Ornament

[132] Ornament (lat., hierzu die Tafeln »Ornamente I bis IV«), Verzierung, die schmückende Zutat an Arbeiten menschlicher Kunstfertigkeit, besonders an Werken der Baukunst und der Kunstgewerbe. Sie hängt von dem Zweck des Gegenstandes, von der Zeit und dem Ort seiner Entstehung, von der Beschaffenheit seines Materials und seiner Herstellungsweise ab. Je nachdem die geometrische Grundform des Kunstwerks ein Körper, eine Fläche oder eine Linie ist, unterscheidet man Körper-, Flächen- und lineare Ornamente und hierbei wieder erhabene (Hautreliefs), halberhabene (Basreliefs) und Flachornamente. Die Ornamente sind der Geometrie oder der Pflanzen- und Tierwelt entlehnt und dann rein geometrisch, vegetabilisch oder animalisch, oder sie sind aus je zweien dieser Gebiete oder aus allen dreien gemischt. Die Gebilde nach Pflanzen oder Tieren lassen eine mehr oder minder freie Verwendung zu, die sich dem geometrischen Grundgedanken enger oder weniger eng anschließt (Weiteres vgl. in den Artikeln Pflanzenornament und Tierornament mit Tafeln). Man unterscheidet hiernach stilisierte und naturalistisch behandelte Ornamente. Streng stilisiert sind besonders die Ornamente der Bauwerke und an Gerätschaften des klassischen Altertums, naturalistische Ornamente sind besonders der Spätgotik und Spätrenaissance eigentümlich. Je nachdem die Ornamente durch die Form oder durch die Farbe zu wirken haben, sind sie plastische oder farbige; doch werden nicht selten Plastik und Farbe, wie bei der griechischen und gotischen Architektur, gleichzeitig verwendet, um die Wirkung der Ornamente zu steigern. Einen Überblick über die geschichtliche Entwickelung des Ornaments bei den Hauptkulturvölkern und in den Hauptepochen geben beifolgende vier Farbentafeln »Ornamente«;[132] weitere Beispiele von Ornamenten s. die Tafeln »Architektur«, insbes. Tafel VI, Fig. 1, 5, 10–12, Tafel VII, Fig. 1, 3, 4 und 6, und Tafel XII, Fig. 4. Die Geschichte des Ornaments steht mit der allgemeinen Kunstgeschichte im engsten Zusammenhang; über vorgeschichtliche Ornamentik vgl. den folgenden Artikel.

Die einfachsten Ornamente finden sich an vorgeschichtlichen Geräten, Waffen etc. und an allerlei Gegenständen der Naturvölker. Die Ornamente der vorgeschichtlichen Zeit (vgl. den folgenden Artikel) und die ältesten orientalischen, mit denen auch die auf den Schliemannschen Funden in Troja, Mykenä und Tiryns und auf den cyprischen Altertümern übereinstimmen (Tafel I, Fig. 16–22), sind denen der Naturvölker verwandt und vorwiegend geometrisch (Wellen- und Zickzacklinien, Spiralen). Erst allmählich werden Versuche gemacht, Tiere durch steife Linien nachzubilden (Fig. 18), woraus sich schließlich die Tierornamentik an den ältesten griechischen Vasen entwickelte (s. Tafel »Vasen«, Fig. 7). Bei den Assyrern treten neben linearen Ornamenten (Bandverschlingungen) bereits vegetabilische (Rosetten, Blüten, Palmetten) auf (Tafel I, Fig. 1–5). Ein Gleiches gilt von der Ornamentik der Ägypter, die ihren vegetabilischen Ornamenten die Lotosblume (Fig. 7) und andre Wasserpflanzen zugrunde legten. Dazu kamen stilisierte Tiere, Skarabäen (Fig. 6), die Uräusschlange, der Sperber u. dgl. (Fig. 6–15). Die Ornamente für die Weberei, für die sich ein besonderes Verzierungssystem ausbildete (s. Art. »Weberei« nebst Tafel), sind meist geometrisch. Die hellenische Kunst, die ihre vegetabilischen und linearen Ornamente von der asiatischen übernahm, bildete die Ornamentik zu einem strengen System aus, wodurch der eigentliche Stil begründet wurde, indem jedes O. sich dem Charakter des verzierenden Kunstgegenstandes anpaßte und unterordnete. Die Figuren 23–39 geben Proben von Ornamenten und Architekturteilen, Wänden, Decken und Vasen. Das Charakteristische der griechischen Ornamentik ist die strenge Stilisierung der vegetabilischen Elemente, d.h. die Umbildung der einzelnen Erscheinung zu einem feststehenden Typus. Der Mäander (s. d.) und die Palmette (s. d.) sind die Hauptelemente der linearen und der vegetabilischen Ornamentik. Die Ornamentik der Etrusker (Fig. 40–43) fußt ebenso wie die der Römer (Fig. 44–54) auf der griechischen, nur daß letztere von den Römern zu höchstem Reichtum entwickelt wurde, namentlich unter Einführung figürlicher Elemente, wofür besonders die Wandmalereien in Pompeji (Fig. 48, 50–54), die in Villen in und bei Rom gefundenen und die römischen Grabkammern (Kolumbarien) glänzende Beispiele bieten. Aus diesen Ornamenten, die im 15. Jahrh. neu aufgefunden wurden, entwickelte sich die Ornamentik der italienischen Renaissance (s. unten). Durch Aufnahme orientalischer Elemente bildete die byzantinische Kunst einen neuen Stil heraus, der sich wesentlich auf lineare und vegetabilische Formen beschränkte, und den starke Farbenkontraste kennzeichnen (Tafel II, Fig. 2–6, 38 u. 39). Auf spätgriechischen und byzantinischen Elementen beruhte auch die Dekoration der Araber, Mauren und Perser (Fig. 7–13, 14 u. 15), die sich bei der beweglichen Phantasie und der Farbenlust dieser Völker zu höchster Pracht entfaltete. Orientalischen Einfluß zeigen auch die Buchmalereien in den irischen und altrussischen Manuskripten (Fig. 36 u. 37,18 u. 19). Mit der orientalischen Ornamentik verwandt ist die der Inder (Tafel IV, Fig. 6–9), der Perser, die zu Ende des Mittelalters von Indien und China abhängig wurde (Tafel IV, Fig. 10–13), der Chinesen (Fig. 1 u. 2) und Japaner (Fig. 3–5). Die Kunst der Ostasiaten, die vorwiegend eine ornamentale ist, hat später einen eignen Weg eingeschlagen (vgl. Artikel »Japanische Kunst« mit Tafeln). Sie hat im 18. Jahrh. und in neuester Zeit auch die europäische Dekoration stark beeinflußt. Aus der griechisch-römischen Ornamentik ist die romanische abgeleitet worden, welche die Baukunst und die Dekoration der innern Räume vom 10. bis 13. Jahrh. beherrschte. Sie zog neue Elemente aus unmittelbarem Naturstudium und gab besonders phantastischen Tierfiguren in ihrem System großen Raum (Tafel II, Fig. 20–28, und Tafel »Weberei«, Fig. 3 u. 4). In der gotischen Ornamentik tritt wieder mehr das vegetabilische Element in phantastischer, später naturalistischer Behandlung, die schließlich zum wüsten Übermaß und zur leeren Spielerei ausartete, in den Vordergrund (Tafel II, Fig. 29–35, 40–47). Eine Rückkehr zum Einfachen und Maßvollen führte im Anschluß an die römische Antike die italienische Renaissance herbei (Tafel III, Fig. 11–16, 18–20), deren System besonders nach Frankreich durch italienische Künstler übertragen und von einheimischen festgehalten wurde (Fig. 17, 21–28), während die deutsche Renaissance die antike Ornamentik mehr in freierm, naturalistischem Sinn, auf Grund der gotischen Überlieferung verwertete (Fig. 27–33). Eine weitere Umbildung nach der naturalistischen Seite, aber zugleich eine Steigerung zu höherer Pracht erfuhr die Ornamentik in der Zeit der Spätrenaissance, des Barock- u. Rokokostils (Tafel IV, Fig. 14–28). Die Ornamentik der Barockzeit artet häufig in schwerfälligen Prunk und Überladung aus, während die der Rokokozeit durch Grazie und spielende Leichtigkeit ausgezeichnet ist. Das Grotten-, Muschel- und Rahmenwerk ist für letztere charakteristisch (vgl. Grotesk). Eine Reaktion gegen ihr Übermaß wurde durch den steifern und schmucklosern Zopfstil (in Frankreich Louis XVI genannt) eingeleitet, aber erst durch die Nachahmung antiker Muster, zum Teil in manierierter (Empirestil), zum Teil in reinerer Form (Schinkel, Klenze), durchgeführt. Die Ornamentik der Zeit von 1820–70 trägt einen frostigen, zaghaften Charakter. Erst mit dem vollen Anschluß der Baukunst, des Kunstgewerbes und der Dekoration an die Renaissance gewann die moderne Ornamentik eine freie Bewegung, die der Farbe den weitesten Spielraum gewährte. Die Ornamente aller Stilperioden wurden, je nach dem Zweck, nachgeahmt oder für die modernen Bedürfnisse umgebildet; die Renaissance, der Barock-, der Rokokostil wurden besonders bevorzugt. Nachdem aber alle Stilarten in formaler wie in technischer Hinsicht erschöpft waren, erhob sich gegen diese unfruchtbare Art der Reproduktion zu Anfang der 90er Jahre des 19. Jahrh. eine Gegenbewegung, die einen völligen Bruch mit der geschichtlichen Überlieferung und eine durchaus neue, von allen Vorbildern unabhängige, dem modernen Geist entsprechende Ornamentik forderte. Ihre Vertreter gingen einerseits von der Linie (van de Velde [s. d.] und seine Nachahmer), anderseits von vegetabilischen Grundformen (Eckmann, s. d., Hermann Hirzel u.a.) aus. Aber obwohl in der aus pflanzlichen Motiven abgeleiteten, modernen Ornamentik eine große Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit erreicht worden ist, haben diese Bestrebungen nicht zu einem allgemein befriedigenden Ergebnis geführt. Nicht minder kräftig ist eine Strömung, die auf die Umbildung der historischen Ornamentformen gerichtet[133] ist. Proben moderner Ornamentik s. auf den Tafeln »Buchschmuck III und IV«, »Keramik II«, »Möbel II und III«, »Schmucksachen II und III« und »Moderne Tapeten«. Vgl. auch für das historische O. die Tafeln »Bronzekunst«, »Keramik I«, »Möbel I«, »Schmiedekunst«, »Schmucksachen I« und »Griechische Vasen«.

Vgl. Bötticher, Tektonik der Hellenen (2. Aufl., Berl. 1869–81); Semper, Der Stil (2. Aufl., Münch. 1878, 2 Bde.); Owen Jones, The grammar of ornament (Lond. 1865, 4. Aufl. 1880); Racinet, Das polychrome O. (deutsche Ausg., 4. Aufl., Stuttg. 1890; zweite Serie 1885–87); Jacobsthal, Grammatik der Ornamente (Berl. 1874); Kanitz, Katechismus der Ornamentik (6. Aufl., Leipz. 1902); Lièvre, Les arts décoratifs à toutes les époques (Par. 1873); Bucher u. Gnauth, Das Kunsthandwerk (Vorlagen, Stuttg. 1874–76); Hirth, Der Formenschatz (Leipz. 1877 ff.); Blanc, Grammaire des arts décoratifs (2. Ausg., Par. 1886); Gurlitt, Das Barock- und Rokokoornament Deutschlands (Berl. 1889); Häuselmann, Studien und Ideen über Ursprung, Stil und Wesen des Ornaments (2. Aufl., Zür. 1889); Heere, Das O. im Zeichenunterricht (Berl. 1892); Dolmetsch, Ornamentenschatz (3. Aufl., Stuttg. 1897); F. S. Meyer, Handbuch der Ornamentik (7. Aufl., Leipz. 1903); Riegl, Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik (Berl. 1893); Moser, Handbuch der Pflanzenornamentik (Leipz. 1893); Gehring, Renaissanceornamentik (Kaisersl. 1895) und Motivsammlung der Renaissanceornamentik (das. 1898); Zellner, Das heraldische O. in der Baukunst (Berl. 1903); Pfeifer, Die Formenlehre des Ornaments (im »Handbuch der Architektur«, Stuttg. 1905); Weiteres bei den Artikeln »Flachmalerei«, »Pflanzenornament« und »Tierornament«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 132-134.
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