Magyaren

[100] Magyaren (spr. mădjāren, »Söhne der Erde«), der bedeutendste Volksstamm im Königreich Ungarn, den. einige zur ugrischen Familie des finnischen Zweiges der Uralaltaier, andre zur türkisch-tatarischen Familie rechnen. Sie wohnten ursprünglich am Ural, wo noch jetzt ihre nächsten Verwandten, die Ostjaken[100] und Wogulen, sitzen, in Jugorien, Iuharia oder Ogorland (daher der Name Ugri, Ogri, »Ungarn«). Während ihrer Wanderzeit wurden sie Nachbarn türkischer Völker, welche die Sprache der M. beeinflußten. Von hier zogen sie gegen SW., hielten sich 830–862, nach andern bis 890, in der Nachbarschaft der Chasaren an den nördlichen Ufern des Schwarzen Meeres, in Lebedia und bis zum Kuban, auf, wurden aber durch die Petschenegen nach W. gedrängt, worauf sie sich in Atel-Kuzu (Bessarabien, zwischen Bug und Dnjepr) niederließen. Hier wählten sie auch auf Betreiben des Chasarenfürsten ihren ersten Stammesfürsten, Arpad (s. d.). Bald nach dem erfolgreichen Kriege mit den Bulgaren als Bundesgenossen der Oströmer (Leo VI.) wurden die M. um 895 von den verbündeten Bulgaren und Petschenegen aus den untern Donauländern und aus Atel-Kuzu vertrieben, worauf sie sich unter der Führung Arpáds um 896–899 wie ein Keil zwischen den südosteuropäischen Slawen in ihrem heutigen Vaterland niederließen. Der Weg der Einwanderung und die nähern Umstände der Landeseroberung sind in Dunkel gehüllt, da die Erzählung des Anonymen Notars (einer Geschichtsquelle des 13. Jahrh.) wenig Glauben verdient. So viel steht indes fest, daß die M. sich zum Sturz des von Swatopluk begründeten Slawenreiches mit Kaiser Arnulf verbündeten. Ihre Hauptsitze nahmen sie im ehemaligen Pannonien und in den Ebenen, wo sie ihre nomadischen Neigungen als Reitervolk noch lange bewahrten. Seit etwa 900 wurden sie der Schrecken Westeuropas, ihre Raubzüge reichten bis Frankreich und Süditalien. Mit der Zeit mit Germanen und Slawen vermischt und zum Christentum bekehrt, bildeten sie später Jahrhunderte hindurch ein Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen die Türken. Ihre Zahl betrug 1900: 8,742,301 (1890 nur 7,426,730), 45,4 Proz. der Gesamtbevölkerung ganz Ungarns (früher 42,8). Das Hauptkontingent der M. stellt das ungarische Flach- und Hügelland, 51,4 Proz. der Bevölkerung des eigentlichen Ungarn, dazu kommen in Siebenbürgen die M. und die Szekler (32,9 Proz.) und die in Fiume (7,4 Proz.), Kroatien und Slawonien wohnenden M. (3,8 Proz. der dortigen Bevölkerung). Einige tausend M. wohnen in Rumänien und der Bukowina, ferner in den größern österreichischen Städten, wie Wien, Graz etc. Die Zahl der Einwanderer nach Amerika (bis zum Jahre 1904 ca. 400,000) ist im Steigen begriffen. Von der Gesamtbevölkerung Ungarns (1900: 19,254,559) sprachen 10,175,514 Magyarisch (s. Ungarische Sprache), doch gehört ein großer Teil der nach der Sprache als M. Gezählten ethnographisch nicht zu diesem Volksstamme, wie denn (1890) von 725,222 Juden nicht weniger als 454,475 das Magyarische als ihre Muttersprache angegeben haben. Die Sprache der kumanischen Palóczen in den Komitaten Neograd, Heves, Borsod und Gömör und jene der Abkömmlinge der Kumanen unterscheidet sich nur in einigen Eigentümlichkeiten von der magyarischen Sprache. Dem Religionsbekenntnis nach waren (1900) Römisch-Katholische ca. 55 Proz., Evangelische helvetischer Konfession ca. 30, Evangelisch-Lutherische ca. 4 Proz. S. Ungarn. Vgl. die »Ethnographische Karte von Österreich-Ungarn«; Ujfalvy, Sur le berceau du peuple magyar (Par. 1874); v. Löher, Die M. und andre Ungarn (Leipz. 1874); Vámbéry, Der Ursprung der M. (das. 1882); P. Hunfalvy, Ethnographie Ungarns (deutsch von J. H. Schwicker, Budap. 1877) und Die Ungarn oder M. (Teschen 1881); die einschlägigen Werke von J. Budenz, A. Vámbéry und Jul. Pauler; Marienescu, Der philologische Ursprung und die Bedeutung des Volksnamens »M.« (1898); Marquart, Osteuropäische und ostasiatische Streifzüge (Leipz. 1903); v. Wlislocki im 5. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (das. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 100-101.
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