Freie Bühnen

[60] Freie Bühnen heißen nach dem Vorbilde des in Paris von dem Schauspieler Charles Antoine bis 1894 geleiteten Théâtre libre in Deutschland begründete Schauspielunternehmungen, deren erste der Verein Freie Bühne war, der im April 1889 in Berlin durch Otto Brahm (s.d.) und einige gleichstrebende Genossen ins Leben gerufen wurde. Da die Aufführungen der Freien Bühne, die besonders solche Dramen berücksichtigen sollte, »die den ständigen Bühnen ihrem Wesen nach schwerer zugänglich sind«, nur für die Mitglieder des Vereins veranstaltet wurden, unterlagen die gewählten Stücke nicht der Theaterzensur. So brachte das erste Vereinsjahr Ibsens »Gespenster«, »Vor Sonnenaufgang« und »Das Friedensfest« von Gerhart Hauptmann, »Henriette Maréchal« von I. und E. de Goncourt, »Der Handschuh« von B. Björnson, »Die Macht der Finsternis« von Graf Leo Tolstoi, »Das vierte Gebot« von L. Anzengruber, »Die Familie Selicke« von A. Holz und I. Schlaf, »Auf dem Heimweg« von A. Kjelland und »Von Gottes Gnaden« von A. Fitger. Die starke Bevorzugung der ausländischen Literatur einerseits und des platten Realismus anderseits führte im April 1890 zur Begründung eines zweiten Vereins unter dem Namen Deutsche Bühne, der indessen seine Tätigkeit schon im Juli 1891 einstellte; und auch die Freie Bühne mußte ihre Aufführungen im zweiten und dritten Vereinsjahr bedeutend beschränken und darauf ganz einstellen. Im August 1890 wurde in Berlin als Freie Volksbühne ein dritter Verein begründet, der sich besonders an die arbeitenden Klassen wendete und deshalb, den Berliner Verhältnissen entsprechend, ein sozialdemokratisches Gepräge erhielt. Streitigkeiten im Vorstand führten 1892 zu einer Spaltung des Vereins, und der frühere Vorsitzende Bruno Wille (Herausgeber der Zeitschrift »Der Freidenker«) begründete im Oktober 1892 eine Neue freie Volksbühne, die bis Anfang 1903 unter seiner Leitung blieb. Dann übernahm I. Ettlinger den Vorsitz. Die Freie Volksbühne stellte ihre Tätigkeit, nachdem sie 1895 der Zensur unterworfen worden war, im März 1896 ein. Vereine unter dem Namen Freie Bühne wurden auch in München, Wien und Kopenhagen gegründet. Der Wiener Verein hat sich aber aus Mangel an Teilnahme bald wieder aufgelöst.[60]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 60-61.
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