den linken Arm auf das Rückenkissen gestützt, im Liegen, gewöhnlich zwei Personen auf einem reichgeschmückten Ruhebett (kline). In der Regel hatten auch je zwei Gäste einen eignen Tisch. Auf die Ausschmückung des Speisezimmers mit Blumen und Kränzen und die festliche Kleidung der Gäste wurde besonderer Wert gelegt. Man bevorzugte in der Kleidung helle, leuchtende Farben, salbte Haupt und Bart mit wohlriechenden Olen und schmückte sich wohl auch selbst mit Blumen und Kränzen. Vor dem Essen nahmen Sklaven den Gästen die Sohlen ab und wuschen die Füße. Vor und nach der Tafel wurde, weil man die Speisen mit den Fingern zum Munde führte und nur eine Art Löffel benutzte, Wasser zum Händewaschen gereicht, eine Sitte, die heutzutage noch im Orient befolgt wird. Handtücher wurden von den Gästen mitgebracht, und man pflegte hierin großen Luxus zu entwickeln. Während des Essens reinigte man die Hände mit gekneteten Brotkrumen, die nachher den Hunden vorgeworfen wurden. Gourmands härteten ihre Hände gegen die Hitze ab oder trugen Handschuhe, um die Speisen möglichst heiß genießen zu können. Vorschneider zerlegten die Speisen vor dem Servieren in kleine Stücke. Tischtücher kannte man nicht; nach jedem Gang wurden die Tische gereinigt. Das gesamte Arrangement stand unter der Oberleitung des Symposiarchen, der zugleich die Aussicht über das Trinken führte. In der Regel wurde nur mit Wasser vermischter Wein getrunken; der Genuß ungemischten Weines bei der Mahlzeit galt als barbarisch. Nach Beendigung der Hauptmahlzeit wurden die Tische weggenommen, der Fußboden gereinigt, das Waschwasser nebst einer Art wohlriechender Seife gereicht und hierauf das Trankopfer mit ungemischtem Wein gebracht. Erst dann wurde der Nachtisch, bestehend aus Früchten, Salz (um den Durst zu reizen), Käse und Backwerk, aufgetragen. Nach dem Nachtisch begann das Trinkgelage (symposion). – Bei den Römern waren die Gastmähler in alter Zeit einfacher Natur. Später gestaltete sich das Arrangement einer Festtafel ähnlich wie bei den Griechen. Gegen Ende der Republik, wo man die asiatische Üppigkeit kennen gelernt hatte, stiegen Luxus und Verschwendung in hohem Grade. Man richtete seltene Speisen an (Pfauengehirn, Nachtigallenzungen), teure Fische, die man auf der Tafel sterben ließ, um sich an ihrem Farbenspiel zu ergötzen, benutzte sehr pikante Saucen (wie z. B. das den Barbaren entlehnte Garum), kühlte die Getränke in Schneesieben etc. Berühmt sind z. B. die Gastmähler des Lucullus im Apollosaal, die einen enormen Kostenaufwand (ca. 30,000 Mk. oder nach einer andern Lesart 25,000 Sesterzen für das Kouvert) verursacht haben sollen. Das G. des Trimalchio, eines emporgekommenen Freigelassenen, beschreibt Petronius im »Satiricon«. Die größten Summen wurden für die gesamte prachtvolle Ausstattung dieser Feste ausgegeben. In den ältern Zeiten speiste man einfach im Atrium, später richtete man besondere Speisezimmer (triclinia) ein; die vornehmen Römer der spätern Zeiten hatten für ihre Gastmahle nach den Jahreszeiten verschiedene Triklinien. Der Tisch war auf drei Seiten von für drei oder auch mehr Personen eingerichteten Speiselagern (lecti) umgeben. Die vierte Seite des Tisches blieb frei, weil dort Speise und Getränke aufgetragen wurden. Ein römisches G. bestand aus dem Vormahl (Vorkost: promulsis, gustus), Eier, Schaltiere, Fische mit pikanten Saucen, Marinaden etc., dazu ein aus Most oder Wein und Honig bereiteter Met (mulsum); Hauptmahlzeit (pugna oder proelium), die aus verschiedenen Gängen (ferculae) zusammengesetzt war, und dem Nachtisch (mensae secundae oder tertiae), bestehend in Backwerk (bellaria), frischem und getrocknetem Obst und Schaugerichten. Beim Nachtisch erschienen Flötenspieler, Sänger und Sängerinnen, Tänzerinnen, auch Possenreißer aller Art, um die Gäste zu erheitern. Auch Geschenke wurden an die Gäste verteilt.

Die alten Germanen vereinten sich oft und gern zum festlichen Mahl; fast alle wichtigen Angelegenheiten wurden beim G. verhandelt. Die Speise war einfach: Fleisch, Wildbret, geronnene Milch und Feldfrüchte; das Getränk in ältester Zeit wahrscheinlich ein aus wildem Honig bereiteter Met, später eine aus Gerste oder Weizen bereitete Flüssigkeit, die, wie Tacitus sagt: »zu einiger Ähnlichkeit mit Wein verderbt war«. Diese Gelage waren besonders häufig in der Julzeit, vielfach Opfergelage, bei denen der Götter »Minne getrunken« wurde. So traf der heil. Columbanus im 7. Jahrh. um ein großes Biergefäß gelagerte Sueven und erfuhr, daß sie »dem Wodan opferten«, und dieses Trinken der Götterminne lebte lange im Christentum als Johannis-, St. Gertruds- etc. Minnetrank (d. h. Gedächtnistrank) fort. Im Mittelalter liebte man auf festlichen Tafeln stark gewürzte Leckerbissen und komplizierte Brühen, zierlich geformtes Backwerk und Konfitüren. Den Tisch bedeckte ein weit über die Ränder herabfallendes Tuch, mitten darauf stand das Salzfaß, ringsherum lagen die Brote. Auch jetzt wurde noch immer mit den Fingern gegessen, daher der Gebrauch von Waschwasser und Handtüchern bei Tische. Die Tafel wurde in der mit Teppichen belegten großen Halle, deren Wände mit gewirkten Tapeten (Rückelachen) geschmückt waren, angerichtet, bei größern Festlichkeiten auch in den sogen. »Wurmlagen« (s.d.) im Freien; die Tafeln wurden mit Blumen bestreut, über denselben Kränze und Girlanden aufgehängt. Auf einem Nebentisch oder auf einem neben dem speisebesetzten Tisch angebrachten staffelförmigen Gestell (Tresur) wurden Trinkgefäße, Humpen, Kannen, Pokale aus Gold, Silber und Kristall zur Schau gestellt. Die Speisezettel aus dieser Zeit enthalten Fleischspeisen, Wildbret (Steinböcke, Auerochsen, Murmeltiere, Bären), Vögel (Birk- und Auerhähne, Schwäne etc.), Fische (Lachs, Rotfische, Hausen, Heringe und Stockfisch) und Obst. Das Hauptgetränk blieb Bier; Wein (namentlich süße, südliche Sorten oder gewürzte Weine) wurde nur ausnahmsweise und[382] bei reichen Leuten gereicht. Die Gerichte wurden auf die Tafel gestellt, dann an Nebentischen zerlegt und so den Gästen gereicht, und zwar nicht von der Seite, sondern von vorn über den Tisch hinweg, weshalb nur die eine Seite der Tafel mit Gästen besetzt war. An Höfen war das Zeremoniell besonders feierlich, und der Herrscher speiste, von den ersten Würdenträgern bedient, gewöhnlich für sich an einem besondern Tisch. Viollet le Duc gibt in seinem Werk »Du mobilier français« die Beschreibung eines großen Banketts, das der Herzog von Lancaster für den König von Portugal 1386 veranstaltete (1. Bd., S. 367). Vom 16. Jahrh. an wurden in bezug auf die Freuden der Tafel französische und italienische Sitten maßgebend. Bei öffentlichen Anlässen stiegen Pracht und Luxus. Doch wurde noch der Hauptwert auf die Menge der Speisen und deren Konsistenz gelegt. Schaugerichte, wie der Pfau und Schwan, die mit ihrem Federschmuck bekleidet auf den Tisch kamen, künstliche Früchte, z. T. vergoldet, spielten eine große Rolle. In den ältern Zeiten wurden bei Tafel feierliche Gelübde beim Herumreichen des Eberhauptes (Eberschwur in der Frithjofssage), später des Pfauenbratens (vœu du paon) für künftig zu verrichtende Rittertaten abgelegt. Von der Menge der Speisen gibt der Speisezettel eines Gastmahls einen Begriff, das der Magistrat von Marseille 22. Okt. 1589 für 24 Personen ausrichtete: 434 Stück Wild und Geflügel, 250 kleine Vögel, 150 kg Fleisch, 50 kg Schinken und Wurst, 10 Dutzend Schöps- und Schweinsfüße, desgleichen Ohren, 10 kg Käse, 750 kg Brot, 45 kg Obst, 720 Lit. Tischwein und 260 L. Muskatwein, ingleichen für 120 Livres seines Gebäck.

In neuester Zeit hat sich hier und da, namentlich in England, eine Bevorzugung kostbarer Gerichte herausgebildet, wie sie in den schlimmsten Zeiten der alten Römer üblich war. Man genießt Suppe aus Waldschnepfenkeulen, Pfauenzungen, Keulen kleiner seltener Vögel, die in vier ineinander geschachtelten größern Vögeln gebraten und allein verzehrt werden, während die Umhüllungen fortfallen etc. Im Laufe der Zeit entstanden für Gastmahle drei Systeme des Servierens. Zunächst das altenglische, das aus drei Gängen bestand. Die sämtlichen Speisen eines Ganges befinden sich zugleich auf der Tafel; die Speisen werden nicht durch die Dienerschaft gereicht, sondern von den Gästen bei demjenigen erbeten, vor dessen Platz die gewünschte Speise aufgestellt ist. Die Dienerschaft reicht auf Verlangen nur die Speisen, die auf Seitentischen (Büfetten) aufgestellt sind. In England wird auch gegenwärtig noch ausnahmsweise nach diesem System serviert. Daß man aber zu Anfang des 19. Jahrh. auch in Frankreich mit Vorliebe auf diese Weise festliche Tafeln anrichtete, geht aus dem »Manuel des Amphitryons« von Grimod de la Reynière hervor. Das eigentliche französische Service teilt das Diner gleichfalls in drei Hauptgänge, von denen zwei der Küche angehören, der dritte aber das gesamte Dessert umfaßt. Die Entrées, Entremets und Relevés stehen auf der Tafel; die großen Fleischgerichte werden aber von Nebentischen aus serviert. Alle Speisen werden den Gästen von der Dienerschaft gereicht. Endlich das russische Service, bei dem nur das Dessert und zwar vom Anfang des Mahles an auf der Tafel steht, sämtliche Speisen aber, ohne vorher auf die Tafel gestellt zu werden, von der Dienerschaft herumgereicht werden. Die Diners der Gegenwart werden in der Regel nach russischer Methode serviert. Ausnahmsweise wird wohl ein besonders schönes Stück einen Moment auf den Tisch gesetzt, aber dann an Nebentischen sofort zerlegt. In England und Frankreich ist es neuerdings wieder Mode geworden, daß an einem Nebentisch vom Haushofmeister Portionen der einzelnen Gerichte auf Teller gelegt und diese von der Dienerschaft den Gästen gereicht werden. In kleinern Kreisen übernimmt die Wirtin dieses Vorlegeamt. S. Diner. Vgl. über den griechischen Tafelluxus Athenäos, G. der Weisen (Deipnosophistae), über den römischen außer Petronius, Plinius, Seneca und Martial: Friedländer, Zur Geschichte des Tafelluxus (in der »Deutschen Rundschau«, Bd. 22); Beckers »Charikles« und »Gallus« (neue Ausgaben von Göll, Berl. 1877 u. 1883); Guhl u. Koner, Leben der Griechen und Römer (6. Aufl., das. 1893); Ménard, La vie privée des anciens (Par. 1880–82, 4 Bde.); Le Grand d'Aussi, Vie privée des Français (das. 1782, 3 Bde.); Specht, Gastmähler und Trinkgelage bei den Deutschen bis ins 9. Jahrhundert (Stuttg. 1887); Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter (Frankf. 1868); A. Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, Bd. 1 (2. Aufl., Leipz. 1889); v. Malortie, Der Hofmarschall (3. Aufl., Hannov. 1867, 3 Bde.) und Das Menu (3. Ausg., das. 1888, 2 Tle.); Stutzenbacher, Das Diner (2. Aufl., Berl. 1894); Weiteres s. Gastronomie.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 381-383.
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