Grubenexplosionen

[435] Grubenexplosionen, Explosionen in Bergwerken, werden durch das Auftreten Schlagender Wetter oder durch Kohlenstaub veranlaßt, meist aber wirken bei größern G. beide Gefahrenquellen gemeinsam. Die Schlagenden Wetter, im wesentlichen aus Methan (Grubengas CH4) bestehend, entwickeln sich bei Vermoderung organischer Stoffe unter Luftabschluß. Sie treten besonders in Steinkohlenflözen auf, die bald nach ihrer Bildung durch Schichten bedeckt wurden, die eine Entgasung verhinderten. Werden nun die Flöze durch Grubenbaue aufgeschlossen, so entweicht das aufgespeicherte, bisher zurückgehaltene Grubengas. Auf der westfälischen Zeche Hibernia streichen in einer Minute 7500 cbm Luft durch die Grube und kehren mit 0,6 Proz. Methan geschwängert wieder aus Tageslicht. Das macht minutlich 45 cbm und täglich 64,800 cbm reines Methan. Bewertet man 1 cbm Methan (entsprechend dem Preise des Leuchtgases) mit 10 Pf., so ergibt sich eine Summe von 6480 Mk., während die täglich geförderten Kohlen etwa 10–11,000 Mk. kosten.[435] In Mährisch-Schlesien gibt es Gruben mit so reichlicher Gasentwickelung, daß der Wert der Schlagwetter, wenn man sie gesondert gewinnen konnte, weit den Wert der geforderten Kohle überträfe. Es ist berechnet worden, daß auf einigen Feldesteilen der Zeche Westfalia bei Dortmund in 1 cbm Kohle 35 cbm Schlagwetter gesteckt haben müssen, die Gase müssen also in den kleinen Poren und Zwischenräumen der Steinkohle unter einem ganz gewaltigen Drucke zusammengepreßt sein, und auf einer belgischen Grube wurde ein Druck von 42 Atmosphären gemessen. Die Gefahr, die dem Steinkohlenbergmann aus den Schlagwettern droht, hängt zum großen Teil von der Neigung der Kohle ab, dieselben fahren zu lassen. Es gibt Kohlen, die bei gewöhnlicher Temperatur überhaupt nicht entgasen, ferner solche, bei denen die Entgasung regelmäßig mehr oder weniger schnell vor sich geht, bisweilen aber tritt die Entgasung plötzlich unter Zerstäubung der festen Steinkohle ein.

Bei der regelmäßigen Entgasung der Flöze tritt das Grubengas ständig aus der gesamten bloßgelegten Kohlenwand an die Luft aus. Dabei entsteht ein leises knisterndes Geräusch, indem die Kohlenpartikelchen der Oberfläche sich unter der Wirkung des austretenden Gases, wenn auch mit dem Auge nicht erkennbar, loslösen (»die Kohle krebst«). Wegen seines geringen spezifischen Gewichts (0,56 gegenüber der Luft = 1) steigt das Gas alsbald nach oben und sammelt sich hier in Hohlräumen (Auskesselungen) an. Allmählich erfolgt zwar eine Mischung mit der Luft, da aber mittlerweile neues Grubengas sich entwickelt, bleiben Auskesselungen und die obern Teile ansteigender, noch nicht durchschlägiger Stollen leicht mit Schlagwettern dauernd erfüllt, wennnicht ein kräftiger Luftstrom die Fortspülung übernimmt. Enthält die Luft weniger als 5 Proz. Schlagwetter, so ist das Gemenge nicht mehr explosionsfähig. Bei der regelmäßigen Entwickelung der Schlagwetter kennt man die Gefahr und kann Vorsorge treffen, nicht aber bei den plötzlichen Gasausbrüchen. Der Bergmann arbeitet ahnungslos an der Kohlenwand. Plötzlich gerät diese in Bewegung. Ungeheure Mengen von Schlagwettern, begleitet von undurchdringlichen Staubwolken, brechen in die Grubenräume mit großer Gewalt ein. Die Flucht ist bei größern Erscheinungen dieser Art unmöglich. Wenn sich der durch die Grubenräume wälzende Gas- und Staubstrom nicht schon auf seinem Wege entzündet, so erstickt er doch alles Lebende, das er überflutet. Später zeigt sich an dem Ort, von dem das Unheil seinen Weg genommen hat, wo früher feste Kohle stand, ein großer Hohlraum. Die Kohle hat sich in Staubform durch die Grubenräume verbreitet.

Viel ungefährlicher sind die sogen. Bläser. In Hohlräumen und Klüften des Steinkohlengebirges finden sich oft Schlagwetter unter hohem Druck, wie in einem natürlichen Gasbehälter angesammelt. Wird ein solcher Raum durch ein Bohrloch, einen Sprengschuß oder den Schlag einer Keilhaue angezapft, so blasen die Gase durch die entstandene Öffnund aus. Angezündet, brennen solche Bläser oft mit armdicker, meterlanger Flamme. Einzelne Bläser liefern mehrere Kubikmeter Gas in der Minute und sind noch nach Monaten, ja nach Jahren nicht erschöpft. In der Regel geschieht dies aber ziemlich schnell. Schließlich wird auch die Entwickelung der Schlagwetter durch den Barometerdruck beeinflußt. In jeder Grube finden sich größere Räume, die bereits abgebaut, aber nicht vollständig mit taubem Gestein erfüllt sind. Diese Räume sind der Gefahr wegen nicht betretbar und können deshalb auch nicht in den frischen Luftstrom mit einbezogen werden. Es sammeln sich daher leicht Schlagwetter in ihnen an. Bleibt nun der Barometerdruck über Tag annähernd gleichmäßig, so zeigen die hier entwickelten Gase keine besondere Neigung, auszutreten. Wenn aber das Barometer schnell fällt, so ist die Spannung der Gase in den abgebauten Räumen zu groß. Die Gase dehnen sich aus und treten in die Grubenräume ein. Deshalb steigt bei schnell fallendem Barometer der Gehalt der Grubenluft an Schlagwettern.

Der Kohlenstaub, wie er sich in den Steinkohlengruben findet, wechselt in der chemischen Beschaffenheit ebenso wie die Steinkohle selber. Der Staub der Magerkohle enthält 6–18 Proz., der Staub der Fettkohle 25–30 Proz., der Staub der Gas- und Gasflammkohle 30–40 Proz. und der der Kannelkohle bis zu 46 Proz. flüchtige Bestandteile. Je tiefer die Gruben und je stärker die Bedeckung des Steinkohlengebirges durch andre, wasserundurchlässige Gebirgsschichten, desto trockner ist im allgemeinen die Kohle, und um so mehr stäubt sie. Ferner bildet sich um so mehr Staub, je weicher die Kohle ist. Feste, würflig brechende Kohle stäubt fast gar nicht. Der Staub wird von der Luft mit emporgehoben. An ruhigen Stellen, auf vorspringenden Flächen und insbes. auf der Oberseite des zur Zimmerung verwendeten Holzes lagert er sich in oft fingerdicken Lagen ab. Bei Erschütterung durch einen plötzlichen Luftstoß (z. B. eines Sprengschusses oder einer Schlagwetterexplosion) rieselt er hernieder und erfüllt die Luft mit förmlichen Wolken. Jeder aufgewirbelte, in der Luft schwebende Kohlenstaub kann Explosionen veranlassen. Am gefährlichsten ist der feinste und trockenste Staub. Außerdem hängt die Gefährlichkeit von der chemischen Beschaffenheit ab. Die stärkste und schnellste Explosionsflamme wird durch den Staub der Fettkohle erzeugt. Mit der Abnahme und mit der Zunahme der flüchtigen Bestandteile unter 25 und über 30 Proz. sinkt die Gefährlichkeit. Am ungefährlichsten erweist sich der Staub sehr gasarmer Magerkohle.

Entstehung der G. Überall, wo in der Grube Schlagwetter vorkommen oder Kohlenstaub vorhanden ist, ist die Vorbedingung für G. gegeben. Des weitern ist die Anwesenheit genügender Mengen atmosphärischer Luft, die den für die Verbrennung der Schlagwetter und des Kohlenstaubes nötigen Sauerstoff liefert, notwendig. Die Entzündung der Schlagwetter geht annähernd ebenso leicht wie die des Leuchtgases vor sich. Die Entzündungstemperatur beträgt nur 650°. Danach sind Flammen und stärkere Funken stets imstande, Schlagwetter zu zünden. Dagegen ist das Glimmen eines Zündschwammes oder einer Zigarre ungefährlich. Kohlenstaubaufwirbelungen werden durch eine einfache, ruhig brennende Flamme nicht zur Explosion gebracht. Mit der Einwirkung der Flamme muß eine heftige Erschütterung oder ein Stoß verbunden sein, wie beim Abtun eines Sprengschusses oder beim Vorhergehen einer Schlagwetterexplosion. Einmal eingeleitet, pflanzt sich aber eine Kohlenstaubexplosion, wie eine Schlagwetterexplosion, auf unbegrenzte Entfernungen hin fork, solange sie Nahrung auf ihrem Wege findet. Die unmittelbar zündende Ursache einer Grubenexplosion ist in den weitaus meisten Fällen die Bergmannslampe. Die sogen. Sicherheitslampe (s. d.) bietet keineswegs völlige Sicherheit. Bei ungeschickter oder[436] unachtsamer Handhabung kann die Flamme der im Drahtkorb brennenden Schlagwetter nach außen durchschlagen. Die Anwendung doppelter Drahtkörbe gewährt höhern Schutz, vermindert aber die Leuchtkraft der Lampe, da das Drahtgewebe leichter verschmutzt und den Luftzutritt hindert. Der Bergmann beobachtet in Luft, die Grubengas enthält, daß seine Grubenlampe schlecht brennt, die Flamme wird lang, matt, rußt, weil das sie umgebende Methan bei seiner Verbrennung der zuströmenden Luft Sauerstoff entzieht. Schraubt der Bergmann, der solche Erscheinungen beobachtet, die Flamme seiner Sicherheitslampe am Boden der Grube möglichst klein, so sieht er, daß das kaum noch leuchtende Flämmchen immer hoher wird, je mehr er die Lampe in die obern Luftschichten bringt, und er kann aus dieser Verlängerung den Gehalt der Luft an Methan annähernd richtig taxieren (Abprobieren). Häufig treten G. dadurch ein, daß der Bergmann die Lampe aus Leichtsinn oder um sie irgendwie instand zu setzen, öffnet. Schließlich sind unbeabsichtigte Beschädigungen der Lampe durch fallendes Gestein, den Hieb einer Keilhaue etc. gelegentlich unvermeidlich. Die zweite große Gefahr für Schlagwettergruben ist die Schießarbeit. Zwar hat man durch Einführung der Sicherheitssprengstoffe (s. Explosivstoffe, S. 224) auf diesem Gebiete die Sicherheit in einer Weise erhöht, wie man es früher nicht für möglich gehalten hätte. Jedoch ist keine Aussicht vorhanden, die Gefahr ganz zu beseitigen, solange überhaupt noch Sprengstoffe zur Anwendung kommen. Die Frage des Ersatzes der Schießarbeit durch mechanische Hilfsmittel (Keilvorrichtungen und Schrämmaschinen) ist technisch noch nicht gelöst. In einzelnen Fällen haben auch elektrische Funken von Maschinen Explosionen verschuldet. G. können aber auch entstehen, wenn das Gebirge über abgebauten Räumen zusammenbricht und die harten Gesteinsblöcke gegeneinander reiben; hierbei sprühen manchmal starke Funkengarben hervor, die Schlagwetter zur Explosion bringen.

Wesen und Wirkungen der G. Ist durch irgend einen Anlaß die Zündung von Schlagwettern oder einer Kohlenstaubwolke eingetreten, so erfüllt die Flamme plötzlich den ganzen Raum und erlischt an der betreffenden Stelle sofort wieder, weil der Sauerstoff zum Unterhalt des Feuers fehlt. Kleinere Explosionen, die sich nicht weit ausbreiten, verlaufen für die Beteiligten in der Regel ohne schwere Verletzungen. Findet aber die einmal entstandene Flamme su den benachbarten Teilen des Grubenstollens durch Anwesenheit von Schlagwettern oder trocknen Staubes weitere Nahrung, so schlägt das Feuer weiter. Je nach den Umständen huscht die Flamme bald langsam an der obern Stollenwandung entlang, bald erfüllt sie den ganzen Stollenquerschnitt mit Feuer, nimmt große Geschwindigkeiten an und treibt mit starker Gewalt glühenden Staub in einem Feuerregen vor sich her. Infolge der starken Erwärmung dehnt sich die Luft aus, was sich als starker Luftstoß (Schlag) bemerkbar macht. Hat die Flamme ihren Weg vollendet, so erfolgt schnell die Abkühlung, und die Luft stößt nach der andern Seite (Rückschlag). Leute, die größere G. mitgemacht haben, sagen aus, daß sie ein Sausen gehört, einen Luftstoß gespürt und Feuer gesehen hätten und dabei zu Boden geworfen wären. Danach beginnt der Fluchtversuch, der leider in den seltensten Fällen erfolgreich endet. Denn wo früher atmosphärische Luft war, finden sich jetzt die Nachschwaden, ein rauchiges Gemenge von etwa 80 Proz. Stickstoff, 12–15 Proz. Kohlensäure, 5–10 Proz. Sauerstoff und 1–3 Proz. Kohlenoxyd. Die Sicherheitslampen sind erloschen und können meistens nicht mehr zum Brennen gebracht werden. Das Atmen ist stark erschwert. Selbst wenn der Sauerstoffgehalt für notdürftige Atmung noch ausreichen sollte, so wirkt das giftige Kohlenoxyd vernichtend. Nur schleunigste Zufuhr frischer Luft kann Rettung bringen. Diese Rettungsarbeiten werden aber außerordentlich erschwert. Da die Verschläge und Türen, die die Verteilung der Luft in den Grubenbauen regeln, gewöhnlich zertrümmert sind, eilt die hineingeführte Luft auf kürzestem Wege dem ausziehenden Schachte zu und läßt ganze Feldesteile sackgassenähnlich ohne Ventilation. Die vordringenden Rettungsmannschaften müssen zunächst den Luftstrom in die von der Explosion betreffenden Baue zu lenken suchen. Mit der frischen Luft dringen sie sodann vor und suchen zu retten, was etwa noch zu retten ist. Von den Verunglückten kommen etwa 10 Proz. unmittelbar ums Leben. Der Rest erstickt in den Schwaden. Die Verletzungen bestehen, wenn nicht Beschädigungen durch fallendes Gestein hinzukommen, nur aus oberflächlichen Verbrennungen der entblößten Körperteile. Deshalb ist den Bergleuten in Schlagwettergruben verboten, mit nacktem Oberkörper zu arbeiten, damit etwaige Brandwunden nicht zu ausgedehnt werden.

Bekämpfung der G. Das beste Mittel zur Verhütung der G. ist gute Luftzuführung, die für jeden Punkt der Grube so geregelt und so kräftig sein muß, daß sich nirgendwo Ansammlungen Schlagender Wetter bilden können. Besonders gefährliche Punkte dürfen nie ohne Aussicht bleiben. Hier muß sich die Belegschaft der verschiedenen Schichten vor Ort ab lösen, damit sich die Schlagwetter nicht unbeobachtet ansammeln können. An gefährlichen Stellen dürfen nur Sicherheitslampen mit doppeltem Drahtkorb gebraucht werden. Die Lampen müssen einen zuverlässigen Verschluß, am besten Magnetverschluß, besitzen und mit innerer Zündvorrichtung versehen sein. Die Schießarbeit wird möglichst vermieden. Soweit überhaupt, ist sie nur unter Verwendung von Sicherheitssprengstoffen zulässig. Die vielfach gemachten Vorschläge, das Grubengas sofort nach seinem Entstehen durch Verbrennen oder sonstwie zu beseitigen, sind unausführbar, da die Schlagwetterausströmung sich über viel zu große Flächen verteilt. Um plötzliche Gasausbrüche zu vermeiden, treibt man Bohrlöcher mehrere Meter weit in der Arbeitsrichtung in die Kohle vor. Dadurch kann letztere schon auf einige Entfernung vom Arbeitspunkt entgasen. Früher schickte man vor dem Anfahren der Belegschaft einen Arbeiter (Feuermann) in die Grube, der die an Arbeitspunkten oder in andern Bauten etwa angesammelten Schlagenden Wetter anzuzünden hatte.

Zur Einschränkung etwa entstehender G. auf ein kleines Wirkungsgebiet dient die Berieselung. In nassen Strecken sind Explosionen nicht so heftig wie in trocknen. Die Explosionsflamme kühlt infolge der Nässe schnell ab und erlischt leicht. Zudem wird durch Feuchtigkeit die Staubbildung verhindert, so daß die Flamme keine Nahrung findet. Für die Zwecke der Berieselung wird durch sämtliche Grubenräume ein Wasserleitungs-Rohrsystem mit Hähnen gelegt, so daß Schläuche mit Brausen angeschraubt werden können. Besonders die Arbeitspunkte müssen täglich bespritzt werden. Durch Polizeiverordnung von 1898 sind nahezu für alle preußischen Schlagwettergruben[437] Berieselungsanlagen vorgeschrieben. Für die Rettungsarbeiten im Falle einer Explosion werden vorrätig gehalten: Segelleinen, Holz- und Mauermaterial zur Wiederherstellung der Luftzuführung unter Tage; Tragbahren und Stricke, um Verletzte und Getötete aus der Grube zu schaffen; Verbandzeug, Verbandräume, Badegelegenheit; komprimierter Sauerstoff in Behältern als Wiederbelebungsmittel bei Kohlenoxydvergiftungen; Atmungsapparate (sogen. Pneumatophore) zum Eindringen der Rettungsmannschaften in unatembare Gase; elektrische Lampen für denselben Zweck u. a. m. Die größten bisher bekannten G. ereigneten sich 14. Juni 1894 auf der gräflich Larischschen Steinkohlengrube bei Karwin (235 Tote), 17. März 1884 auf Grube Camphausen bei Saarbrücken (181 Tote) und 17. Febr. 1898 auf Grube Karolinenglück bei Bochum (119 Tote).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 435-438.
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