Gefängnisbauten

[432] Gefängnisbauten (hierzu Tafel »Gefängnisbauten I und II«). Im Altertum und im Mittelalter kannte man G. im heutigen Sinne nicht. Die Gefängnisse waren, wie der Kerker und die Burgverliese, andern Bauanlagen, Palästen, Burgen, öffentlichen Gebäuden, je nach Bedarf eingefügt und in primitivster Form, oft ohne Luft, Licht und regelrechten Zugang angelegt. Erst mit den Anfängen des Gefängniswesens, seit dem 16. Jahrh., kamen eigentliche G. auf, und erst im Laufe des 19. Jahrh. gelangten sie zu vollkommenerer Entwickelung. Je nach den verschiedenen Strafvollzugsystemen unterscheiden sich die baulichen Anlagen im wesentlichen danach, ob sie für Einzel- oder Gemeinschaftshaft dienen sollen. Häufig sind die Bauanlagen für Mischung beider Systeme einzurichten. Die G. stufen sich ihrem Umfang und demgemäß auch ihrer Einrichtung nach ab, je nachdem sie für Hast- oder kurze Gefängnisstrafen oder für Untersuchungshaft errichtet werden, oder ob sie der Verbüßung längerer Gefängnisstrafen dienen sollen. Auch das örtliche Bedürfnis ist maßgebend. Für Zuchthausstrafen von einem Jahr bis zu lebenslänglicher Dauer werden sogen. Strafanstalten erbaut. Auf die gesundheitliche Wohlfahrt der Gefangenen wird in unsrer von humanitären Anschauungen erfüllten Zeit auch in baulicher Hinsicht (Lage zu den Himmelsrichtungen, Heizung, Lüftung, Körperreinigung, Krankenpflege, Desinfektion etc.) weitgehende Rücksicht genommen. Trennung der Geschlechter wird überall streng durchgeführt. Das Raumbedürfnis ist dementsprechend im allgemeinen folgendes. Für den regelmäßigen Aufenthalt der Gefangenen sind Einzelzellen (Isolierzellen) oder Arbeits- und Schlafräume erforderlich. Über die Einrichtung der Einzelzellen, die etwa 25 cbm Luftraum und 1 qm Fensterfläche enthalten, geben die Fig. 1 u. 2 der Tafel I mit ihrer Legende Aufschluß. Die Arbeitsräume erhalten eine Größe von 3–7 qm auf den Kopf je nach der Arbeitsart; sie werden hier und da durch Arbeitsbaracken ersetzt. In die Schlafsäle werden zur Trennung der Gefangenen in der Regel Schlafbuchten von etwa 2,6 qm Grundfläche mit festen Wänden, Drahtgitterdecke und verschließbarer, durchbrochener Tür eingebaut (Fig. 3). Zu den genannten Räumen, deren Zugänge so an die Flure gelegt werden müssen, daß sie sich tunlichst von einem Punkt übersehen lassen (panoptische Einrichtung), treten Krankenzimmer, Badezellen, Strafzellen, Aufnahme- und Reinigungszellen, Spülzellen, ferner ein Andachtsraum, Wirtschaftsräume sowie ein Amtszimmer und Wohnung für den Inspektor oder Oberaufseher. Bei größern Anstalten kommen noch Zimmer für den Arzt, den Geistlichen, die Untersuchungsrichter, wohl auch eine besondere Abteilung für jugendliche Gefangene hinzu.

Als Beispiel eines kleinern Gefängnisses, wie sie auch den Gerichtsgebäuden (s.d.) selbständig oder als Anbauten beigefügt werden, kann das Schema Fig. 4 u. 5 gelten. Es besteht in einem Untergeschoß mit Koch- und Waschküche, Speisekammer, Badezelle, Reinigungszelle, Strafzelle, Abort und Vorratsräumen sowie in den beiden abgebildeten, 3 m hohen Obergeschossen. Die Geschlechter sind nach Geschossen getrennt. In Fig. 6 u. 7 ist der Typus eines größern Gefängnisses (für 97 Männer und 32 Weiber) im Erdgeschoß und zweiten Stockwerk dargestellt. Im Untergeschoß liegen die Wirtschaftsräume sowie Bade-, Straf-, Spül- und Reinigungszellen, im ersten Stock eine Wohnung des ersten Wärters, ein Zimmer der Wärterin, ein Schlafsaal, im übrigen Zellen für Gefangene. Die Weiber sind in dem linken Teile des Vorderflügels untergebracht. Die heutigen Strafanstalten bilden gewöhnlich größere Gebäudekomplexe. Dazu gehören: 1) Das oder die Gefängnisgebäude. Sie stehen in Höfen, die mit 5–6 m hohen Mauern umgeben sind und manchmal noch besondere, fächerförmig angeordnete Spazierhöfe für strenge Isolierhaft enthalten. Bei größern Anstalten ist neben dem Hauptgefängnisgebäude, das dann Männergefängnis ist, noch ein besonderes Weibergefängnis, unter Umständen auch noch ein selbständiger Bau für jugendliche Gefangene vorhanden, beide ebenfalls in mauerumschlossenen Höfen belegen. 2) Beamtenwohnhäuser, die, landhausartig angelegt, in Gärten gestellt zu werden pflegen. 3) Die in einem besondern, ummauerten Hof errichteten Wirtschaftsgebäude. 4) Die in einem eben solchen Hofe belegene Krankenanstalt. 5) Ein Torgebäude u. 6) wohl auch ein mehr oder minder großes Ackerland, das der Bewirtschaftung durch die Gefangenen dient. Für das Hauptgebäude ist in Preußen die Kreuzform oder eine sonstige strahlenförmige Grundrißanordnung mit großen, durch alle Geschosse reichenden panoptischen Fluren typisch geworden. Der Vorderflügel ist Verwaltungsflügel und enthält auch den Betsaal, die übrigen Flügel sind teils für Einzel-, teils für Gemeinschaftshaft eingerichtet. Die Weibergebäude und die Gebäude für Jugendliche pflegen T-förmigen Grundriß zu haben und folgen den Typen Fig. 4 u. 5 oder 6 u. 7. Der Betsaal erhält die in Fig. 9 angedeutete Einrichtung, die der Durchführung vollständiger Isolierung dienen soll. Die Strafzellen werden nach Fig. 10 angelegt: In die Zellen sind eiserne Gitter mit verschließbaren Türen eingebaut, in denen sich die gemauerte, mit Bohlen belegte Pritsche befindet; die Fenster sind mit Verdunkelungsläden versehen. Für den Besuch Fremder werden in solchen Anstalten besondere Besuchszimmer eingerichtet, bei denen der Raum, in dem sich der Besuchende befindet, von dem des Besuchten mit einer überwachten, vergitterten Sprechöffnung verbunden wird. Ein Beispiel einer solchen großen Anlage, die allen neuzeitlichen Anforderungen entspricht und zur Aufnahme von 814 Gefangenen dient, bildet die Strafanstalt in Wronke (Tafel I, Fig. 8, und[432] Tafel II); ihr sind auch die Einrichtungen in Fig. 9 u. 10 entnommen. In Karlsruhe (Baden) ist neuerdings, nach russischem Muster, ein Gefängnisgebäude mit rechteckigem Grundriß errichtet worden, bei dem die Zellen sämtlich nach innen, nach einem großen Hofe zu liegen und auf eine rings an den Außenfronten herumlaufende, für jeden Flügel panoptische, gangartige Halle münden. Vgl. Krohne, Die Gefängnisbaukunst (Hamb. 1887); Krohne und Über, Die Strafanstalten und Gefängnisse in Preußen (Bd. 1, mit Atlas, Berl. 1901); Landauer u. a. im »Handbuch der Architektur«, 4. Teil, 7. Halbband, Heft 1 (2. Aufl., Stuttg. 1900); weiteres bei »Gefängniswesen«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 432-433.
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