Pamir

[347] Pamir (bei den Kirgisen Bam-i-Duniah, »Dach der Welt«, bei den Chinesen mit Bezug auf die Übergänge von Ostturkistan ins Aralokaspische Gebiet Tsungling, »Zwiebelpässe«) ist die zusammenfassende geographische Bezeichnung für das Gebiet zwischen 361/2-391/2° nördl. Br. und 711/2-751/2° östl. L., etwa 140,000 qkm groß, wo die Gebirgs systeme des Tiënschan, Kwenlun und Himalaja mit dem System des Hindukusch und seinen Verzweigungen zusammentreffen. Der türkisch-tatarische Name P. bedeutet zunächst ein ödes, kalten Winden ausgesetztes Gebiet, also ein über der Waldgrenze gelegenes, höchstens von Nomaden als Sommerweide benutzbares Hochland. Aus diesem Grunde wird der Name auf die einzelnen zwischen den Bergketten gelegenen Hochsteppen angewandt und daher für das ganze Gebiet oft und mit Recht in der Mehrzahl gebraucht. Wegen des Zusammentretens mehrerer Gebirgssysteme ist der Gebirgsbau im Pamirgebiet sehr schwierig und trotz besonderer Anstrengungen zahlreicher Forscher noch nicht genügend geklärt, namentlich mit Bezug auf die geologische Grundlage. Im wesentlichen läßt sich ein östlicher von einem westlichen Teil. unterscheiden, deren Grenze etwa der 74. Meridian bildet. Im östlichen Teil, der gegen Ostturkistan vom Kaschgarischen Gebirge (Tagharma, Saryk-kol) begrenzt und größtenteils dorthin entwässert wird. aber auch abflußlose Gebiete (Großer Karakul, Rang kul) enthält, herrscht mehr zentralasiatischer, im westlichen mehr peripherischer Charakter vor. Die natürlichen Grenzen werden außer nach O. etwa gebildet durch das Transalaigebirge im N., durch die Talfurche des Pandsch im W. und S. Nach der bisherigen Kenntnis sollen sich hauptsächlich zwei Gebirgsrichtungen bemerkbar machen, nämlich die etwa äquatoriale (ONO.-WSW.) des westlichen Tiënschan und eine diagonale (NW.-SO.). Letztere kommt jedenfalls in der nordöstlichen Begrenzung zum Ausdruck, außerdem in manchen Talrichtungen im östlichen und nördlichen Teil. Die annähernd äquatoriale Richtung beherrscht das Streichen der Ketten und den Verlauf der Täler namentlich im S. und SW.; die Täler des obern Pandsch und alle diesem Fluß in dem nach N. gerichteten Teil seines Laufes zukommenden Zuflüsse werden von Sueß als wahrscheinlich »wahre tektonische Längstäler« bezeichnet. Die äquatoriale Gebirgs- und Talrichtung zeigt jedoch eine gegen N. und W. zunehmende Umbiegung nach SW., die östlich des Schiwasees sogar in SSW. übergeht. Die östliche Hälfte hat mehr und einheitlicher den Charakter der Hochsteppe, die westliche mehr den eines stark aufgelösten Gebirgslandes, so daß hier die einzelnen Hochsteppen (Pamirs) auf die Umgebung der Talfurchen beschränkt sind. Der wichtigste Fluß ist der Pandsch, der mit dem Aksu im Kleinen P. entspringt. Der erstere fließt zunächst nach W., dann nach N., der Aksu zuerst nach O., dann nach N., um weiterhin als Murghab nach W. umzubiegen und sich mit dem Pandsch zu vereinigen. Beide zusammen werden als Quellflüsse des Amu Darja (s. d.) bezeichnet. An diese Ströme und ihre Nebenflüsse ist die Anordnung der einzelnen Pamirs gebunden. Es folgen einander von S. nach N. das Kleine P., das Große P. (Gebiet des obern Pamirflusses und des Sorkul oder Viktoriasees), das Alitschur-P. (Gebiet des Gund mit dem See Jeschylkul). Nach W. entsprechen diesen Gebieten die Landschaften Garan, Schugnan und Roschan. Dazu kommen als weitere Pamire die Aktaschebene des obern Aksu, das Taghdumbasch-P. (Quellgebiet des Flusses von Taschkurgan), als Fortsetzung nach N. die Tagharma- und Saryk-kolebene, im Innern das abflußlose Gebiet des Rangkul-P. mit dem gleichnamigen See und das Chargoschy-P. mit dem Großen Karakul. Die mittlere Höhe der Steppen liegt, von den Talfurchen abgesehen, bei 4–5000, die der scheidenden Gebirgsketten bei 5–6000 m; in den Randgebirgen werden noch größere Höhen erreicht (Mustag-ata 7860 mim O., Pic Kaufmann 7000 mim N., Tirachmir 7750 mim S.). Die nach Indien führenden Pässe (namentlich Bahroghil und Kilik) haben Höhen von 3800–5000 m. die nach Ostturkistan führenden (Kandahar) etwa 5000, die nach N. führenden (Kisil-art) etwa 4500 m. Nach den Beobachtungen auf dem russischen Pamirposten[347] am obern Aksu (3610 m) ist der kälteste Monat der Februar mit -24,9°, der wärmste der Juli mit 16,8° Mitteltemperatur; die Extreme sind -44° und +27,5°. Die Luft ist außerordentlich rein, trocken und durchsichtig, soweit nicht die geradezu gefährlichen Staub- und Schneestürme auftreten. Wegen der Höhenlage und des kurzen Sommers (Schneestürme schon im September) ist die Pflanzenwelt außerordentlich arm, das Land sogar meist völlig kahl. Die Sommerweiden sind nur etwa drei Monate lang in der Nähe der Flüsse und Seen benutzbar. Weidenbäume und Zwergbirken finden sich nur an bevorzugten Stellen. Die Tierwelt ist verhältnismäßig reich, z. B. haben sich 112 Vogelarten in einer Meereshöhe gefunden, in der die Alpen nur 12 aufweisen. Charaktertier ist der schon selten gewordene Mufflon (Ovis Poli). Die Bevölkerung besteht im Sommer aus kirgisischen Nomaden, deren Zahl sehr verschieden angegeben wird. Geschätzt wurden früher gewöhnlich 20,000, während im russischen P. 1893 nur 1232 Einw. gezählt wurden. Dichter bevölkert ist die Ebene Saryk-kol. In den Tälern sollen im ganzen 500,000 Tadschik wohnen, die Gerste und Bohnen anbauen. In den Talfurchen des Südens und Westens gedeihen sogar Wein und Obst. Die Grenzregulierung zwischen russischem und afghanischem Gebiet ist durch Vertrag vom März 1895 vorgenommen. Danach bildet im W. der Pandsch, im S. zunächst derselbe Fluß, dann der Pamirfluß und eine Linie über dessen Quelle hinaus nach O. die Grenze, so daß die Landschaft Wachan zu Afghanistan gehört. Die Landschaften Schugnan, Roschan und Darwas sind zu Buchara geschlagen. In Pamirski Post liegt eine russische Besatzung, ebenso längs der Südgrenze in Langar (gegenüber dem afghanischen Kala-i-Pandsch) in Kisil-Rabat und in Aktasch (Schlüssel zum Paß nach dem chinesischen Taghdumbasch-P.). Die Ostgrenze gegen chinesisches Gebiet verläuft von S. her über die Wasserscheide zwischen Pandsch und Aksu einerseits und dem Fluß von Taschkurgan anderseits und hält auch später, westlich einschwenkend, im wesentlichen die Wasserscheide zwischen den beiderseitigen hydrographischen Gebieten ein. Das Gebiet im N. des P. ist im Altertum der Handelsweg (Seidenstraße) zwichen dem römischen und dem chinesischen Reich (Tsungling, s. oben) gewesen, auch später die Straße für die Nestorianer, die den Mongolen in Zentralasien das Christentum brachten. Der berühmte chinesische Reisende Hiuën-tsang nahm um 640 den Rückweg von Indien über den P. Auch Marco Polo verfolgte 1272 vermutlich die Straße den Pandsch aufwärts nach dem Osten. Der portugiesische Missionar Benedict Goës überschritt 1603 den P. in seinem südlichen Teil. Im 19. Jahrh., und namentlich seit 1870, ist das Gebiet von zahlreichen Forschern besucht worden. Von russischen Reisenden haben sich hier namentlich ausgezeichnet Fedtschenko, Muschketow, Sewerzow, Kostenko, Grum-Grschimailo; von Engländern Gordon, Trotter, Younghusband, Graf Dunmore, Cobbold; ferner der Schwede Sven Hedin (mehrfach), der Däne Olufsen und der Deutsche Filchner (vgl. die Literatur).

Vgl. T. E. Gordon, The Roof of the World (Edinb. 1876); Paquier, Le P., étude (Par. 1877); W. Geiger, Die Pamirgebiete (Wien 1887); H. Lullies, Die Kenntnis der Griechen und Römer vom Pamirhochland (Königsb. 1887); Dunmore, The Pamirs, Kashmir, Western Tibet, etc. (Lond. 1893, 2 Bde.); Thorburn, Asiatic neighbours (das. 1894); Cumberland, Sport on the Pamirs and Turkestan steppes (das. 1895); G. N. Curzon im »Geographical Journal«, Bd. 8 (das. 1896); E. de Poncins, Chasses et explorations dans la région des Pamirs (Par. 1897); Olufsen, Through the unknown Pamirs 1898–1899 (Lond. 1904; dän. Ausg., Kopenh. 1905) und dessen »Wissenschaftliche Berichte über die zweite dänische Pamirexpedition« (das. 1903 ff.); Hedin, Durch Asiens Wüsten (Leipz. 1899); Cobbold, Innermost Asia (Lond. 1900); Golownina, In den Pamirs (russ., Mosk. 1902); Filchner, Ein Ritt über den P. (Berl. 1903). – Gute Karten brachten namentlich Geiger und Curzon, außerdem das russische Turkistanische Kriegstopographische Bureau in 2 Bl., 1: 420,000 (Taschkent 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 347-348.
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