Dämmerung

[666] Dämmerung (Crepusculum, Phys.), die vor Sonnenaufgang (Morgen-D.) u. nach Sonnenuntergang (Abend-D.) herrschende allgemeine Helligkeit, welche uns noch die umgebenden Gegenstände sichtbar macht. Dieselbe nimmt stufenweise zu, od. ab, je nachdem sich die Sonne dem Horizont nähert, od. sich von ihm entfernt. Die D. ist Folge der Erleuchtung des höheren Luftkreises durch die Sonne u. der Zurückwerfung der Lichtstrahlen durch sie. Beim Mangel der Atmosphäre, od. bei völliger Durchsichtigkeit derselben, würde ein plötzlicher Wechsel von Tag u. Nacht u. also eine scharfe Grenze zwischen dem erleuchteten u. nichterleuchteten Theil der Erdoberfläche sein, wie man dies annähernd am Monde beobachtet. Die specielleren optischen Erscheinungen der D. sind nun folgende: bald nach Sonnenuntergang sieht man diametral dem Untergangspunkte gegenüber einen dunkeln, bogenförmig begrenzten Raum am Himmel, welcher sich von dem übrigen röthlich leuchtenden Himmel durch seine blaue, ins Purpur ziehende Farbe unterscheidet, überdies durch einen weißlichen Streifen von jenem getrennt ist. Dieser von Mairan Gegen-D. genannte Raum ist der von der Erde auf die Atmosphäre geworfene Schatten, welcher blau erscheint, weil er nur durch die, die Erdoberfläche berührenden u. gebeugten Lichtstrahlen erleuchtet wird; der weißliche Streifen aber findet seine Erklärung in der Mischung des röthlichen u. blauen Lichtes an der Grenze. Das dunkele Segment hebt sich mit dem weiteren Sinken der Sonne mehr u. mehr u. erreicht das Zenith, wenn die Sonne 61° unter den Horizont gesunken ist. Jetzt fangen in ihm die größeren Sterne an, deutlich sichtbar zu werden; die orangene Abendröthe zieht sich ferner immer tiefer zum westlichen Horizont herab, das blaue Segment nimmt bald den ganzen Himmel ein u. es lagert sich über dasselbe vom östlichen Himmel her tieferes Dunkel, bis endlich eine Zeit eintritt, wo man alle Sterne so vollkommen als möglich sieht u. die Dunkelheit nicht mehr zunimmt. Dies ist das Ende der astronomischen D., für welche man den Zeitpunkt angenommen hat, wo die Sonne sich 18° unter dem Horizont befindet. Daher heißt ein mit dem Horizonte parallel laufender Kreis an der unsichtbaren Hälfte des Himmelsgewölbes in einer Entfernung von 18° unter ihm der Dämmerungskreis. Da die Stellung u. Neigung des von der Sonne im Laufe eines Tages beschriebenen Kreises gegen den Horizont mit der Jahreszeit u. der geographischen Breite des Beobachtungsortes sich ändert, so ist die Zeit, welche vergeht, bis die Sonne den D-skreis erreicht, verschieden. Sie beträgt für eine Breite von 50° zur Zeit der Tag- u. Nachtgleichen 1 Stunde 55 Minuten, am kürzesten Tage 2 St. 6 Min., am Äquator aber nur resp. 1 St. 12 Min. u. 1 St. 19 Min.; unter den Polen endlich werden der halbjährigen Nacht durch die Morgen- u. Abend-D. fast 100 Tage entzogen. Freilich führt die wechselnde Durchsichtigkeit der Atmosphäre Abweichungen der beobachteten Erscheinung von der berechneten herbei, indem die große Durchsichtigkeit am Äquator die D. nach Humboldts Beobachtung bis auf wenige Minuten verkürzt, die geringe Durchsichtigkeit in höheren Breiten dieselbe verlängert. Unter der bürgerlichen D. versteht man die Zeit nach Sonnenuntergang od. vor Sonnenaufgang, welche für unsere täglichen Verrichtungen, z.B. Lesen in einem ziemlich hellen Zimmer, noch hinreichende Helligkeit gewährt. Im Mittel kann man als Grenze für sie den Zeitpunkt ansehen, zu welchem die Sonne 61° unter den Horizont gesunken ist. Sie dauert unter 50° Breite 40–50 Minuten.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 666.
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