Krischna [1]

[827] Krischna (d.i. der Dunkelblaue), eine der am meisten verehrten Gottheiten der brahmanischen Indier, ist die achte u. berühmteste Incarnation od. Verkörperung (Avatara) des Vischnu, welche am Ende des dritten Weltalters erfolgte, als das Böse wieder die Oberhand gewonnen hatte. K. erschien als wirklicher Gott auf der Erde, war jedoch von sterblichen Eltern geboren. Veranlassung zu seinem Herabsteigen auf die Erde gab die Ungerechtigkeit u. Tyrannei des Kansa, Königs von Mathura. Letztern konnte die Erde nicht länger ertragen, weshalb dieselbe nebst den Göttern Brahma u. Siwa den Vischnu um Hülfe ansprachen. Brahma hatte Kansa wegen seiner frühern Leistungen die Gnade verleihen müssen, daß er nur durch seinen eigenen Neffen würde umkommen können; Vischnu läßt sich deshalb von Kansa's Schwester, Devaki, gebären. Allein sobald der Tyrann erfuhr, daß sie schwanger sei, ließ er sie in ein Gefängniß werfen u. sorgfältig bewachen. Dennoch gelang es der Devaki ihre Entbindung zu verheimlichen u. den neugeborenen K. den Nachstellungen seines Oheim zu entziehen. Er ward glücklich nach Vrindâvana gebracht u. hier unter Hirten u. Hirtinnen erzogen. Hier erfand K. die Flöte, durch deren Spiel er Menschen u. Thiere bezauberte, u. versenkte sich in unzählige Liebesspiele, welche von indischen Dichtern besungen sind. Endlich unterzog sich K. dem eigentlichen Zwecke seiner Incarnation u. vernichtete Kansa, so wie die Schlange Kalinaka u. andere Geschöpfe, welche die Wohlfahrt u. den Frieden der Welt störten. Er heirathete auch nach einander acht Prinzessinnen (Nayagas): Rukmani, Tochter des Königs von Kantapur, Dschamati, Tochter des Bärenkönigs Dschamwent, Suthama, Tochter des Königs Satterdschit, Kalenda, Tochter des Sonnengottes u. der Dschumna, Sita, Tochter des Königs von Ayodhya, Bremata, Prinzessin von Bodschepur, Mirkhinda u. Laschmani, Königstöchter von Oujein (Ujjayini) u. Marwa; dann die 16,000 Königstöchter, welche der Riesenkönig Bhumasser gefangen hielt, u. brachte sie nach seiner Hauptstadt Dewerka. Jede derselben hatte daselbst einen eignen Palast von Gold u. Diamanten u. mit jeder lebte er zu gleicher Zeit häuslich u. so zärtlich, daß ihm jede 10 Söhne gebar. Nachdem nun der Zweck der Sendung K-s erreicht war, beschloß er im 125. Jahre seines Alters in den Himmel zurückzukehren; er legte sich unter einen Baum u. wurde von dem Jäger Jura, der eine Gazelle zu treffen glaubte, in die Sohle des Fußes verwundet u. starb daran. Er wird dargestellt: schwarz, an der Stirn das Zeichen der Sonne, am Halse den Lotus, unter den Fußsohlen u. in der flachen Hand ein Dreieck od. Fünfeck, als Symbol aller Erzeugung; auch die Flöte spielend, od. im Kampfe mit der Schlange Kalinaka Die Zahl der Verehrer des K. ist sehr groß; überhaupt scheint der Cultus desselben sehr alt, u. es ist leicht möglich, daß ihn der Vischnucultus erst in sich aufgenommen hat. Schon in Stellen der Puranen wird K. von seinen Verehrern über alle Götter, selbst über Brahma, Vischnu u. Siwa, gesetzt. Die Verehrung des K. od. Bala Gopala ist Mittelpunkt der Lehren der weit verbreiteten vischnuitischen Secte der Rudra-Sampradadschis, die auch Vallabhatscharls genannt werden, weil durch Vallabha im 16. Jahrh. der Cultus des K. reformirt wurde. In den Tempeln derselben stehen[827] die Bilder von K., Gopala u. der Radha (der Gattin des K.). Auch die alte Secte der Sanakadi-Sampradadschis od. Nimawats hat K. u. Radha zu Hauptgegenständen der Verehrung; ebenso die Vaishnawas in Bengalen, deren heutige Cultusform aus dem 16. Jahrh. datirt. Andere Secten, welche K. u. dessen Gattin verehren, sind die Radha-Vallabhis, die Sakhi-Bhavas u. die Tscharandasis. Die Geschichte der K. bildet vorzugsweise den Inhalt des Bhagavata-Purana u. ist Gegenstand zahlreicher, gegenwärtig in Indien sehr beliebter Dichtungen geworden, zu letztern gehört vor allen das Gitagovinda von Dschayadeva, eine der schönsten Blüthen der indischen Poesie; auch in den neuindischen Literaturen haben viele Dichter die Geschichte des K. zum Gegenstande gewählt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 827-828.
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