[261] Kamille, 1) das Pflanzengeschlecht Anthemis, dann die einzelnen Arten, wie Acker-, Berg-, Färber-, Hundskamille etc.; bes. 2) Edle (Römische) K., Anthemis nobilis, liebt einen warmen, lockeren, reichen Boden u. eine sonnige u. geschützte Lage. Man baut sie gewöhnlich in Plantagen, wo man sie höchstens drei Jahre stehen läßt, da sie den Boden sehr aussaugt. Die Fortpflanzung geschieht durch Samen u. Wurzeln; ersteren säet man zeitig im Frühjahr auf besondere Beete u. schützt die Pflanzen durch Bedeckung vor Frost. Bekommen die jungen Pflanzen Blätter, so werden sie in Reihen, 810 Zoll u. die Reihen 1 Fuß von einander entfernt gepflunzt u. bei trockener Witterung begossen. Während des Wachsthums werden sie gejätet u. gelockert, Die Blüthen kann man vier bis fünf Mal des Jahres ernten. Vor Winters bedeckt man die Pflanzen mit Laub. Die Blumen Flores chamomillae romanae, von eigenthümlich starkem balsamischem Geruch, bitterem aromatischem Geschmack, ein gelbes ätherisches Öl enthaltend, meist im Theeaufguß (Kamillenthee) als krampffüllendes, reizendes, blähungtreibendes Mittel häufig in Gebrauch; auch als Surrogat für Hopfen, s.u. Bier. Die gefüllten in Gärten gezogenen sind minder wirksam. Kamillenöl (Oleum chamomillae, Römisch-Kamillenöl), das durch Destillation von der Römischen K. mit Wasser gewonnene Öl, ist grünlich u. angenehm riechend; bei 160° fängt es an zu destilliren, aber der Siedepunkt steigt allmälig bis 180° u. selbst bis 190°, wo er dann längere Zeit stationär bleibt, u. bei welcher Temperatur etwa 2/3 des Öls übergehen. Zuletzt steigt der Siedepunkt bis 210°, was durch einen Gehalt des Öles von einem harzigen Bestandtheile verursacht wird. Erhitzt man das Kamillenöl mit einer alkoholischen Kalilösung, so zerlegt sich das Öl in einen sich höher oxydirenden sauerstoffhaltigen Bestandtheil u. in einen Kohlenwasserstoff. Wenn man das Öl in schmelzendes Kalihydrat tröpfelt, so bläht sich die Masse durch Entwickelung von Wasserstoffgas stark auf u. geht zugleich in einen angenehm riechenden Kohlenwasserstoff über. Wenn man die rückständige Masse mit Schwefelsäure sättigt, so stößt sie saure Dämpfe von Angelicasäure, C10H8O4, aus, welche sich leicht nadelförmig condensiren. Ein Gehalt von Angelicasäure ist der Grund, weshalb das Kamillenöl sauer reagirt. Wenn man das Öl einige Minuten lang mit einer weingeistigen Kalilösung kocht, so verbindet sich der sauerstoffhaltige Theil mit dem [261] Kali u. nur der Kohlenwasserstoff bleibt in Lösung; wird jetzt destillirt u. der getrocknete Rückstand mit Schwefelsäure zersetzt, so scheidet sich Baldriansäure, C10H10O4, ab. Der bei der Behandlung des Öles mit festem Kali übergehende od. nach der Behandlung mit weingeistiger Kalilösung aus dem Destillat durch Zusatz von Wasser u. Chlorcalcium abscheidbare Kohlenwasserstoff wird durch Rectification über Kalium gereinigt; er riecht angenehm citronenartig u. kocht bei 175°, seine Zusammensetzung ist C10H8; mit rauchender Schwefelsäure gibt er keine gepaarte Verbindung. Der sauerstoffhaltige Bestandtheil, welcher mit diesem Kohlenstoff zusammen das Römisch-Kamillenöl bildet, ist C10H8O2, das Aldehyd der Angelicasäure. 3) Feldkamille (Echte K.), die Blumen von Matricaria chamomilla (Flores chamomillae vulgaris); liebt einen lockeren, kräftigen u. feuchten Boden, den man mit Kompost od. Schlamm düngen muß. Den Boden darf man nicht sehr lockern, den Samen säet man zeitig im Frühjahr u. bringt ihn flach unter; stehen die Pflanzen in voller Blüthe, so werden sie abgepflückt u. getrocknet. Die Stängel sind ein gutes Schaffutter. Im Geruch u. Geschmack sind sie milder u. angenehmer; auch von ähnlicher, mehr krampfstillender, weniger den Magen belästigender Wirksamkeit als die Römischen K-n. Äußerlich als zertheilendes Mittel, trocken in Säckchen (als Kamillensäckchen) u. zu Umschlägen benutzt; leicht mit den Blumen von Anthemis cotula u. A. arvensis verwechselt, wovon sie, außer ihrem specifischen Geruch, bes. auch durch den stumpf kegelförmigen Befruchtungsboden ohne Spreublättchen sich unterscheiden. Das Kamillenextract (Extractum chamomillae), brauner, bitterlich, gewürzhaft schmeckender, durch Eindicken des Absudes der Feldscamillenblumen, auch wohl des ganzen Krautes, bereiteter Dicksaft, wird als auflösendes, krampfstillendes, gelind stärkendes Mittel, auch äußerlich bei phagedänischen Geschwüren, Knochenfraß, Brand angewendet. Kamillenwasser (Aqua chamomillae), durch Destillation der Kamillenblumen mit Wasser bereitet, an Geruch, Geschmack u. Kräften diesen ähnlich; gewöhnliches Mittel zur Auflösung geeigneter Heilsubstanzen in Mixturen. 4) Mutterkrautartige K., Anthemis chamomilla, in Südeuropa, vom Geruch der Feldkamille; 5) Stinkende K., so v.w. Anthemis cotula.