Moscherosch

[168] Moscherosch, Johann Michael, namhafter deutscher Satiriker, geb. 5. März 1601 in Willstädt (Amtsbez. Kehl) als Sohn des dortigen protestantischen Kirchenseniors und Amtmanns, gest. 4. April 1669[168] auf einer Reise in Worms, stammte aus einer aragonesischen Familie (Mosen Rosch = Herr Rodrigo). Er studierte in Straßburg und wurde, nachdem er einige Zeit in Frankreich zugebracht hatte, 1626 Hofmeister bei dem Grafen von Leiningen-Dachsburg, 1630 Amtmann bei dem Grafen von Criechingen und 1635 Amtmann bei dem jungen protestantischen Herzog Bogislaw von Croy zu Finstingen a.d. Saar, wo Kriegswirren, Räuberwirtschaft, Hungersnot und Pest ihm das Leben verbitterten; auch erfuhr er viel häusliches Leid: 1632 starb seine erste, 1635 seine zweite Frau. Um 1643 wurde er in der damals schwedischen Festung Benfelden als Kriegsrat angestellt und später als Staatssekretär und Fiskal nach Straßburg versetzt, 1656 aber zum gräflich hanauischen Kriegs- und Kirchenrat ernannt. Später legte er dieses Amt nieder und diente dem Kurfürsten von Mainz, dann, seit 1664, der Landgräfin von Hessen. 1645 wurde er mit dem Beinamen »Der Träumende« in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen. Sein Hauptwerk sind die »Wunderlichen und wahrhaftigen Gesichte (Visionen) Philanders von Sittewalt« (um 1640; verbesserte Ausg., Straßb. 1642–43, 2 Bde.; dann, um ein »Gesicht« vermehrt, das. 1650, weitere rechtmäßige Auflagen 1665 und 1667). Philander bedeutet »Menschenfreund«; Sittewalt ist Anagramm von »Willstaet«, M. ' Geburtsort, und soll außerdem natürlich an »Sitte« und »walten« anklingen. Als Vorbild dienten ihm die »Sueños« des Spaniers Quevedo, die er in der französischen Bearbeitung des »Sieur de la Geneste« (1633) kennen lernte (vgl. Wirth, M.'. Gesichte Philanders von Sittewald'. Das Verhältnis der Ausgaben zueinander und zur Quelle, Erlang. 1887). Während sich M. in den frühern Teilen genauer an sein Vorbild hielt und die allgemeine Satire vorwalten ließ, wurde er späterhin durchaus selbständig und schilderte die unglücklichen Zustände Deutschlands in der Epoche des großen Krieges, vor allem die sittliche Verwilderung, den Mangel an nationalem Selbstgefühl, das Modeunwesen, die Sprachmengerei, die »Neusüchtigkeit«, die Trinksitten, die falsche »Reputation«, die verkehrte Denkweise einzelner Stände (Pfarrer, Ärzte, Richter etc.); die bestialische Grausamkeit der Soldaten gibt ein hochinteressantes kleines Wörterbuch der »Feldsprache« und schildert überall das Erschaute und Erlebte; der Schauplatz des besonders rühmenswerten »À la mode Kehraus« ist die Burg Geroldseck bei Finstingen (vgl. Schlosser im »Bulletin de la Société pour la conversation des monuments historiques d'Alsace«, Bd. 16, 1893). M. ist ein tiefdringender Geist, der die Übel der Zeit an ihrer Wurzel erfaßt, eine kernhafte Willensnatur, seine nationale und protestantische Gesinnung mit Nachdruck verfechtend. Neue Ausgaben besorgten Dittmar (die ersten vier Gesichte, mit Biographie, Berl. 1830) und Bobertag (Auswahl, in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 32, Stuttg. 1884). Unter seinen übrigen deutschen Schriften ist besonders die »Insomnis cura parentum. Christliches Vermächnuß oder Schuldige Vorsorg Eines Trewen Vatters« etc. (Straßb. 1643; Neudruck von L. Pariser, Halle 1893) bemerkenswert, ein pädagogisches Büchlein, das er 1641 zunächst im Hinblick auf seine eignen Kinder niedergeschrieben hatte. Eine andre Schrift: »Die Patientia«, ist erst neuerdings (in Munckers »Forschungen zur neuern Literaturgeschichte«, Münch. 1897) von Pariser mühsam aus verworrenen hinterlassenen Papieren M.' zusammengestellt und herausgegeben worden. Vgl. Nickels, M. als Pädagog (Leipz. 1883); Pariser, Beiträge zu einer Biographie von M. (Münchener Dissertation, 1891); Martin, Joh. Mich. M. (im »Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde«, Bd. 3, Metz 1891).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 168-169.
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