[85] Vermehrung der Pflanzen (ungeschlechtliche), Bildung neuer Pflanzenindividuen durch Ablösung fortwachsender vegetativer Teile vom Körper einer Pflanze, im Gegensatz zur Reproduktion auf geschlechtlichem Wege (s. Fortpflanzung, S. 795). Am ausgiebigsten ist bei den höhern Gewächsen die Vermehrung durch unterirdische Sproßteile, die sich, wie bei zahlreichen Stauden, verlängern und neue, zu selbständigen Pflanzen heranwachsende Knospen ausbilden, während die ältern Sproßstücke von hinten her absterben. Nicht selten entwickeln sich die zur Vermehrung bestimmten Sproßteile als Knollen oder Zwiebeln, die nach dem Absterben der fadenförmigen Verbindungsglieder zu selbständigen Tochterindividuen heranwachsen. Ähnliches geschieht durch Wurzelsprosse, die aus Knospen an Wurzeln auf treten, oder durch Ausläufer und Schößlinge, die entweder nur an der Spitze oder an den einzelnen Stengelknoten sich bewurzelnde Knospen erzeugen. Indem sich diese Vermehrungsart periodisch wiederholt, bedingt sie das Auftreten ringförmig, zellenartig oder truppweise angeordneter Pflanzenbestände, die von einer Mutterpflanze aus durch ihre ober- oder unterirdischen Ausgliederungen (Wandersprosse, Wanderrhizome) sich in bestimmten Richtungen weiter ausbreiten. Geschieht die Vermehrung an den laubtragenden Sprossen einer Mutterpflanze durch grundständige Stammknospen, die sich nach dem Absterben ersterer bewurzeln und zu neuen, die abgestorbenen, ältern Stammteile dicht umgebenden Sprossen auswachsen, so entstehen busch-, rasen- oder polsterförmige Pflanzenaggregate. Bei einer zweiten Gruppe von Gewächsen findet die vegetative Vermehrung durch frei abgelöste, knospen-, knollen- oder zwiebelförmige Sproßgliederungen statt. Beispiele dafür bieten die Knospenknöllchen in den Blattachseln von Ficaria, die als Seitenknospen in manchen Zwiebeln entstehenden Brutzwiebeln (Zwiebelbrut), die Knospenzwiebeln oder Bulbillen in den Blattachseln von Dentaria-, im Blütenstande von Allium-Arten, die kleinen Blattsprossen im Blütenstand mancher Gräser, die als lebendiggebärend (vivipar) bezeichnet werden, die kugeligen, an fadenförmigen Ausläufern entstehenden Blattrosetten von Sempervivum-Arten, ferner die eigentümlichen, bisweilen zum Festankern im Schlammboden befähigten Winterknospen mancher Wasserpflanzen, die Brutknospen auf den Blättern von Cardamine, Bryophyllum u. a. In den meisten Fällen werden die von der Pflanze abgegliederten Vermehrungssprosse durch das Wasser, den Wind oder durch Tiere weiter verbreitet (s. Verbreitungsmittel der Pflanzen). Schließlich sind auch einzelne losgelöste Triebe (Stecklinge) oder Blätter (bei Bryophyllum, Begonien, Gloxinien u. a.), die in feuchte Erde gesteckt werden, imstande, sich zu bewurzeln und neue Pflanzen zu liefern. Die vegetative Vermehrung kann die geschlechtliche Fortpflanzung unter Umständen, wie z. B. bei der kultivierten Banane und bei der Wasserpest (Elodea canadensis), vollständig ersetzen. Eine sehr ausgedehnte Rolle spielt die ungeschlechtliche Vermehrung auch bei den Kryptogamen.
In der Gärtnerei vermehrt man Pflanzen hauptsächlich durch Samen (s. Saat) und Teilung, aber auch durch Ableger, Schnittlinge, Stecklinge und durch Veredelung (s. d.). Die Anzucht aus Samen liefert meist lebensfähigere Pflanzen, die aber oft später blühen ils Stecklinge oder Veredelungen. Vermehrung durch Samen ist meist nicht durchführbar bei Spielarten und Kulturvarietäten. Hier helfen die Stecklinge (Stopfer), die, wie die Sämlinge auf ihrer eignen Wurzel stehend, als wurzelecht bezeichnet werden, und die Veredelung. Stauden (ausdauernde Kräuter) sowie Wurzeltriebe bildende, sich reich bestockende Gehölze werden durch Teilung (Stockteilung) vermehrt.
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Kirchner-Michaelis-1907: Pflanzen
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