[433] Gefängnishygiene, die Fürsorge für die leibliche Gesundheit der Gefangenen. Während in den alten, meist überfüllten Gefängnissen bei Mangel an Luft und Licht und bei schlechter Ernährung der Tod reiche Ernte hielt, so daß eine Verurteilung zu längerer Gefängnisstrafe fast einem Todesurteil gleichkam, geht man jetzt von der Anschauung aus, daß es unmöglich im Sinn des Gesetzes liegen kann, einen zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten dauernd an seiner Gesundheit zu schädigen oder langsamem Siechtum entgegenzuführen. Man baut deshalb die neuern Gefängnisse entsprechend den allgemeinen hygienischen Anforderungen und hat dadurch eine bedeutende Herabminderung der Sterblichkeit erzielt. Es ist in der Regel vorteilhaft, große Gefängnisse zu bauen, deren Stockwerke und Flügel aber durchweg hinreichend Luft und Licht erhalten, und deren Zellen soviel wie möglich von der Sonne beschienen werden sollen. Eine Lage in der Richtung von Nordosten nach Südwesten gewährt die meisten Vorteile. Die Größe der Einzelzellen, in denen sich die Gefangenen Tag und Nacht aufhalten, soll 2528 cbm betragen bei einer Höhe von 3 m. Das Fenster soll mindestens 1 qm groß sein, und damit die eisernen Traljen den Luftzutritt nicht zu stark beschränken, konstruiert man die Fenster selbst aus starken Sprossen derartig, daß besondere Vergitterung überflüssig wird. Dient die Zelle nur zum Aufenthalt des Gefangenen bei Nacht, so reicht ein Raum von 1546 cbm aus. In Schlafsälen rechnet man auf den Kopf 1214 cbm, da durch reichliche Lüftung hinreichend für Lufterneuerung gesorgt werden kann. In guteingerichteten Gefängnissen hat man besondere Arbeitssäle, und am besten bewähren sich als solche in den Höfen aufgestellte Baracken mit Ober- und Seitenlicht, in denen für jeden Gefangenen ein Luftraum von mindestens 1012 cbm erforderlich ist; bei Beschäftigungen mit Staubbildung aber erheblich mehr. Die Türen der Baracken werden im Sommer zweckmäßig durch eiserne Gitter ersetzt. Zwischen den einzelnen Gefängnisgebäuden müssen geräumige Höfe liegen, um den Gefangenen ausgiebige Bewegung in frischer Luft gestatten zu können. In Isoliergefängnissen ist Zentralheizung unumgänglich, in größern Sälen ist Lokalheizung anwendbar, und zwar benutzt man am besten eiserne Regulierfüllöfen mit Mantel, wenn nicht feuergefährliche Beschäftigungsart der Gefangenen (z. B. Tischlerei) die Anwendung eiserner Ofen ausschließt. Die früher in Gefängnissen so häufigen typhösen Krankheiten waren wesentlich Folge unreiner Luft neben Raumüberfüllung und mangelhafter Ernährung. Trockner, durchlässiger Baugrund, gutes Baumaterial, zweckmäßige Belegung der Räume, peinlichste Sauberkeit und reichliches Öffnen der Fenster, namentlich in den Stunden, in denen die Gefangenen die Räume verlassen haben, tragen viel zur guten Beschaffenheit der Zimmerluft bei. Außerdem aber sind Öffnungen in der Höhe des Fußbodens und der Decke der Räume erforderlich, um frische Luft zu- und schlechte abzuführen. Die verdorbene Luft wird in Kanäle geleitet, die direkt in den Schornstein münden oder neben den Rauchrohren verlaufen und von diesen nur durch eine Blechwand getrennt sind. Zur schnellen Beseitigung der Abfallstoffe haben sich Gefängnisse in Städten deren Einrichtungen anzuschließen, isoliert liegende benutzen das Tonnensystem, wenn irgend hinreichende Wassermengen zu beschaffen sind, oder der Wasserklosetts mit Kanalisation und Rieselfedern.
Sehr schwierig und noch keineswegs völlig befriedigend gelöst ist die Aufgabe zweckmäßiger Ernährung der Gefangenen. Bei selbstverständlichem Ausschluß von Behaglichkeit und Luxus auf Staatskosten muß der Gefangene in einem bestimmten Ernährungszustand erhalten und vor bleibenden Schädigungen der Gesundheit bewahrt werden. Früher reichte man fast ausschließlich Vegetabilien (Brot, Gemüse) mit sehr wenig Fett und legte auf Zubereitung und Abwechselung geringes Gewicht. Die Folge waren Katarrhe des Magens und Darmes, Skorbut, Anämie, Wassersucht und früher Tod. Der Anblick der Speisen erregte nach kurzer Zeit Ekel, so daß die Gefangenen beim größten Hungergefühl nichts zu genießen vermochten. Jetzt erhalten die Gefangenen in den dem preußischen Ministerium unterstellten Strafanstalten bei möglichst reicher Abwechselung und sorgfältiger Zubereitung der Speisen 110 g Eiweiß, 24 g Fett und 677 g Kohlehydrate oder 100 g Eiweiß, 50 g Fett und 553 g Kohlehydrate und dabei dreimal wöchentlich durchschnittlich 70 g Fleisch. Das Eiweiß ist also auch jetzt noch ganz überwiegend Pflanzeneiweiß, das viel schlechter ausgenutzt wird als tierisches, dazu ist die Abwechselung noch nicht genügend, und die Form der Suppe und des Breies wiederholt sich zu oft. Es stellt sich auch jetzt noch bald genug Widerwille ein (die Gefangenen sind »abgegessen«), und man hat daher vielfach eine zwischen der gewöhnlichen und der Krankenkost stehende Mittelkost eingeführt, die den durch lange Strafzeit Geschwächten, Leuten im vorgerückten Alter, schwächlichen, blutarmen Individuen, Rekonvaleszenten etc. gereicht wird und sich vortrefflich bewährt hat. Die Kleidung der Gefangenen ist meist uniform, doch soll sie den Gewohnheiten der Gefangenen einigermaßen Rechnung tragen (Unterkleider). Jede Person muß ihr eignes Bett haben, Strohsack oder Matratze mit Kopfpolster und wollenen Decken. Täglich soll der Gefangene eine Stunde oder länger in freier Luft sich bewegen. Mindestens alle Monate sollte den Gefangenen ein Bad gereicht werden. Die Arbeit, die nicht ausschließlich als Straf-, Besserungs- oder Erziehungsmittel, sondern auch als hygienisches Mittel zur Erhaltung der Gesundheit betrachtet werden muß, hat sich den körperlichen Verhältnissen, den Fähigkeiten und der Neigung der Gefangenen anzupassen. Ungesunde Beschäftigungen sind auszuschließen. Ebenso ist das Arbeitspensum nach hygienischen Rücksichten zu bemessen. Sehr große Bedeutung für Erhaltung oder Kräftigung der Gesundheit ist Arbeit im Freien. Die Fürsorge für die Kranken fordert, daß in jedem Gefängnis ein Lazarett vorhanden sei. Kann in der Strafanstalt einem erkrankten Gefangenen geeignete Behandlung nicht zuteil werden, oder ist von der Fortsetzung der Hast nahe Lebensgefahr für ihn zu befürchten, so ist Unterbrechung der Hast und Beurlaubung[433] des Gefangenen gesetzlich zulässig. Geistes, krankheiten fordern sofortige Entfernung des Patienten aus der Isolierhaft und sehr häufig Unterbringung in Irrenanstalten. In den alten Gefängnissen forderten Typhus (Kerkerfieber), Skorbut, Skrofeln, Wassersucht zahlreiche Opfer, gegenwärtig treten diese Krankheiten gar nicht mehr oder nur noch sporadisch auf, aber die Gefangenen sind auch jetzt noch weniger widerstandsfähig als freie Menschen, und namentlich Lungenschwindsucht kann noch als spezifische Gefängniskrankheit betrachtet werden (weit über die Hälfte aller Todesfälle). Die Sterblichkeit in den Gefängnissen ist noch sehr groß (am größten im zweiten Strafjahr), keineswegs aber ausschließlich infolge des Einflusses der Hast, sondern sehr wesentlich auch wegen der schlechten Konstitution und der seelischen Zustände der meisten Gefangenen. Vgl. Baer, Die Hygiene des Gefängniswesens (Jena 1897).