Salpetrige Säure

[486] Salpetrige Säure HNO2 findet sich an Basen gebunden weitverbreitet, wenn auch stets nur in geringer Menge in der Natur, so im Regenwasser (1,425–1,71 mg in 1 Lit.), in Ackererde (0,75–4,52 mg in 1 kg), im Grund-, Brunnen-, Drainwasser, im Mauer- und Chilisalpeter, im Speichel- und Nasensekret. Sie entsteht bei der Verbrennung vieler Körper an der Luft, durch Einwirkung des elektrischen Funkens auf Luft. Ammoniak wird durch den Sauerstoff der Luft bei Gegenwart von Platin, Zink, Kupfer, Eisen in Ammoniumnitrit verwandelt. Ammoniaksalze werden durch gewisse Bakterien in Nitrite verwandelt, durch andre Bakterien werden Nitrate zu Nitriten reduziert. Nitrite entstehen aus Stickstoffoxyd und Sauerstoff bei Gegenwart von Ätzkali, aus Nitraten beim Schmelzen für sich oder im Wasserstoffstrom, mit Kohle etc., bei Einwirkung von Kalium, Natrium, Zinkamalgam. Erwärmt man Stärke, Zucker, arsenige Säure mit Salpetersäure, so entstehen rote Dämpfe von Stickstofftetroxyd, die, in Lösungen von Alkalien geleitet, Nitrate und Nitrite liefern. Die freie Säure konnte bisher nicht isoliert werden. Stickstofftrioxyd N2O3 löst sich in Wasser, die Lösung gibt wenig über 0° viel Stickstoffoxyd und enthält dann S. S., die einige Tage haltbar ist, beim Kochen in Stickstoffoxyd und Salpetersäure zerfällt. Die Lösung wirkt reduzierend und oxydierend, mit Basen bildet sie die Salpetrigsäuresalze (Nitrite), und diese sind sehr beständige Körper; sie entstehen durch Einwirkung von Salpetriger Säure auf Basen, durch Reduktion von Salpetersäuresalzen und durch Oxydation von Ammoniak. Sie sind farblos oder gelb, meist kristallisierbar, sehr leicht in Wasser, zum Teil auch in Alkohol löslich, zersetzen sich beim Erhitzen, auch beim Kochen der Lösung, verpuffen auf Kohle und werden von verdünnten Säuren unter Bildung roter Dämpfe zersetzt. Eine geringe Menge Metaphenylendiamin in konzentrierter Schwefelsäure gelöst, wird durch Spuren von Nitriten intensiv gelbbraun gefärbt. Salpetrigsaures Ammoniak (Ammoniumnitrit) NH4NO2 entsteht sehr allgemein in der Natur, wird dargestellt aus Blei- oder Baryumnitrit mit schwefelsaurem Ammoniak, bildet eine weiße, kristallinische Masse, setzt sich an den Gefäßwänden sehr fest an, ist trocken ziemlich haltbar, zersetzt sich im feuchten Zustand freiwillig in Stickstoff und Wasser, explodiert bei schnellem Erhitzen auf 60° und durch Schlag; die konzentrierte Lösung zersetzt sich viel schneller als das trockne Salz. Salpetrigsaures Kali KNO2 entsteht bei starkem Erhitzen von salpetersaurem Kali, beim Schmelzen desselben mit Blei oder beim Behandeln der Lösung mit Zinkstaub etc.; es bildet farblose, zerfließliche Nadeln, löst sich leicht in Wasser, nicht in Alkohol und dient zur Darstellung von salpetrigsaurem Kobaltoxydkali und Salpeteräther, auch in der chemischen Analyse. Über salpetrigsaures Kobaltoxydkali s. Kobaltgelb. Salpetrigsaures Natron NaNO2 wird erhalten durch Schmelzen von salpetersaurem Natron mit Blei oder andern reduzierenden Körpern; es bildet farblose, mikroskopische, luftbeständige Prismen, löst sich leicht in Wasser, nicht in kaltem Alkohol, reagiert alkalisch und wird zur Darstellung von Azofarbstoffen benutzt. Das Silbersalz AgNO2 ist schwer löslich. Von den Salpetrigsäureäthern entsteht der Äthyläther (Salpeteräther, Salpeternaphtha, Äthylnitrit) C2H3NO3, wenn man in einem Zylinder rauchende Salpetersäure, Wasser und Alkohol übereinander schichtet. Zur Darstellung übergießt man Kupferdrehspäne mit Alkohol und Salpetersäure und leitet die ohne Erwärmung sich entwickelnden Dämpfe durch warmes Wasser, dann durch einen Kühlapparat. Er bildet eine farblose Flüssigkeit, riecht angenehm obstartig, schmeckt stechend, spez. Gew. 0,900, siedet bei 17°, ist wenig löslich in Wasser, mischbar mit Alkohol und Äther, leicht entzündlich und wenig beständig, unter Umständen explodierbar. Er ist Hauptbestandteil des arzneilich benutzten Spiritus aetheris nitrosi (Salpeterätherweingeist, versüßter Salpetergeist, Salpeternaphtha), der durch Destillation von 48 Teilen Spiritus mit 12 Teilen Salpetersäure erhalten und als Geschmackskorrigens und Diuretikum benutzt wird. Zum Aromatisieren des Branntweins stellt man ein ähnliches Präparat dar, indem man[486] ein Gemisch von Spiritus und Salpetersäure aus einer von außen durch Dampf erwärmbaren irdenen Flasche mit zinnernem Kühlrohr destilliert, das Produkt mit Ätzkalk entsäuert und rektifiziert, dabei aber das Kühlrohr in Spiritus eintauchen läßt. Salpetrigsäureamyläther (Amylnitrit) C5H11NO2 wird durch Destillation von Amylalkohol mit salpetrigsaurem Kali und Schwefelsäure erhalten, bildet eine gelbliche Flüssigkeit, riecht gewürzhaft, schmeckt fruchtartig, spez. Gew. 0,902, siedet bei 95°, ist unlöslich in Wasser, löslich in Alkohol und Äther, erzeugt beim Einatmen des Dampfes beschleunigten Herzschlag und Blutandrang nach dem Kopf und wird bei verschiedenen nervösen Zuständen, die mit Anämie der Kopfgefäße einhergehen, besonders gegen Migräne, angewendet. Vgl. Pick, Über das Amylnitrit und seine therapeutische Anwendung (2. Aufl., Berl. 1877).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 486-487.
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