Krüdĕner

[743] Krüdĕner, 1) Barbara Juliane von, bekannte Pietistin und Schriftstellerin, geb. 11. Nov. 1764 in Riga, gest. 25. Dez. 1824 in Karasu-Bazar, erhielt erst im Haus ihres Vaters, des livländischen Gutsbesitzers und russischen Geheimrats v. Vietinghoff, sodann in Paris, wo ihre Eltern für einige Zeit wohnten, eine vielseitige Erziehung, entwickelte aber auch früh bei großer Lebendigkeit des Geistes und Herzens alle Künste weltläufiger Koketterie. Sie wurde 1782 mit dem 34 Jahre alten, bereits von zwei Frauen geschiedenen Freiherrn Burchard v. K., einem tüchtigen Beamten, vermählt, dem sie erst nach Venedig, dann (1786) nach Kopenhagen, wohin er als russischer Gesandter ging, folgte. 1789 unternahm sie ohne ihren Gatten eine Reise nach Frankreich, ließ sich dort von[743] einem jungen Offizier, Grafen Frègeville, verführen und verbrachte die nächsten Jahre, von ihrem Manne getrennt, aber nicht geschieden, auf Reisen, kehrte aber 1800, als er in Berlin Gesandter war, zu ihm zurück, um ihn aber bereits 1801 wieder zu verlassen. Sie verweilte hierauf in Coppet bei Frau v. Staël und in Paris, wo sie besonders mit Chateaubriand und Bernardin de Saint-Pierre verkehrte und die Nachricht vom Tod ihres Mannes (14. Juni 1802) erhielt. Hier veröffentlichte sie auch einen Roman in Briefen: »Valérie« (Par. 1803, 2 Bde.; neu hrsg. von Sainte-Beuve, 1855, zuletzt 1898; deutsch, Leipz. 1804 u. Hamb. 1805), eine Wertheriade, in der sie eigne Erlebnisse aus ihrer in Venedig verbrachten Zeit romantisch aufputzte. 1804 wurde die Vierzigjährige teils durch Einflüsse der Herrnhuter, teils durch solche der süddeutschen Chiliasten einer phantastischen Religiosität zugeführt, die fortan ihr Wesen ganz beherrschte und mehr und mehr in Mystik und Zauberglauben ausartete. 1806 begab sie sich nach dem Norden Deutschlands, wo sie im Februar 1807 nach der Schlacht bei Preußisch-Eylau Außerordentliches in der Fürsorge für die Verwundeten leistete. Anfang 1808 erfuhr sie in Karlsruhe den Einfluß Jung-Stillings (s. Jung 2), der sie mit Swedenborgs Ideen bekannt machte, und wurde einige Monate später im Elsaß durch den Pfarrer Fontaines und die Seherin Marie Gottlieb in Kummer, mit denen sie nun jahrelang in Beziehung blieb, vollends ihres Urteils beraubt. Fortan hielt sie in Württemberg, in der Schweiz und im Elsaß etc. zahlreiche Versammlungen der Erweckten und Frommen ab. Mehr und mehr den politischen Ereignissen sich zuwendend, stellte sie Napoleon als den Apollyon der Apokalypse, Alexander von Rußland als den Erretter hin. Unter dem Titel: »Le camp de vertus« (Par. 1814) beschrieb sie ein von den russischen Heeren gefeiertes Fest und erging sich durchaus in den chiliastischen Lieblingsideen ihrer Kreise. Endlich gelang es ihr, 4. Juni 1815, zu dem Kaiser Alexander Zutritt zu erhalten, und sie gewann bald nicht unerheblichen, aber doch nicht lange andauernden Einfluß auf ihn. Durch sie und den Mesmerianer Bergasse wurde Alexander zu dem als »Heilige Allianz« bekannten Vertrag angeregt, an dessen Redaktion K. jedoch wahrscheinlich keinen Anteil hatte. Nach Wiederherstellung der politischen Ruhe begab sie sich 1815 in die Schweiz, hielt hier von neuem pietistische Konventikel und öffentliche Bußpredigten, spendete dabei reiche Wohltaten an Arme und Notleidende, erregte aber schließlich die Besorgnis der Behörden und wurde 1817 aus der Schweiz ausgewiesen (vgl. »Züricher Taschenbuch«, neue Folge, Bd. 13). Gleiches Schicksal hatte sie nun in mehreren deutschen Staaten, bis sie 1818 unter polizeilicher Begleitung von Leipzig aus über die russische Grenze gebracht wurde. Von ihrem frühern Verehrer, dem Kaiser Alexander I., in Schranken gehalten, lebte sie anfangs auf ihrem Gut Kosse in Livland und begab sich später (1824) mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn in die Krim, wo sie in der von der Fürstin Golyzin angelegten pietistischen Kolonie Karasu-Bazar starb. Vgl. Eynard, Vie de Madame de K. (Par. 1849, 2 Bde.); Capefigue, La baronne de K. et l'empereur Alexandre I (das. 1866); »Frau v. K., ein Zeitgemälde« (Bern 1868); Lacroix, Madame de K., ses lettres et ses ouvrages inédits (Par. 1880, 3. Aufl. 1881); Clarence Ford, Life and letters of Madame de K. (Lond. 1893); Turquan, La baronne de K. (Par. 1900), und vor allem E. Mühlenbeck, Étude sur les origines de la Sainte-Alliance (das. 1888).

2) Nikolaus Pawlowitsch, Baron, russ. General, geb. 1811 in Esthland, gest. 17. Febr. 1891 in Moskau, trat 1828 in das Ingenieurkorps, ward 1849 Oberquartiermeister des Grenadierkorps, 1859 Kommandeur des wolhynischen Leibgarderegiments, an dessen Spitze er am polnischen Insurrektionskrieg teilnahm. 1877 kommandierte er das 9. Armeekorps der Donauarmee. K. eroberte 16. Juli Nikopoli, erlitt aber 30. Juli beim zweiten, vom Großfürsten Nikolaus befohlenen Angriff auf Plewna, nachdem 20. Juli bereits eine Division seines Korps unter General Schilder-Schuldner eine empfindliche Schlappe erhalten, durch Osman Pascha eine blutige Niederlage. Nach der Übergabe Plewnas ward er seines Kommandos enthoben und zum Adlatus des Militärgouverneurs in Warschau, 1887 zum Mitgliede des Alexander-Komitees für Verwundete ernannt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 743-744.
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