Schubert

[51] Schubert, 1) Gotthilf Heinrich von, Naturphilosoph, geb. 26. April 1780 zu Hohenstein im Schönburgischen, gest. 1. Juli 1860 in München, studierte in Leipzig Theologie, in Jena, wo er Schellings Naturphilosophie kennen lernte, Medizin, hielt als praktischer Arzt in Dresden naturphilosophische Vorträge, aus denen seine Schrift »Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft« (Dresd. 1808, 4. Aufl. 1840) entstand, wurde 1819 Professor der Naturwissenschaften in Erlangen, 1827 in München, hier zum Geheimrat ernannt und in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Von seinen zahlreichen Schriften, von denen die ersten unter dem Einfluß der Schellingschen Naturphilosophie, die spätern (seit 1817) unter dem einer mystisch-pietistischen Asketik stehen, sind außer der obigen hervorzuheben: »Ahnungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens« (Leipz. 1806–21, 2 Bde.); »Symbolik des Traums« (Bamb. 1814; 4. Aufl., Leipz. 1862); »Geschichte der Seele« (Stuttg. 1830, 2 Bde.; 5. Aufl. 1878), sein gelesenstes Werk mit dem Nachtrag »Die Krankheiten und Störungen der menschlichen Seele« (das. 1845), sehr phantasievoll, aber ohne tiefern wissenschaftlichen Wert; »Altes und Neues aus dem Gebiete der innern Seelenkunde« (Leipz. u. Erlang. 1817–44, 5 Bde.; Bd. 1 u. 2 in 3 Aufl. 1849; neue Folge, Frankf. 1856–59, 2 Bde.). Auch einige Reisewerke, wie über das südliche Frankreich (2. Aufl., Erlang. 1853, 2 Bde.) und über den Orient (das. 1838–39, 3 Bde.), den er 1836–37 bereist hatte; »Biographien und Erzählungen« (das. 1847–48, 3 Bde.); eine Reihe von Volks- und Jugendschriften (gesammelt als »Erzählende Schriften«, neue Ausg., das. 1882, 7 Bde.; auch in Auswahl und vielen Einzelausgaben) sowie seine Selbstbiographie u. d. T.: »Der Erwerb aus einem vergangenen und die Erwartungen von einem zukünftigen Leben« (das. 1853–56, 3 Bde.) und »Erinnerungen aus dem Leben der Herzogin Helene Luise von Orléans« (Münch. 1859, 8. Aufl. 1877), seiner ehemaligen Schülerin, hat er veröffentlicht. Schuberts »Vermischte Schriften« erschienen in 2 Bänden (Erlang. 1857–60). Vgl. Schneider, Gotthilf Heinrich v. S. (Bielef. 1863).

2) Franz, Komponist, geb. 31. Jan. 1797 in Wien, gest. daselbst 19. Nov. 1828, erhielt den ersten Musikunterricht im väterlichen Hause (sein Vater war an der Pfarrschule der Vorstadt Lichtenthal als Lehrer angestellt) und wurde 1808 als Singknabe in das kaiserliche Konvikt aufgenommen. Neben dem Kompositionsunterricht von Ruczizka und Salieri genoß[51] er hier musikalische Anregung verschiedenster Art, denn er wirkte nicht nur als Solist im Gesang, sondern lernte auch die Instrumentalwerke J. Haydns und Mozarts kennen, da er in dem aus den Konviktknaben gebildeten Orchester als erster Violinist verwendet wurde und in gleicher Eigenschaft bei dem Lichtenthaler Kirchenchor und bei den Quartettabenden im väterlichen Hause beschäftigt war. Im Oktober 1813 kehrte er in das elterliche Haus zurück und lebte hier den musikalischen Studien, bis er, um dem Militärdienst zu entgehen, gegen Ende 1814 Schulgehilfe seines Vaters wurde, welches Amt er drei Jahre hindurch versah. Außer einem Engagement als Hausmusiklehrer des Grafen Johann Esterhazy in Zelécz (im Sommer 1818 und wieder 1824) hat S. keinerlei Stellung bekleidet, sondern lebte fortan nur der Komposition, zwar in beschränkten Verhältnissen, aber umgeben von einem Kreise treuer Freunde (die Dichter Mayrhofer, Grillparzer und Bauernfeld, die Maler Kupelwieser, M. v. Schwind, die Musiker Vogl, Franz Lachner, Randhartinger sowie die Brüder Hüttenbrenner, J. v. Spaun, K. v. Schober, K. v. Schönstein). So spielte sich sein kurzes Leben ganz ohne äußere Ereignisse ab. Sein Grab lag auf dem Währinger Friedhof in der Nähe von demjenigen Beethovens, und auch bei der Umbettung nach dem neuen Zentralfriedhof (1888) wurde diese Nachbarschaft erneuert. 1872 errichtete man ihm im Wiener Stadtpark ein Denkmal (von Kundmann; s. Tafel »Wiener Denkmäler I«; sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Tondichter II«, Bd. 14, S. 309). Die historische Bedeutung Schuberts liegt in seinen Liedern. Das deutsche Kunstlied ist durch S. recht eigentlich erst geschaffen worden. Er brachte damit die Stilreform, die Haydn, Mozart und Beethoven auf instruktivem Gebiete vollendeten, auf dem Spezialgebiete der lyrischen Vokalmusik zum Abschluß. Die Universalität im Ausdruck, die er hier entfaltete, ist etwas ganz Neues und Unerhörtes in der Literatur. Die Gesamtzahl der Lieder Schuberts beträgt über 500, darunter die Zyklen: »Die schöne Müllerin«, »Winterreise« und »Schwanengesang« und eine größere Zahl auf Texte Goethes, welche die Versuche der von Goethe so hoch gestellten Komponisten Reichardt und Zelter zugleich in Vergessenheit brachten. Neben den Liedern, die S. unsterblich machen, stehen besonders zahlreiche Klavierkompositionen zu zwei und vier Händen (Impromptus, Sonaten, Märsche), aber auch eine stattliche Reihe Kammermusikwerke (Streichquartette, Quintette, Trios), die herrlichen Symphonien C dur, H moll (unvollendet) u. a. In allen diesen Werken offenbart sich eine überströmende Phantasie, blühendste Frische des Ausdrucks und unerschöpflicher Reichtum melodischer und harmonischer Erfindung. Obwohl vorwiegend für die Lyrik beanlagt und demgemäß in den kleinern Musikformen am meisten heimisch, wußte doch S. auch den größern Gattungen der Vokal- und Instrumentalkomposition neue Seiten abzugewinnen durch das Hineintragen mehr lyrischer Details; durch beschauliches Verweilen bei schönen Klangwirkungen wurde er zu einem Mitschöpfer der musikalischen Romantik. Obgleich S. wiederholt Versuche in der Opernkomposition gemacht und im ganzen sechs Singspiele und sieben Opern geschrieben hat (von letztern allerdings fünf nicht beendet; nur »Alfonso und Estrella«, 1822, und »Fierabras«, 1823, führte er ganz aus), so kam doch von alledem bei seinen Lebzeiten nur das Melodrama »Die Zauberharfe« (1820) und die Musik zu H. v. Chézys »Rosamunde« zur Ausführung (1823). Erst 1854 machte Liszt in Weimar einen Versuch mit »Alfonso und Estrella«, 1861 kam in Wien »Fierabras« und »Der häusliche Krieg« und 1880 daselbst in neuer Bearbeitung durch J. N. Fuchs »Alfonso und Estrella« zur Ausführung, doch ohne nachhaltige Wirkung. Einen hohen Rang nehmen aber Schuberts Chorgesänge ein (»Gesang der Geister über den Wassern«, achtstimmig, für Männerchor; »Schlachtlied«, desgl.; »Nachthelle«; »Nachtgesang im Walde«, vierstimmig, für Männerchor; »Ständchen«, Frauenchor; »Mirjams Siegesgesang«). Weniger Verbreitung fanden seine kirchlichen Kompositionen (Messen, Psalmen, Hymnen etc.). Weitaus der größte Teil der Kompositionen Schuberts gelangte erst lange nach seinem Tode zur Veröffentlichung. Eine Gesamtausgabe seiner Werke, von denen Nottebohm ein thematisches Verzeichnis bearbeitete (1874), erschien 1885 bis 1897 in 40 Bänden bei Breitkopf u. Härtel in Leipzig (redigiert von Eus. Mandyczewski). Sein Leben beschrieben Kreißle v. Hellborn (Wien 1856), Reißmann (Berl. 1873), A. Niggli (Leipz. 1880), Rich. Heuberger (Berl. 1902), E. Duncan (engl., Lond. 1905) und W. Klatte (Berl. 1907). Vgl. ferner Friedländer, Beiträge zu einer Biographie Franz Schuberts (Berl. 1889); Rissé, Fr. S. und seine Lieder (Hannov. 1872–73, 2 Tle.); H. de Curzon, Les lieder de F. S. (Par. 1899); Mme. Gallet, S. et le lied (Par. 1907).

3) Hans von, prot. Theolog, geb. 12. Dez. 1859 in Dresden, war 1887–91 Lehrer am Rauhen Haus in Horn bei Hamburg, wurde 1891 außerordentlicher Professor in Straßburg, 1892 ordentlicher Professor in Kiel und 1906 in Heidelberg. Von seinen Schriften erwähnen wir: »Die evangelische Trauung, ihre geschichtliche Entwickelung und gegenwärtige Bedeutung« (Berl. 1890); »Die Komposition des pseudopetrinischen Evangelienfragments« (das. 1893); »Siebenbürgen, drei Vorträge über die Siebenbürger Sachsen« (Tübing. 1900); »Die heutige Auffassung und Behandlung der Kirchengeschichte« (das. 1902); »Grundzüge der Kirchengeschichte« (3. Aufl., das. 1906). Außerdem bearbeitete S. die zweite Auflage von W. E. Möllers (s. d. 2) »Lehrbuch der Kirchengeschichte« (1. Bd., Tübing. 1897–1902).

4) Hermann, Mathematiker, geb. 22. Mai 1848 in Potsdam, promovierte 1870 in Halle, ward 1872 Gymnasiallehrer in Hildesheim und ist seit 1876 Oberlehrer und Professor am Johanneum in Hamburg. Er ist neben Zeuthen der Begründer der sogen. abzählenden Geometrie. Er schrieb: »Kalkul der abzählenden Geometrie« (Leipz. 1879); »Sammlung von arithmetischen und algebraischen Fragen und Aufgaben« (2 Tle., Potsd. 1883 u. ö.); »System der Arithmetik und Algebra für höhere Schulen« (das. 1885); »Mathematische Mußestunden«, Sammlung von Geduldspielen, Kunststücken etc. (2. Aufl., Leipz. 1900, 3 Bde.; Bd. 1 in 3. Aufl. 1906; kleine Ausg., 2. Aufl., 1903); »Auslese aus meiner Unterrichts- und Vorlesungspraxis« (das. 1905–06, 3 Bde.). Er redigiert seit 1898 die »Sammlung S.« im Verlag von Göschen in Leipzig, eine Sammlung von Lehrbüchern der Mathematik und mathematischen Physik; darin von ihm selbst: »Elementare Arithmetik und Algebra« (das. 1899), »Niedere Analysis« (das. 1902–03, 2 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 51-52.
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