Geschoßwirkung

[691] Geschoßwirkung, die Leistung eines Geschosses, die es infolge seines Verschießens hervorbringt. Man verlangt jetzt nur noch Durch schlagskraft und bei Artilleriegeschossen Sprengwirkung. Brandwirkung wird gelegentlich durch die Sprengladung erzeugt, Leuchtgeschosse haben gezogene Geschütze nur ausnahmsweise, da andre Leuchtmittel (Scheinwerfer etc.) jetzt zur Verfügung stehen. Die Geschosse der Handfeuerwaffen sollen nur Menschen und Pferde außer Gefecht setzen, wozu ihre Durchschlagskraft bis zum Ende ihrer Flugbahn hinreicht. Spreng- und Brandwirkung dieser Geschosse ist durch die Petersburger Konvention vom Jahre 1868 ausgeschlossen. Die Granaten sollen zunächst als Einzelgeschoß das Ziel treffen und dann noch durch ihre Sprengstücke wirken, gelegentlich auch brennbare Ziele entzünden. Im Festungskrieg sollen sie häufig in Erde oder Mauerwerk eindringen und durch die Sprengladung minenartig die Erde oder das Mauerwerk aufwerfen. Die gegen Panzerungen verwendeten Granaten sollen diese durchschlagen und dann durch die Sprengstücke gegen die Besatzung der Schiffe oder Türme wirken. Je größer die lebendige Kraft des Geschosses und die Kraft der Sprengladung ist, desto größer kann die G. sein. Die größte G. erzielt man, wenn die dem Geschoß innewohnende Kraft durch den Widerstand des Zieles bis zu einem geringen Überschuß ausgenutzt wird (die Arbeitsleistung). Die Eindringungstiefe der Geschosse ist abhängig von ihrer lebendigen Kraft, ihrem Durchmesser, der Form ihres Kopfes, dem Winkel, unter dem sie das Ziel treffen (Auftreffwinkel), der Festigkeit des Zieles und Geschosses. Bei gleicher lebendiger Kraft verhalten sich die Eindringungstiefen umgekehrt wie die Geschoßdurchmesser. Die günstigste Form der Spitze ist für das Eindringen die spitzbogen- oder die kegelförmige, erstere ist günstiger für das Abfließen der Luft. Für die G. der Panzergranaten sind wichtig: spezifisch schwerer Werkstoff (Stahl), Massivkonstruktion mit starken Wänden und voller Spitze ohne Mundloch. Die ältern preußischen Panzergeschosse durchschlugen auf ca. 500 m eine Panzerung von der Stärke des Geschoßdurchmessers, heute ist die Durchschlagskraft im Wettbewerb mit dem Panzer enorm gewachsen, so daß selbst die gehärteten Platten von Harvey und Krupps Nickelstahlplatten, fast meterdick von der 28 cm-, übermeterdick von der 30,5 cm-Kanone durchschlagen werden. Gegen Panzerdecks sind schwere Langgranaten mit brisanter Sprengladung in steilem Fallwinkel am wirksamsten, Kanonen versprechen erst vom 24 cm-Kaliber ab Erfolg. Die mineuartige G. gegen Mauerwerk, Erde etc. im Festungskrieg oder gegen Feldbefestigungen ist durch die brisanten Sprengstoffe erheblich gewachsen, doch kommt sie um so mehr zur Geltung, wenn das Geschoß entsprechend in das Ziel eingedrungen ist, man wendet daher Zünder mit Verzögerung an. Die G. beim Schrapnell hängt neben andern Umständen wesentlich von Zahl und Durchschlagskraft der Füllkugeln ab; letztere muß genügen, nicht nur lebende Wesen, sondern auch leichte Deckungen, Tornister etc. zu durchschlagen, man gibt ihnen daher ein Gewicht von mindestens 10 g. Die Anwendung von Schutzschilden bei Feldartillerie, Maschinen[691] gewehren etc. wird wohl dazu nötigen, die Kugeln statt von Blei von Stahl zu fertigen.

Die Stahlmantelgeschosse der 8 mm-Gewehre gehen auf 100 m Entfernung durch 1 m trocknes Tannenholz oder 0,9 m frisch aufgeworfenen Sand, 52 cm Rotbuchenholz; auf 300 m wird noch eine 7 mm dicke Schweißeisenplatte, auf 50 m noch eine 8 mm dicke Stahlplatte bester Art, auf 1800 m wird noch ein 5 cm starker kieferner Pfosten durchschlagen. Man nimmt an, daß es durch fünf hintereinander stehende Glieder hindurchgehen würde. Das Durchschlagsvermögen des 6,5 mm-Geschosses ist noch größer: es ging auf 32 m durch 124 cm und noch auf 2150 m durch 10 cm Tannenholz und würde, wie man annimmt, noch auf 3000 m einen Mann außer Gefecht setzen können. Bei den kleinkaliberigen Handfeuerwaffen kommen bei 4,5 Proz. aller Treffer Formveränderungen der Mantelgeschosse vor. Diese Formveränderungen gehen bis zu völliger Zersprengung des Geschosses und des Mantels, treten aber nur in Entfernungen bis zu 1600 m und beim Auftreffen des Geschosses auf große Knochen auf. Nicht deformierte Geschosse bleiben sehr selten stecken, dagegen sind Querschläger häufig, weil das Geschoß sofort die Querstellung annimmt, wenn es z. B. erst Weichteile, dann Knochen trifft. Die Hauteinschußöffnungen sind bei Nahschüssen größer als bei Fernschüssen, meist rund und glattrandig, während die Hautausschußöffnungen größer als die Einschußöffnungen und vielgestaltiger sind. Nur bei Nahschüssen, die den Knochen trafen, finden sich große, rißförmige Hautöffnungen, aus denen Knochen, Sehnen und Knochensplitter herausragen. Gefäße werden bis zu 1000 m durch bloße Streifschüsse zerstört. Die innere Blutung ist meist stärker als die äußere. Gefüllte Herzkammern werden zerrissen, leere zeigen Lochschüsse. Schüsse durch die Lungen sind, wenn nicht kompliziert (Querschläger, Knochensplitter), und wenn kein größeres Gefäß oder ein großer Bronchus zerstört wird, gutartig; Leber, Magen, Darm, Blase werden auf jede Distanz schwer verletzt. Der Schädel wird noch auf weite Entfernungen zerschmettert. Knochen zersplittern bis 600 m vollkommen, und noch bei 2000 m finden sich Knochensplitter in den Weichteilen hinter dem getroffenen Knochen. Günstig ist meist die Kleinheit der äußern Wunde, die es erleichtert, dieselbe mit einem Notverband so lange aseptisch zu erhalten, bis geregelte ärztliche Behandlung eintreten kann. Sprenggeschossen, welche die Petersburger Konvention verbietet, sehr ähnlich wirken die englischen Dumdum- und Hohlspitzgeschosse (s. Geschoß). Vgl. v. Coler und Schjerning, Die Wirkung und die kriegschirurgische Bedeutung der neuen Handfeuerwaffen (Berl. 1894); Bruns, Die Geschoßwirkung der neuen Kleinkalibergewehre (Tübingen 1889) und Über die Wirkung der neuesten englischen Armeegeschosse M/IV, Hohlspitzengeschosse (das. 1899); Bircher, Die Wirkung der Artilleriegeschosse (Aarau 1899); Küttner, Kriegschirurgische Erfahrungen aus dem Südafrikan. Kriege (Tüb. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 691-692.
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