Fehlgeburt

[379] Fehlgeburt (Abortus, franz. Fausse couche), die vorzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft in den ersten 28 Wochen, d. h. in dem Zeitraum, wo die zur Welt kommende Frucht noch nicht lebensfähig ist. Erst eine nach der 28. Woche geborne Frucht vermag bei sorgfältiger Pflege außerhalb des mütterlichen Organismus fortzuleben. Von diesem Zeitpunkt an führt die vorzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft den Namen Frühgeburt (s.d.). Wie häufig der Abortus im Verhältnis zur rechtzeitigen Geburt vorkommt, läßt sich nicht feststellen, da er in einer großen Zahl der Fälle nicht zur Kenntnis des Arztes[379] gelangt, oft auch von der Schwangeren selbst nicht richtig gedeutet wird. Am häufigsten ist er in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft. Je weiter letztere in ihrer Dauer vorrückt, um so seltener werden die Fehlgeburten. Eine Ausnahme macht nur die Zeit um die 28. Schwangerschaftswoche, in der es wieder öfter zur vorzeitigen Ausstoßung der Frucht kommt. Die Ursachen der F. sind entweder auf Erkrankungen des mütterlichen Organismus oder des Eies selbst oder auf gewisse äußere Einflüsse zurückzuführen. Zu den Krankheiten der Mutter, die leicht Abortus hervorrufen, gehören die akuten Infektionskrankheiten (z. B. Scharlach, Typhus, Lungenentzündung) wie die chronischen (z. B. Syphilis), ferner gewisse Unterleibskrankheiten, insbes. Lageveränderungen und chronische Entzündungen der Gebärmutter. Von andern Einflüssen sind alle heftigen Erschütterungen des mütterlichen Körpers (durch Stoß, Fall, Schlag auf den Leib, Tanzen, Reiten etc.) zu nennen, körperliche Überanstrengungen, schweres Heben, heftige Gemütsbewegungen und sogen. fruchtabtreibende oder Abortivmittel. Den absichtlich und widerrechtlich herbeigeführten Abortus nennt man Abtreibung (s.d.), ein Verbrechen, das die Strafgesetzgebung mit schweren Strafen belegt. Vom Arzte darf der künstliche Abortus nur in jenen seltenen Fällen eingeleitet werden, wo die vorzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft das einzige Mittel ist, das mütterliche Leben zu erhalten. Von den Erscheinungen, die den Abortus in den ersten Monaten kennzeichnen, sind die Blutungen die wesentlichste. Ost setzen sie, besonders in der frühesten Zeit der Schwangerschaft, ohne Vorboten ein und führen nach Ablauf weniger Tage zur Ausstoßung des Eies. In den spätern Monaten gehen dem Eintritt der Blutungen meist ziehende, wehenartige Schmerzen voraus, die vom Kreuz nach dem Unterleib ausstrahlen. War die Schwangerschaft schon über die Mitte vorgeschritten, so lassen allgemeines Übelbefinden, Frostgefühl, Gefühl der Schwere und Kälte im Leib und Aufhören der Kindesbewegungen auf den erfolgten Tod der Frucht schließen. Der Verlauf des Abortus kann ein verschiedener sein. Im günstigsten Fall wird das Ei nach kurzer Blutung und Wehentätigkeit im ganzen ausgestoßen; in andern Fällen reißt der Fruchtsack ein, und der Fötus wird ausgestoßen, während die Eihäute zurückbleiben (unvollständiger Abortus). Diese Eireste können sich im Verlauf der nächsten Woche von selbst loslösen und stückweise abgehen, oder sie werden in der Gebärmutter zurückgehalten und unterhalten dann fortwährende Blutungen, die durch ihre Dauer und Stärke die Kranken außerordentlich schwächen und sogar ihr Leben gefährden können. Ferner droht aber beim unvollständigen Abortus die besonders zu fürchtende Gefahr der Infektion. Unter dem Einfluß von außen eindringender Bakterien fallen die in der Gebärmutter zurückgebliebenen Eireste leicht der Zersetzung und Fäulnis anheim (septischer Abortus) und können dann jederzeit zum Ausgangspunkt einer allgemeinen Vergiftung des ganzen Körpers werden, die ein langes Krankenlager, in vielen Fällen sogar den Tod zur unausbleiblichen Folge hat. Zu den Maßnahmen, die der F. in manchen Fällen vorzubeugen imstande sind, gehört in erster Linie das Fernhalten aller den Eintritt eines Abortus begünstigenden äußern Einflüsse, wie stärkere Erschütterungen des Körpers, körperliche Überanstrengungen und Gemütsaufregungen. Ferner ist beim Beginn einer jeden Blutung, die immer die Gefahr eines Abortus naherückt, strengste Bettruhe und ein entsprechendes diätetisches Verhalten angezeigt. Frauen, die schon mehrfach und immer zur nämlichen Zeit der Schwangerschaft abortiert haben, müssen kurz vor Eintritt dieses Termins gleichfalls längere Zeit Bettruhe einhalten. Auf solche Weise wird der kritische Zeitpunkt oft glücklich überwunden, und die Schwangerschaft kann weiterhin einen ungestörten Verlauf nehmen. Zeigt eine stärkere Blutung an, daß die F. bereits im Gang ist, so soll in jedem Fall ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden, da nur bei sachgemäßer Leitung und Behandlung des Abortus die bedrohlichen Folgezustände vermieden werden können. Nach beendetem Abortus müssen die Frauen mindestens acht Tage das Bett hüten und sich auch im übrigen ganz wie bei einem Wochenbett nach rechtzeitiger Geburt verhalten. – Die künstliche Einleitung der F. durch den Arzt erfolgt besonders durch den Eihautstich, durch Reizung des Gebärmutterhalses mittels zwischen Eihäuten und Uterusrand eingeführter Instrumente oder hier eingespritzter Flüssigkeit, ferner durch Erweiterung des Muttermundes durch eingelegten Preßschwamm und durch andre Mittel. Innerliche Mittel werden, weil zu unsicher oder durch starke Giftwirkung für die Mutter gefährlich, von Ärzten nicht angewendet, häufig jedoch von Laien bei der verbrecherischen Fruchtabtreibung. Hierher gehörige Mittel sind Mutterkorn, Sabina, Kanthariden, Phosphor und andre teils schwer giftige, teils völlig unwirksame Substanzen. Bei Ausführung des Eihautstiches durch Laien werden oft Nebenverletzungen und eiterige Infektionen mit folgendem septischen Abortus herbeigeführt. Dementsprechend ist die Sterblichkeit bei der verbrecherischen Fruchtabtreibung außerordentlich groß (64 Proz.)

F. bei Haustieren, die Frühgeburt, bei der das Junge noch nicht lebensfähig zur Welt kommt, wird allgemein auch Verwerfen, bei den einzelnen Tierarten Verfohlen, Verkalben, Verlammen, Verferkeln genannt. Bei Stuten gibt es fast 10 Proz. Fehlgeburten (Statistik der Landgestüte), bei Kühen etwa ebensoviel. Ursachen sind üble Zufälle, Sturz, Mißhandlung, Schläge und Stöße in die Weichen, Aufregung, anstrengendes Anziehen bei Stuten, ungeeignetes Futter, namentlich Aufblähen und Pansenüberladung bei Kühen (sporadischer Abortus); individuelle Anlage (habitueller Abortus); endlich ein Infektionsstoff (seuchenhafter Abortus). Der infektiöse Abortus kommt bei Kühen häufig vor. Fast alle Tiere des betr. Stalles verkalben im 5.–7. Monat der Trächtigkeit und eventuell mehrere Jahre hintereinander; dann pflegt der Abortus von selbst aufzuhören. Abschaffung der alten und Einstellung neuer Kühe ist zu widerraten, weil letztere wieder verkalben, da der Infektionsstoff sich im Stalle hält und auch durch gründliche Desinfektion schwer zu beseitigen ist. Vorbeugende Behandlung der tragenden Kühe mit 2prozentigen subkutanen Karboleinspritzungen wurde von Bräuer empfohlen, aber verschieden beurteilt. Das Wesentliche ist, das Einnisten des seuchenhaften Abortus im Stalle durch Vorbeugung zu verhindern. Der Infektionsstoff ist in den Fruchthüllen, bez. in den Genitalien der Kuh vorhanden und wird bei der Begattung durch die Genitalien des Bullen übertragen. Am wichtigsten ist daher Desinfektion jedes neu in den Stall gebrachten Stieres, bez. des alten Stieres, sobald er eine fremde Kuh besprungen hat (Einspritzung von 1/2proz. Lysollösung in den Schlauch). Ebenso wichtig ist, sobald im Stall eine Kuh aus unbekannten Gründen abortiert, alle natürlichen [380] Abgänge bei der Geburt sorgfältig zu beseitigen und den Stand der Kuh gründlich zu desinfizieren. Vgl. Herter-Burschen in den »Schriften des deutschen milchwirtschaftlichen Vereins«, Nr. 27 (1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 379-381.
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