Krystallisation

[863] Krystallisation, die Äußerung der Cohäsionskraft, nach welcher sich beim Übergange von Körpern aus dem flüssigen Zustande in den festen die kleinsten Theile zu Krystallen (s.d.) vereinigen. Wahrscheinlich sind alle einfachen Stoffe u. ihre proportionirten chemischen Verbindungen der K. fähig; nur bei wenigen ist es bisher noch nicht gelungen, sie für sich in krystallisirtem Zustande zu erhalten; bei anderen vereinigen sich die einzelnen Theile zu Massen von unbestimmter Form, welche auch in ihrer inneren Structur eine nach allen Richtungen hin gleiche Beschaffenheit zeigen, wie Glas, Pech, Gummi, u. daher amorphe Körper heißen. Die Bedingungen, unter denen Körper in den krystallisirten Zustand übergehen, sind: a) der Körper muß vor der K. sich in tropfbar od. elastisch flüssigem Zustande befinden, damit die Theile beweglich genug sind, um der Cohäsionskraft zu folgen. In diesen Zustand wird der Körper entweder durch Erhöhung der Temperatur versetzt, indem er geschmolzen (wie Schwefel, Wismuth etc.) od. verflüchtigt (Salmiak, Jod) wird; od. durch Auflösung in Flüssigkeiten, z.B. Auflösung von Salzen u. vielen andern Stoffen in Wasser, Schwefel in Schwefelkohlenstoff, Campher in Weingeist etc. b) Die Bedingungen, welche den Körper zu einem flüssigen machten, müssen sodann wieder weggeschafft werden. War nun diese Bedingung die Wärme allein, so hatte sie den Körper entweder geschmolzen od. dampfförmig gemacht. Im ersteren Falle läßt man die Gefäße mit dem geschmolzenen Körper erkalten, wobei man jedoch, um vollkommen ausgebildete Krystalle zu erhalten, nicht die ganze geschmolzene Masse im Gefäße erstarren lassen darf, weil dann die unter einander nach den verschiedensten Richtungen durchwachsenen Krystalle nur eine Masse mit krystallinischem Gefüge darstellen würden, vielmehr muß man vorher, wenn sich erwarten läßt, daß sich Krystalle an die Wände des Gefäßes gesetzt haben, die Erstarrungskruste, welche sich auf der Oberfläche gebildet hat, durchstoßen u. die noch übrige Flüssigkeit abgießen. Beim Erkalten tropfbarer Flüssigkeiten zeigt es sich oft, daß sie in ruhigem Zustande u. in bedeckten Gefäßen auf eine tiefere Temperatur gebracht werden können, ohne zu krystallisiren, als diejenige ist, bei welcher sie unter andern Umständen krystallisiren würden. So kann flüssiges Wasser in verschlossenen Flaschen bis auf 6° unter den gewöhnlichen Gefrierpunkt gebracht werden, u. erst bei Erschütterung der Flüssigkeit od. Eröffnung der Flasche od. beim Hineinfallen eines fremden Körpers, tritt eine schnell um sich greifende K. ein, bei der die Temperatur in Folge der freiwerdenden latenten Wärme wieder auf 0° steigt. War der Körper vor der K. dampfförmig geworden u. werden diese Dämpfe mittelst starker Abkühlung verdichtet, so besteht dieser Niederschlag gleichfalls in mehr od. weniger deutlichen Krystallen (Sublimation). Für seine Beschaffenheit ist es von Einfluß, ob die Erkaltung langsam genug vor sich geht, daß der ursprünglich tropfbar flüssige Niederschlag mit andern flüssigen Theilen sich vereinigen könne; od. ob sie so plötzlich eintritt, daß die erstarrten, von einem großen Raume auf einen sehr kleinen verdichteten Theile[863] alle einzeln bestehen. Daher die Verschiedenheit des Schnees (Schneefiguren), so wie der Unterschied der Eisfiguren an den Fenstern der Zimmer. Wenn ferner die Bedingung des Flüssigseins vor der K. die Auflösung in einem andern Körper war, so wird auch hierbei die Wärme mit wirksam in dem Falle, daß die Flüssigkeit bei höherer Temperatur mehr von dem festen Körper auflösen kann, als bei niederer Temperatur. Dann braucht man nur eine gesättigte Lösung der ersteren Art abkühlen zu lassen, wobei die Portion des aufgelösten Stoffes, welche bei niederer Temperatur nicht mehr aufgelöst bleiben kann, sich krystallinisch absetzt. Dies ist z.B. der Fall bei Lösungen verschiedener Salze in Wasser. Auch hier ist die bei der K. geschmolzener Körper beschriebene Abnormität wahrnehmbar, wovon das bekannteste Beispiel das Glaubersalz abgibt. Eine heiße gesättigte Auflösung von Glaubersalz nämlich läßt sich in verschlossenen u. nicht erschütterten Gefäßen stark abkühlen, ohne zu krystallisiren. Ist die Abkühlung bis unter 10° C. gebracht u. durch eins der oben genannten Mittel die plötzliche K. bewirkt, so schießen fast 2/3 des Glaubersalzes an u. die Temperatur erhöht sich bis auf 13°. Diese Erscheinung, welche also darin besteht, daß oft die Cohäsion eines Körpers erst auf eine mechanische Veranlassung hin sich äußert, nachdem sie doch schon über die Affinität zum Auflösungsmittel, od. über die schmelzende Kraft der Wärme das Übergewicht erlangt hat, erklären Berthollet u. Gay-Lussac aus einer Trägheit der kleinsten Theile. In dem Falle, wo die Flüssigkeit bei höherer u. niederer Temperatur nahe gleichviel aufzulösen vermag, erhält man den Körper krystallisirt, sobald man ihm die Flüssigkeit entweder auf dem Wege des Verdampfens (Kochsalz), od. dadurch entzieht, daß man sie mit einem andern Stoffe verbindet, so daß die Verbindung jenen Körper nicht mehr od. in geringerer Menge aufgelöst erhalten kann; z.B. Salpeter aus wässeriger Lösung bei Zusatz von Weingeist etc. c) Man muß den Theilchen des erstarrenden Körpers Zeit lassen, sich an die zuerst krystallisirten anzulegen, welche letztere den Mittelpunkt der Krystalle bilden. Läßt man die geschmolzene od. in Dampf verwandelte Masse zu schnell erkalten, od. entzieht man dem Stoffe sein Auflösungsmittel zu schnell, so bilden die zu vielen gleichzeitig erstarrenden Theilchen alle selbständige Krystallisationsmittelpunkte u. stören sich einander, u. man erhält viele verwachsene u. undeutliche Krystalle. Daher der Unterschied z.B. zwischen Kandiszucker u. Hutzucker. Um große u. regelmäßig ausgebildete Krystalle von Salzen zu erhalten, läßt man eine Lösung langsam erkalten, legt von den sich bildenden Krystallen, die übrigens von Anfang an dieselbe Gestalt wie später besitzen, die besten in eine Lösung, die bei geringem Erwärmen nur wenig mehr von demselben Salze enthält, als eine Lösung bei gewöhnlicher Temperatur. Bei ihrem allmäligen Erkalten legen sich die starr werdenden Theile an die ersteren an u. bilden einen regelmäßigen Krystall, wenn man nur den Krystall von Zeit zu Zeit umlegt, um auch zu der zuvor am Boden liegenden Fläche den Zutritt der neuen Theile zu gestatten. Ist die Lösung auf die gewöhnliche Temperatur herabgesunken, so legt man die Krystalle von Neuem in eine etwas wärmere gesättigte Lösung etc. Statt dessen kann man auch etwas des betreffenden Salzes in einen Florbeutel im oberen Theile der auf der gewöhnlichen Temperatur befindlichen Lösung anbringen. Denn nachdem der Flüssigkeit am Boden soviel Krystallmasse als möglich entzogen worden ist, so steigt sie als specifische leichter in die Höhe, um der schwereren Platz zu machen. Hat sie nun dazu eine auch noch so geringe Temperaturerhöhung erfahren, so wird diese Strömung dadurch nicht nur unterstützt, sondern die Flüssigkeit löst eine neue Menge von Salz auf, sinkt dann als specifisch schwerer wieder nieder u. befördert das Wachsen des Krystalls. Während nämlich zu Anfange der K. die Krystalle vorzüglich entweder da entstehen, wo die Flüssigkeit entzogen wird, also an der Oberfläche, od. da, wo die Adhäsion ein Ansetzen der Theilchen bewirkt, also an den Wänden des Gefäßes u. den Körpern (Holz, Garn, rauhes Glas), die man in die Flüssigkeit taucht: so üben nachher schon gebildete Krystalle noch stärkere Anziehung auf die ihnen gleichartigen Theile als fremde Körper. Im Zusammenhange hiermit steht noch die Thatsache, daß, wenn die zuerst an der Grenze zwischen der Flüssigkeitsoberfläche u. dem Gefäße sich bildenden Krystalle die Flüssigkeit an sich in die Höhe ziehen u. eine weitere K. bewirken, dies die sogen. Efflorescenz (Auswitterung) zur Folge hat, wonach die Krystalle bis über den Rand des Gefäßes steigen. Die Auflösung, aus der die K. vor sich geht, u. die so lange noch eine der Temperatur entsprechende Menge aufgelöst enthaltend übrig ist, als die Flüssigkeit nicht ganz verdampft ist, heißt die Mutterlauge. Werden von ihr bei rascher K. kleine Partien mechanisch in den Krystall mit eingeschlossen, so werden diese Zerknisterungswasser genannt, weil sie bei späterer hinreichender Erhitzung des Krystalls in Dampf verwandelt werden u. den Krystall unter knisterndem Geräusch zersprengen. Dieses Zerknisterungswasser ist zu unterscheiden von dem Krystallwasser, d.i. von dem mit manchen Körpern, namentlich Salzen, nach bestimmten Proportionen chemisch verbundenen Wasser, welches zur Bildung der Krystalle aufgenommen werden muß u. nach dessen Verdunstung, welche wegen seiner losen Verbindung mit den Salze oft schon beim Liegen an trockener Luft eintritt, die Krystalle zu Pulver zerfallen od. verwittern. Enthielt die Auflösung mehrere verschieden leicht krystallisirbare Körper, so bleibt nach K. der leichten eine Mutterlauge, die vorzugsweise den übrigen Stoff enthält. Darauf ist eine Reinigungsmethode leicht krystallisirbarer Körper, z.B. des Salpeters, begründet, nach welcher man die zurückbleibende Mutterlauge abgießt, die gebildeten Krystalle mit einer kleinen Menge Wassers abwäscht, um sie von der anhängenden Mutterlauge zu reinigen, dann dieselben wieder auflöst, krystallisiren läßt u. die bleibende Mutterlauge abgießt etc., bis man völlig reine Krystalle erhält. Aus der abgegossenen Mutterlauge nebst dem Abwaschwasser verdampft man immer etwa 2/3 der Flüssigkeit u. behandelt die bleibenden Krystalle u. Mutterlauge wie vorhin. Die K. ist bei vielen Körpern mit Wärme- u. Lichtentwickelung verbunden. Die erstere ist zum größten Theile von dem Festwerden des Körpers abhängig, wobei die zur Behauptung des flüssigen Aggregationszustandes nöthige latente Wärme frei wird; dies ist dieselbe Wärme, welche im Gegentheil gebunden wird, wenn man z.B. Kochsalz in Schnee od. Glaubersalz in Salzsäure auflöst, bei welchen Kältemischungen resp.[864] Temperaturerniedrigung von 0° bis – 17°, 7 od. von + 10° bis – 17° bewirkt werden kann. Jene Wärmeentwickelung wird daher mit der Geschwindigkeit der K. sich vermehren u. namentlich bei der oben erwähnten plötzlichen K. nach der Erkältung bis unter den normalen Krystallisationspunkt merkbar werden. Ganz anders verhält sich H. Roses Versuche über das Leuchten beim Übergange einer Masse aus dem amorphen in den krystallinischen Zustand. Dieser Versuch besteht darin, daß, wenn man die glasartige arsenige Säure in verdünnter kochender Salzsäure auflöst u. die Lösung langsam erkalten läßt, jeder sich ausscheidende Krystall lebhaft leuchtet, während bei Anwendung der krystallinischen das Leuchten sich nicht zeigt. Mehrere ursprünglich krystallinische Körper, als Zirkonerde-, Titanerde-, Molybdänoxydul-, Eisenoxydhydrat werden, nachdem sie beim Erhitzen durch den Verlust ihres Wassers porös u. amorph geworden sind u. dabei ihre leichte Löslichkeit fast unverändert behalten haben, bei noch fortgesetzter Erhitzung, ehe sie zum Glühen kommen, in ein zuerst von Berzelius beobachtetes lebhaftes Erglimmen versetzt, welches die begleitende Erscheinung für eine Überführung der amorphen Masse in krystallinischen Zustand zu sein scheint; sie besitzt von da an größere Härte, geringere Löslichkeit u. meist auch größeres specifisches Gewicht. Bei der K. des schwefelsauren Kalis bemerkte Pickel in allen Theilen des Kessels stundenlang blitzähnliche Erscheinungen. Während einfach schwefelsaures Kali im Wasser gelöst od. nach dem Schmelzen nicht leuchtet, weil es krystallinisches Gefüge hat, so bemerkt man eine Lichtentwickelung, wenn man eine gesättigte Lösung von zusammengeschmolzenen 11 Theilen schwefelsaurem Kali u. 9 Theilen schwefelsaurem Natron in kochendem Wasser langsam abkühlen läßt; jeder sich bildende Krystall ist von einem starken Funken begleitet. Löst man die Krystalle wieder auf u. läßt sie wieder krystallisiren, so zeigen sie kein Licht.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 863-865.
Lizenz:
Faksimiles:
863 | 864 | 865
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon