Reh

[719] Reh (Cervus capreolus L., s. Tafel »Hirsche I«, Fig. 5), Säugetier aus der Gattung Hirsch (Cervus L.), 1,25 m lang, 75 cm hoch, 12–20 und 30 kg schwer, ist zierlich gebaut, mit kurzem, abgestumpftem Kopf, mittellangen Ohren, großen Augen, kaum bemerkbaren Tränengruben, mäßig langem Hals, verhältnismäßig wenig schlankem Leib, hohen und schlanken Beinen und kleinen, schmalen, spitzigen Hufen.

Fährte des Rehes.
Fährte des Rehes.

Das Gehörn besitzt breite Rosen, starke, rauhe Stangen, die gewöhnlich nur zwei Sprosse ansetzen, ohne Augensprosse. Im ersten Jahr erhält der Schmal- oder Spießbock unzerteilte, schlanke Spieße; im zweiten Jahr ist die Stange etwa in der Mitte geteilt (Gabelbock), wobei die Hauptstange sich von der Teilung an nach hinten biegt. Beim Sechsender teilt sich die nach hinten gebogene Hauptstange abermals und biegt sich wieder nach vorn vor. Selten kommen Acht- und Zehnender vor, desto häufiger allerlei Mißbildungen. Sehr alte Weibchen (Altreh) setzen bisweilen schwache Gehörne auf (vgl. Geweih, S. 782). Wenn der Bock das Gehörn abgeworfen hat, erkennt man ihn leicht am Pinsel, die Ricke an der Schürze. Das R. ist auf der Ober- und Außenseite im Sommer dunkel rostrot, im Winter braungrau, auf der Unter- und Innenseite der Gliedmaßen heller. Kinn, Unterkiefer und ein Fleck jederseits der Oberlippe sind weiß; das Gehör ist außen etwas dunkler, innen gelblichweiß, der Spiegel, d. h. Steiß und Hinterteil der Keulen, im Sommer gelblich, im Winter weiß; das Kalb besitzt auf rötlichem Grunde kleine weiße oder gelbliche Flecke. Mehrfach kommen schwarze, weiße, silberfarbene und gefleckte Spielarten vor. Das R. findet sich fast in ganz Europa, etwa bis 58° nördl. Br., und in einem großen Teile Asiens. Es fehlt im nördlichen und mittlern Rußland und ist in der Schweiz bis auf einzelne Trupps ausgerottet. Es bewohnt größere Laub- und Nadelholzwaldungen, besonders die erstern, und liebt Unterholz, junge Baumschläge mit viel Dunkel und Schatten. Seine Bewegungen sind sehr behend und anmutig; die Fährte zeigt obenstehende Abbildung und Tafel »Fährten und Spuren«,[719] Fig. 4. Sie ist so viel kleiner als die des Hirsches, daß sich sogar ein Kapitalbock noch bedeutend geringer als ein Rotwildkalb von wenigen Monaten spürt. Das R. springt und schwimmt vortrefflich, klettert auch, wittert und äugt sehr scharf und ist sehr schlau, vorsichtig und furchtsam. Es lebt meist familienweise, ein Bock mit einer, seltener 2–3 Ricken (Hille, Geiß) und deren Jungen; wo es an Böcken fehlt, in Trupps von 12–15 Stücken. Im Winter vereinigen sich zuweilen mehrere Familien und leben friedlich miteinander. Das R. hält sich am Tage verborgen und tritt gegen Abend auf junge Schläge, Felder und Wiesen heraus, um sich zu äsen. Es nährt sich von Blättern, Knospen, Zweigspitzen, grünem Getreide, Kräutern etc., leckt sehr gern Salz und sucht reines Wasser auf. Bisweilen dringt es in Gärten ein, um Gemüse zu fressen; auch verbeißt es in Forsten und Gärten häufig genug die jungen Bäume. Der Bock wirft im Oktober oder November das Geweih ab und segt Ende März oder im April. Die Brunstzeit währt von Mitte Juli bis Mitte August, in welcher Zeit der Bock mehrere Ricken und Schmalrehe beschlägt; aber bis zum November entwickelt sich das befruchtete Ei in der Gebärmutter äußerst langsam und erst von da ab in regelmäßiger Weise. Da sich nun überdies die Tiere in den Wintermonaten necken und jagen, so hat man lange von einer zweiten oder Dezemberbrunst (Afterbrunst) gesprochen. Die Ricke geht 40 Wochen hoch beschlagen und setzt an einem stillen Ort 1–3 weiß gefleckte Kälber (Kitze), die sie nach 10–12 Tagen dem Bock zuführt. Nach 10 Monaten trennen sich die Kälber von den Eltern, und mit 14 Monaten sind sie fortpflanzungsfähig Das junge, noch unbefruchtete Weibchen heißt Schmalreh. Das R. liefert Wildbret, Felle, Haare zum Polstern und Gehörn. Die Winterfelle sind schön im Haar, aber leicht brüchig, Herbstselle sind weniger schön, aber dauerhaft; sie werden zu Vorlagen, Decken, Schulranzen, Jägermuffen und zum Besetzen von Pferdegeschirr benutzt. Das R. richtet viel weniger Schaden an als das übrige Hochwild, ist aber doch überwiegend schädlich. In der Gefangenschaft wird es sehr zahm, aber selbst in Gehegen erreicht es nie die volle Größe wie im Wald, und Böcke werden im Alter leicht trotzig und unverschämt und selbst gefährlich. Die Bezeichnung der einzelnen Körperteile sowie die Jagdarten, die beim R. in Anwendung kommen, sind dieselben wie beim Rotwild; s. Blatten. Vgl. v. Dombrowski, Das R. (Wien 1876); Eulefeld, Das Rehwild (Berl. 1896); v. Raësfeld, Das Rehwild (das. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 719-720.
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