[726] Pflanzenornament (hierzu Tafel »Pflanzenornamente I u. II«). Während das Tier den Menschen schon in seinen frühesten Kulturzuständen zur Nachbildung und Verwendung als Zierat für seine Gebrauchsgegenstände reizte, geschah dies mit der Pflanze nicht in gleichem Maß, und erst die Kulturvölker erkannten, daß sie sich in ihrer Biegsamkeit und Unbewegtheit, in ihrer symmetrischen und strahligen Entwickelung, in ihrem Formen- und Farbenreichtum noch in viel höherm Maß sowohl zum selbständigen Kunstelement als zur Flächenverzierung eignet. In der Verwendung selbst lassen sich bedeutungsvolle Verschiedenheiten der Völker und Zeiten erkennen. Die alten Ägypter und Assyrer ließen sich an der einfachen Verwendung der Naturformen genügen, indem sie z. B. den Palmenstamm oder ein Bund Papyrushalme als Säule darstellten und oben mit einer Lotusblume oder -Knospe oder einem Kranz von Papyrusähren krönten (vgl. Borchardt, Die ägyptische Pflanzensäule, Berl. 1897). Bei der Flächenverzierung wurden einfach Blüten und Blätter durch geometrische Linien miteinander verbunden (Fig. 1, Assyrischer Lotosfries), und wenn diese Darstellungen auch im Schmucke der Farbe angenehm wirkten, läßt sich doch die Starrheit und Gebundenheit der Motive nicht übersehen. Die schon bei den Assyrern vorkommende Palmette, bei der man zweifelhaft sein kann, ob sie dem Gipfel einer Palme (den die Assyrer ebenso darstellten) oder dem einfachen Blatt einer Fächerpalme entlehnt ist, gewann ihre reizvollere Umgestaltung doch erst in Griechenland (Fig. 2 u. 3), wo ein geläuterter Geschmack ihre eigentümliche Schönheit herauszubringen verstand. Die Griechen wußten ferner bestimmte Pflanzenformen zu ermitteln, die sich zur weitesten Verwendung eigneten und die größte Rolle im P. gespielt haben, die Bärenklau (Acanthus, s. d.) und die Drachenwurz (Arum Dracunculus, s. d.). Indem sie dem Akanthusblatt einen angenehmen, ihm von Natur nicht eignen Schwung sowohl in seiner Flächenausbreitung als in seiner Fiederbildung gaben, schufen sie ein neues Element, das sich zunächst in der Ausschmückung des einfachen Kelch- oder Palmblätterkapitells (Fig. 1) bewährte und eine außerordentliche Entwickelungsfähigkeit entfaltete. Durch künstlerische Kreuzung des Akanthusornaments mit andern schönen Blattformen, wie der der vielzipfeligen Sellerie (Fig. 5) oder der starreren, in scharfe Kanten und Spitzen auslaufenden Distel (Fig. 6), vor allem aber mit dem Arum (Fig. 7, 8 u. 11), entstanden die reichsten Abänderungen des Grundtypus. Die Drachenwurz (s. Arum) bot sowohl in ihrem fußförmigen Blatt als in der eingeschnittenen Blütenhülle und dem Fruchtstand äußerst verwendbare Motive zu einem vielgestaltigen Arumornament, namentlich auch insofern, als ihr Blatt sich um den Stengel legt, in der Hülle zum Gedanken eines Fortsprossens des Stengels aus dem Kelch anregte und so zur Entstehung jenes Rankenwerkes führte, das wie in Fig. 8, 9 u. 10 weitreichende, organisch fortgeführte Fries- und Flächenverzierungen ermöglichte und ebenso herrliche Endglieder (Fig. 11) und Wiederholungen der Palmette auf höherer Stufe (Fig. 3 u. 9) gestattete. Diese Grundornamente der griechischen Kunst, denen sich Efeu, Weinlaub, mancherlei Blumen und Früchte, wie Eicheln, Trauben, Pinienzapfen (Fig. 26), anschlossen, obwohl sie eine untergeordnete Rolle spielten, beherrschten auch die römische Kunst, während die christliche Kunst, wenn auch in den ältern Zeiten von ersterer abhängig (Fig. 17), bald zu einer reichern und unmittelbarern Verwendung der einheimischen mitteleuropäischen Pflanzenwelt drängte. Erst jetzt tritt die Schönheit des Eichen-, Ahorn- und Platanenblattes in ihre Rechte. In den mittelalterlichen Miniaturen finden wir die ganze einheimische Pflanzenwelt von der Distel bis zur Erd beere, Lilie, Vergißmeinnicht und Rose, Akelei und Rittersporn in Verwendung. Auch der einheimische Aronsstab (Fig. 13), ja selbst das Blatt des Krauskohls ersteigt die romanischen Kapitelle, während das klassische Arummotiv eine Verbindung mit dem vom Saflor hergenommenen Distelblüten- und Granatapfelmuster (Fig. 15 u. 25) eingeht, das die Tapeten- und Prunkgewänder-, Decken- und sonstigen Flächendekorationen bis tief in die Renaissancezeit beherrschte. Eine besondere Bevorzugung erfuhren mit Bezug auf die Kreuzesform und Dreieinigkeitslehre dreiteilige Blatt- und Blütenformen, wie die des Klees und der Schwertlilie (Fig. 23 u. 24), die zugleich zu Wappenzeichen verschiedener Länder erhoben wurden und die Fenstereinrahmungen der Dome gliederten. In der arabisch-maurischen Kunst erstarrte das P. zu zwar buntfarbigen, aber toten Mustern einer nur als Ganzes wirkenden Dekoration (Fig. 12, 16 u. 18), während die Gotik ihm durch Biegung und Aufblähung ein üppiges Leben lieh (vgl. Fig. 14, 19, 20 u. 21), namentlich in den Knollen oder Krabben (s. d.), welche die Wimpergen und Türme der Münster gleichsam erklettern, und in den Kreuzblumen der Krönungen. Auch hier trat also wieder ein kräftiges Stilisierungsbestreben in seine Rechte, das selbst trocknes Astwerk (Fig. 22), Disteln und Dornen in seinen Bann zwang, und an Pflanzen, die in Blättern und Blumen aus der gewöhnlichen Regel herauswachsen (wie Stechpalme, Meerdistel, Schwertlilie, Akelei, Frauenschuh, Geisblatt etc.), seine besondere Freude hatte. Die Renaissance kehrte wieder zu den alterprobten klassischen Vorbildern zurück, die sie in vielen Stücken, wie z. B. in den Fruchtgehängen (Fig. 27), reicher entwickelte, während sie anderseits die Verwendung der einheimischen Pflanzenbilder bis auf die ungesunde Bevorzugung von Lilie und Rose zurückdrängte. Der Barock- und Zopfstil unterdrückte mit seiner Liebhaberei für unsymmetrische Schnörkel- und Schneckenlinien das Naturgefühl vollends; nirgends in der Natur wachsende Graspalmen beherrschten die Einfassungen und bildeten mit der Muschel und Schnecke die Hauptmotive der Innen- und Außendekoration. Glücklicherweise erhielt die Alte Welt mit ihrem absterbenden Sinn für Naturschönheit damals eine Blutauffrischung aus Ostasien. Das chinesische und japanische P., naturgetreu und ohne Zwang, aber in verschwenderischer Fülle über alle Gebrauchsgegenstände hingestreut (Fig. 28, 29 u. 30), bewies, daß auch der reinste Naturalismus auf diesem Gebiet ein Höchstes leisten kann. Der im Empirestil noch einmal auflebende klassische Geschmack hat seitdem einer reichern Ausnutzung der gebotenen Formen Platz gemacht, das Zeichnen und Entwerfen nach natürlichen Vorbildern hat zugenommen, und eine Anzahl ausgezeichneter Künstler und Lehrer bringt die Grundsätze einer gesunden Nachbildung, Entwickelung und Stilisierung der Naturformen auf das Lehrprogramm der Kunst- und Gewerbeschulen. Die neueste Richtung des Kunstgewerbes[726] in Deutschland hat sich besonders die Verwendung einheimischer Pflanzenformen zur Aufgabe gemacht.
Vgl. Woenig, Pflanzenformen im Dienste der bildenden Künste (Leipz 1881); Jacobsthal, Arazeenformen in der Flora des Ornaments (Berl. 1884); Hölder, Pflanzenstudien und ihre Anwendung im Ornament (Stuttg. 1884, 60 Tafeln); Picard, L'Ornement végétal (deutsch, Berl. 1887); Schubert von Soldern, Das Stilisieren der Pflanzen (Zür. 1888); Gerlach, Die Pflanze in Kunst und Gewerbe (Wien 188689,200 Tafeln); Hofmann, Blätter und Blüten für Flächendekoration (Leipz. 1886, 30 Tafeln); Meurer, Naturstudien nach Pflanzenformen (Berl. 1889), Pflanzenformen (Dresd. 1895), Die Ursprungsformen des griechischen Akanthusornaments (Berl. 1896) und Pflanzenbilder (Dresd. 18991903); Moser, Handbuch der Pflanzenornamentik (Leipz. 1893); v. Storck, Die Pflanze in der Kun st (Wien 1895 ff.); Grasset, La plante et ses applications ornementales (Par. 18981900); Groß, Botanischer Formenschatz (Stuttg. 1899); Hofmann, Moderne Pflanzenornamente (Plauen 18981904); Pilters, Die Pflanze im neuen Stil (das. 1900 ff.); Graul, Die Pflanze in ihrer dekorativen Verwertung (Leipz. 1903); Bouda, Die Pflanze in der dekorativen Kunst (Prag 190103, 2 Bde.); F. Wolf, Stilisierte Naturformen und ihre Verwendung im Flachornament (Leipz. 1905); Sodoma, Das polychrome P. (Berl. 1905). Weiteres im Artikel »Ornament« (mit Tafel I-IV).