Lieferungszeit

[539] Lieferungszeit (Lieferfrist), bei Handelsgeschäften die Zeit, binnen welcher der zur Lieferung einer Ware Verpflichtete diese bewirken muß. Namentlich bei dem eigentlichen Lieferungsgeschäft (s. d.) ist die L. von besonderer Wichtigkeit. Falls keine L. bedungen, so bestimmt sie sich nach Ortsgebrauch, besteht ein solcher nicht, so ist eine angemessene Frist einzuhalten (§ 428 des Handelsgesetzbuches). Besondere zwingende Vorschriften sind für den Eisenbahnfrachtverkehr durch die Eisenbahnverkehrsordnung vom 26. Okt. 1899 und durch das internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr nebst seinen Ausführungsbestimmungen gegeben. Hiernach dürfen die Lieferfristen, die durch die Tarife zu veröffentlichen sind, gewisse Maximalsätze nicht überschreiten. Diese sind im internen Verkehr (§ 63 der Eisenbahnverkehrsordnung): 1) für Eilgüter 1 Tag Expeditionsfrist und für je auch nur angefangene 300 km 1 Tag Transportfrist; 2) für Frachtgüter 2 Tage Erpeditionsfrist und bei einer Entfernung bis zu 100 km 1 Tag, bei größern Entfernungen für je auch nur angefangene weitere 200 km 1 Tag Transportfrist; im internationalen Verkehr (Art. 14 des internationalen Übereinkommens und § 6 der Ausführungsbestimmungen hierzu): 1) für Eilgüter 1 Tag Expeditionsfrist und für je auch nur angefangene 250 km 1 Tag Transportfrist; 2) für Frachtgüter 2 Tage Expeditionsfrist und für je auch nur angefangene 250 km 2 Tage Transportfrist. Für gewisse Fälle (§ 63, Abs. 3 der Verkehrsordnung und § 6, Abs. 3 der Ausführungsbestimmung zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnfrachtverkehr) ist es den Eisenbahnverwaltungen gestattet, mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde Zuschlagsfristen festzusetzen. Der Lauf der L., der mit der auf die Abstempelung des Frachtbriefes folgenden Mitternacht beginnt, ruht für die Dauer zoll- und steueramtlicher Abfertigung sowie für die Dauer einer ohne Verschulden der Bahnverwaltung eingetretenen Betriebsstörung. Bei gewöhnlichem Frachtgut beginnt die L. 24 Stunden später, wenn der auf die Auslieferung folgende Tag ein Sonn- oder Festtag ist; ist der letzte Tag der L. ein Sonn- oder Festtag, so läuft sie erst am darauffolgenden Werktag ab. Für Tiere (§ 47 der Verkehrsordnung) darf die L. nicht mehr vetragen als 1 Tag Expeditionsfrist und für je auch nur angefangene 300 km 1 Tag. Der Lauf der L. ruht hier auch noch für die Dauer des Aufenthalts auf den Tränkestationen sowie für die Dauer der ärztlichen Viehbeschau. Die Auslieferung von Pferden und Hunden kann sofort nach Ankunft des Zuges und ordnungsmäßiger Ausladungszeit verlangt werden. Die Eisenbahn haftet für den Schaden, der durch Versäumung der L. entstanden ist, sofern sie nicht beweist, daß die Verspätung von einem Ereignis herrührt, das sie weder herbeigeführt hat, noch abzuwenden vermochte; und zwar kann im internen Verkehr, falls die Verspätung 12 Stunden übersteigt, wenn eine Angabe des Interesses an der Lieferung nicht stattgefunden hat (die L. nicht versichert wurde), ohne Schadensnachweis beansprucht werden: bei Verspätung von 1–4 Tagen (einschließlich) für 1 Tag 1/10, bei längerer Verspätung 5/16 der Fracht; auf Grund Nachweises höhern Schadens kann der Betrag desselben bis zur Höhe der ganzen Fracht verlangt werden. Hat eine Angabe des Interesses an der Einhaltung der L. stattgefunden, so kann ohne Schadensnachweis das Doppelte des sonst zu leistenden Betrags und auf Grund Schadensnachweises der Schade bis zur Höhe des angegebenen Interesses beansprucht werden (§ 87 der Verkehrsordnung). Im internationalen Verkehr können ohne Schadennachweis und mangels Interesseangabe bei einer Verspätung von 1/10 bis (einschließlich) 4/10 der L. 1/10-4/10, bei längerer Dauer 5/16 der Fracht, bei Interesseangabe das Doppelte verlangt werden; im übrigen gelten die gleichen Bestimmungen (Art. 40 des internationalen Übereinkommens). Über die Verteilung der Lieferfrist unter mehreren an einem Transport beteiligten Eisenbahnen s. § 10 der Ausführungsbestimmungen zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnfrachtverkehr. Tragen mehrere Eisenbahnen an der Versäumung der L. Schuld, so steht derjenigen Bahn, welche die Entschädigung geleistet hat, der Rückgriff gegen die übrigen zu, und zwar haften mehrere Verwaltungen nach Verhältnis der Zeitdauer der auf ihren Bahnstrecken vorgekommenen Versäumnis.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 539.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: