[19] Kinematograph (griech.), ein von A. und L. Lumière in Lyon 1896 konstruierter Apparat, der bewegte Szenen in einer Reihenfolge photographischer Aufnahmen festhält, von den entwickelten Negativen positive Kopien auf langen Zelluloidstreifen anfertigt und diese in großem Maßstab und in derselben Zeit, in der die Reihenfolge der Negative aufgenommen worden ist, auf einer sich drehenden stroboskopischen Scheibe, einem Phänakistoskop oder mittels eines Projektionsapparates auf einen hellen Schirm projiziert, dem Beschauer vorführt, dem sie als eine zusammenhängende, vor seinen Augen sich abspielende Handlung erscheinen (Bewegungsbilder, lebende Photographien). Der K. macht auf einem bandförmigen, viele Meter langen Film 1530 Aufnahmen in der Sekunde. Er besteht aus drei Kästchen (Fig. 1 u. 2, S. 20), deren oberes B zwei Rollen aufnimmt, von denen die eine P' den Negativfilm enthält. Dieser gleitet, bei der Aufnahme über verschiedene Rollen geführt, durch den Apparat und wickelt sich auf die Rolle J. Sind die Aufnahmen entwickelt, so wird der Film wieder auf P' gebracht, und die Rolle P wird nun ebenfalls mit einem Film bewickelt. Auf letzterm entstehen die positiven Bilder (Diapositive), während beide Films hintereinander den Apparat passieren. Dann aber wickelt sich nur der positive Film auf die Rolle auf, während der negative durch H austritt. Nachdem dann auch der positive Film entwickelt ist, gleitet er allein von P nach J. Bei Aufnahmen wird in das Fenster O ein Objektiv eingesetzt, beim Kopieren bleibt O offen, und das freie Tageslicht dringt ein. Für die Projektion wird in O abermals ein Objektiv eingesetzt und der Raum L durch eine Lampe erleuchtet, deren Licht durch Kondensoren auf die Bilder geworfen wird. Das Bild entsteht an der mit E bezeichneten Stelle. Die Bewegung des Films wird durch gleichmäßiges Drehen der Kurbel M (Fig. 1 u. 3) hervorgebracht. Selbstverständlich muß der Film jedesmal während der Aufnahme und der Projektion eines Bildes in vollständiger Ruhe bleiben. Von dem für Aufnahme oder Vorführung des Bildes erforderlichen Zeitraum von 1/2-Sekunde wird nur ein Drittel zur Bewegung des Films gebraucht, der während des Restes der Zeit stillsteht. Dies erreicht man durch ein auf der Hauptwelle sitzendes dreieckiges Exzenter C (Fig. 2 u. 5), das den Rahmen, in dem es läuft, stoßweise bewegt. Dabei bewegt der Rahmen die Vorrichtung A, die mittels zweier Zähne immer wieder nach oben in die Löcher eingreift, die zu diesem Zweck in den Films vorgesehen sind. Auf diese Weise wird der Film stoßweise vorgerückt. Bei der Aufnahme muß der Film während seiner Bewegung vor dem durch das Objektiv fallenden Licht geschützt werden, bei der Projektion dagegen muß während der Bewegung das aus der Lampe L kommende Licht hinter den Bildern abgeschnitten werden. Zu diesem Zweck trägt die Hauptwelle F noch eine Kreisscheibe D (Fig. 3 u. 4), die nur an einem Teil ihrer Peripherie ausgeschnitten ist und sich mit jeder Umdrehung vor dem Objektiv bewegt. Der volle Teil[19] der Scheibe steht vor dem Objektiv, während der Film sich bewegt, der ausgeschnittene Teil gestattet den Zutritt des Lichtes, während der Film ruht. Um nun die Zeitdauer dieser beiden Stadien nach Belieben regeln zu können, ist die Scheibe aus zwei Teilen DD' zusammengesetzt, die gegeneinander verschoben werden können. In neuerer Zeit werden kleine Kinematographen unter dem Namen Kino von Ernemann in Dresden für Zwecke der Amateurphotographie in den Handel gebracht. Die Anfänge der optischen Darstellungen von Serienbildern reichen auf Plateau (1829), Strampfer (1834) zurück. Feldmarschallleutnant Uchatius projizierte zuerst (allerdings unvollkommene) Bewegungsbilder an die Wand (1853). Vorgänger des neuern K. waren das Elektrotachyskop oder der Schnellseher von Anschütz (1890) und Edisons Kinetoskop (1895), das mit einem die Handlung begleitenden Phonographen verbunden wurde. Kinematographische Apparate zur Vorführung stereoskopischer Bewegungsbilder nennt man Stereokinematographen.
Der K. erfuhr mannigfache Abänderungen; hierher gehört das Alethorama von Mortier und Rousseau, bei dem die beiden Spulen B und E (Fig. 6) zur Aufnahme des Filmsbandes P bestimmt sind; es wird auf Spule B eingesetzt und wickelt sich während der Vorführung nach Spule E hinüber. Dabei geht es über die Trommel T, die aus einem Gitterwerk zusammengesetzt und mit Zähnen ausgestattet ist, die in die Löcher des Filmbandes eingreifen und die richtige Lage der Bilder sichern. Die Beleuchtung des Bildes und die Art, wie es projiziert wird, zeigt der Grundriß des Apparats (Fig. 7). Aus dem Kondensor C strömt elektrisches Licht aus, das von einer seitlich neben dem Apparat aufgestellten Bogenlampe erzeugt wird. Das Licht fällt durch einen Schirm mit passendem Ausschnitt D auf das jeweilige hinter derÖffnung dieses Schirmes befindliche Bildchen. Dieses spiegelt sich nun in einem aus keilförmigen Spiegeln zusammengesetzten Körper, der den innern Teil der Gittertrommel T bildet. Eine zweite, genau gleich geformte Zusammenstellung von Spiegeln befindet sich der ersten gegenüber und zwar so, daß die Spiegel beider Systeme einen Winkel von 90° miteinander machen. Von diesen Spiegeln wird das Bild in das Objektiv geworfen, das ebenfalls mit einem Spiegel ausgestattet ist, der das Bild nochmals im rechten Winkel zurückwirft und bei O austreten läßt. Durch diese Einrichtung wird erreicht, daß das Bild überhaupt nur dann aus dem Objektiv heraustreten kann, wenn es sich in der genau richtigen Lage vor dem Diaphragma D befindet. In dem Augenblick, wo die Trommel sich weiter dreht, drehen sich auch die Spiegel mit, und das Bild wird nicht mehr in das Objektiv, sondern daneben geworfen. Das Objektiv läßt in diesem Augenblick kein Licht durch, sondern erscheint dunkel, so daß derselbe Effekt erzielt wird, als sei ein Momentverschluß angewendet worden. Beim Kammatographen werden die Serienbilder auf runde rotierende Glasplatten in spiralförmiger Anordnung photographiert. Zur Herstellung von Bewegungsbildern verwendet man auch statt der biegsamen Diapositive Serien von Papierkopien, die in großer Anzahl rasch vor dem Auge des Beschauers vorbeigebracht werden. Solche Apparate nennt man Mutoskope, Biograph- oder Kinora-Apparate. Das Mutoskop besitzt als wesentlichen Teil eine Walze (Fig. 8), auf der 1000 bis 1500 Papierkopien der einzelnen Aufnahmen radial von der Walze abstehend befestigt sind (H). Jedes Bild ist von dem folgenden durch ein dazwischengelegtes dünnes weißes Kartonblatt geschieden. Wird nun die Walze in Drehung versetzt, so stoßen sich die Bilder an einer Querleiste D und werden nacheinander abgeblättert. Dieser Vorgang spielt sich unter dem Okular ab, durch das man (bei S) in den Apparat hineinsieht. Über der Walze befindet sich eine elektrische Glühlampe, die jedes aufgeblätterte Bild scharf beleuchtet und deren Licht von dem weißen Karton reflektiert wird. Je nachdem die Walze schneller oder langsamer gedreht wird, ziehen die Bilder mit wechselnder Schnelligkeit am Auge des Beobachters vorüber und vereinigen sich zu einem Gesamteindruck. Der Lumièresche Kinora ist ein kleiner Apparat zur Besichtigung von Serien-Papierbildern, bei dem in ähnlicher, aber einfacherer Weise als beim Mutoskop die hintereinander an einer[20] durch ein Uhrwerk bewegten Achse befestigten Papierbilder (500600) in rascher Reihenfolge vor dem Auge vorbeigeschnellt werden. Das Kunstmittel, bewegte Szenen photographisch aufzunehmen und durch Vorführung der Bilderserie dem Beschauer sich neu abspielen zu lassen, fand sehr zahlreiche Anwendungen teils zur Analyse schnell sich abspielender Vorgänge, indem man die einzelnen Phasen derselben langsam aufeinander folgen läßt, teils zum Zusammenrücken eines über längere Zeiträume sich erstreckenden Vorganges in eine kurze Zeitspanne.
Am meisten wurden belebte Straßenszenen, Seebilder, Vorgänge in der Tierwelt, chirurgische Operationen etc. dargestellt. Vgl. Hans Schmidt, Anleitung zur Projektion photographischer Aufnahmen und lebender Bilder (Berl. 1901); Eders »Jahrbuch für Photographie«, 1900 bis 1904 (Halle).
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