Oper; Opera

[842] Oper; Opera.

Bey dem außerordentlichen Schauspiehl, dem die Italiäner den Namen Opera gegeben haben, herrscht eine so seltsame Vermischung des Großen und Kleinen, des Schönen und Abgeschmakten, daß ich verlegen bin, wie und was ich davon schreiben soll. In den besten Opern siehet und höret man Dinge, die so läppisch und so abgeschmakt sind, daß man denken sollte, sie seyen nur da um Kinder, oder einen kindisch gesinnten Pöbel in Erstaunen zu sezen; und mitten unter diesem höchst elenden, den Geschmak von allen Seiten beleidigenden Zeuge, kommen Sachen vor, die tief ins Herz dringen, die das Gemüth auf eine höchstreizende Weise mit süßer Wollust, mit dem zärtlichsten Mitleiden, oder mit Furcht und Schreken erfüllen. Auf eine Scene bey der wir uns selbst vergessen, und für die handelnden Personen mit dem lebhaftesten Intresse eingenommen werden, folget sehr oft eine, wo uns eben diese Personen als bloße Gaukler vorkommen, die mit lächerlichem Aufwand, aber zugleich auf die ungeschikteste Weise, den tummen Pöbel in Schreken, oder in Verwunderung zu sezen suchen. In dem man von dem Unsinn, der sich so oft in der Oper zeiget, beleidiget wird, kann man sich nicht entschließen, darüber nachzudenken: aber so bald man sich jene reizende Scenen der lebhaftesten Empfindung erinnert, wünschet man, daß alle Menschen von Geschmak sich vereinigen möchten, um diesem großen Schauspiel die Vollkommenheit zu geben, deren es fähig ist. Ich muß hier wiederholen, was ich schon anderswo gesagt habe.1 Die Oper kann das Größte und Wichtigste aller dramatischen Schauspiehle seyn, weil darin alle schönen Künste ihre Kräfte vereinigen: aber eben dieses Schauspiehl beweißt den Leichtsinn der Neuern, die in demselben alle diese Künste zugleich erniedriget und verächtlich gemacht haben.

Da ich mich also nicht entschließen kann, die Oper in diesem Werk ganz zu übergehen; so scheinet mir das Beste zu seyn, daß ich zuerst das, was mir darin anstößig und den guten Geschmak beleidigend vorkommt, anzeige, hernach aber meine Gedanken über die Verbesserung dieses Schauspiels an den Tag lege. Poesie, Musik, Tanzkunst, Mahlerey und Baukunst vereinigen sich zu Darstellung der Opera. Wir müssen also, um die Verwirrung zu vermeiden, das was jede dieser Künste dabey thut, besonders betrachten.

Die Dichtkunst liefert den Hauptstoff, in dem sie die dramatische Handlung dazu hergiebt. In den vorigen Zeiten war es in Italien, wo die Oper zuerst aufgekommen ist, gebräuchlich, den Stoff zur Handlung aus der fabelhaften Welt zu nehmen. Die alte Mythologie, das Reich der Feen und der Zauberer, und hernach auch die fabelhaften Ritterzeiten, gaben die Personen und Handlungen dazu an die Hand. Gegenwärtig aber haben die Operndichter zwar diesen fabelhaften Stoff nicht ganz weggeworfen, aber sie wechseln doch auch mit wahrem historischen Stoff, so wie das Trauerspiehl ihn wählt, ab. Man kann also überhaupt annehmen, daß der Trauerspiehldichter und der Dichter der Oper, einerley Stoff bearbeiten. Beyde stellen uns eine große und wegen der darin verschiedentlich gegen einander würkenden Leidenschaften merkwürdige Handlung vor, die von kurzer Dauer ist, und sich durch einen merkwürdigen Ausgang endiget. Aber in Behandlung dieses Stoffes, scheinet der Operndichter sich zum Geseze zu machen, die Bahn der Natur gänzlich zu verlassen. Seine Maxime ist, alles so zu behandeln, daß das Aug durch öfters abgewechselte Scenen, durch prächtige Aufzüge, und durch Mannigfaltigkeit stark ins Gesicht fallender Dinge in Verwunderung gesezt werde, diese Dinge seyen so unnatürlich als sie wollen, wenn nur das Aug des Zuschauers ofte mit neuen und allemal mit blendenden Gegenständen gerührt wird. Schlachten, Triumphe, Schiffbrüche, Ungewitter, Gespenster, wilde Thiere und dergleichen Dinge, müssen, wo es irgend möglich dem Zuschauer vor Augen gelegt werden. [842] Da kann man sich leichte vorstellen, was für Zwang und Gewalt der Dichter seinem Stoff anthun müsse, um solchen Forderungen genug zu thun; wie ofte er das Innere, Wesentliche der tragischen Handlung, die Entwiklung großer Charakter und Leidenschaften, einem mehr ins Aug fallenden Gegenstand aufopfern müsse. Deswegen trift man in dem Plan der besten Opern, allemal unnatürliche, erzwungene, oder gar abentheuerliche Dinge an. Dies ist die erste Ungereimtheit zu der die Mode auch den besten Dichter zwingt. Und wenn es nur auch die einzige wäre!

Aber nun kommt die Anfoderung der Sänger. In jeder Oper sollen die besten Sänger auch am öftersten singen, aber auch jeder mittelmäßige und so gar die schlechtesten, die einmal zum Schauspiehl gedungen sind und bezahlt werden, müssen sich doch ein oder ein paarmal in großen Arien hören lassen; die beyden ersten Sänger, nämlich der beste Sänger und die beste Sängerin, müssen nothwendig ein oder mehrmal zugleich singen; also muß der Dichter Duette in die Oper bringen; oft auch Terzette, Quartette u.s.w. Noch mehr: die ersten Sänger können ihre völlige Kunst insgemein nur in einerley Charakter zeigen; der im zärtlichen Adagio, dieser im feuerigen Allegro u.s.w. Darum muß der Dichter seine Arien so einrichten, daß jeder in seiner Art glänzen könne.

Die Mannigfaltigkeit der daraus entstehenden Ungereimtheiten ist kaum zu übersehen. Eine oder zwey Sängerinnen müssen nothwendig Hauptrolen haben, die Natur der Handlung mag es zulassen, oder nicht. Wenn sich der Dichter nicht anders zu helfen weiß, so verwikelt er sie in Liebeshändel, wenn sie auch dem Inhalt des Stüks noch so sehr zuwieder wären. So mußte der beste Operndichter Metastasio selbst, gegen alle Natur und Vernunft in die Handlung, die sich in Utica mit Catos Tod endigte, zwey Frauenzimmer einflechten; die Wittwe des Pompejus und selbst die Marcia Catos Tochter; und diese mußte so gar in Cäsar verliebt seyn, und von einem Numidischen Prinzen geliebt werden, damit zwey Sängerinnen Gelegenheit bekämen sich hören zu lassen. Wie abgeschmakt Liebeshändel in einer so finstern Handlung stehen, fühlet auch der, der sonst weder der Ueberlegung noch des Nachdenkens gewohnt ist. Damit jeder Sänger Gelegenheit habe sich hören zu lassen, müssen gar ofte Sachen gesungen werden, bey denen keinem Menschen, weder wachend noch träumend nur die Vorstellung von Singen einfallen kann; frostige, oder bedächtliche Anmerkungen und allgemeine Maximen. Welchem verständigen oder verrükten Menschen könnte es einfallen, die Anmerkung, daß ein alter versuchter Krieger nicht blindlings zuschlägt, sondern seinen Muth zurükhält, bis er seinen Vortheil abgesehen, singend vorzutragen;2 oder diese bey aufstoßenden Wiederwärtigkeiten frostige Allegorie, daß der Weinstok durch das Beschneiden besser treibt, und der wolriechende Gummi nur aus verwundeten Bäumen, trieft?3 Dergleichen kindisches Zeug kommt bald in jeder Oper vor. Auch wird man selten eine sehen, wo nicht die Ungereimtheit vorkomme, daß Personen, die wegen bereits vorhandener großen Gefahr, oder andrer wichtiger Ursachen halber, die höchste Eil in ihren Unternehmungen nöthig haben, sich währendem Ritornell sehr langsam und ernsthaft hinstellen, erst recht aushusten, und denn einen Gesang anfangen, in dem sie bald jedes Wort sechs und mehrmal wiederholen, und wobey man die Gefahr und die dringensten Geschäfte völlig vergißt. Hat man irgend anderswo mehr als hier Ursach mit Horaz auszurufen:


Spectatum admissi risum teneatis amici!


Zu dem kommt noch das ewige Einerley gewisser Materien. Wer eine oder zwey Opern gesehen hat, der hat auch viele Scenen von hundert andern gesehen. Verliebte Klagen, ein paar unglükliche Liebhaber, davon einer ins Gefängnis und in Lebensgefahr kommt; denn ein zärtliches Abschiednehmen in einem Duett und dergleichen, kommen beynahe in gar allen Opern, vor.

Eben so mannigfaltig und so ausschweifend sind die Ungereimtheiten in der Oper, die von der Musik herrühren. Diese ist und kann ihrer Natur nach nichts anders seyn, als ein Ausdruk der Leidenschaften, oder eine Schilderung der Empfindungen, eines in Bewegung gesetzten, oder gelassenen Gemüthes. Aber mit dieser Anwendung der Kunst auf den einzigen [843] Zwek den sie haben kann, sind die Tonsezer, Sänger und Spiehler nicht zufrieden. Sie machen es wie die Gaukler, die die Hände zum Gehen, und die Füße zu Führung des Degens, oder andern Verrichtungen der Hände brauchen, um den Pöbel in Erstaunen zu setzen. Es ist selten eine Oper wo der Tonsezer nicht Fleiß darauf wendet, sich in das Gebieth des Mahlers einzudrängen. Bald schildert er das Donnern und Blizen, bald das Stürmen der Winde, oder das Rieseln eines Baches, bald das Geklirre der Waffen, bald den Flug eines Vogels, oder andre natürliche Dinge, die mit den Empfindungen des Herzens keine Verbindung haben. Ohne Zweifel hat dieser verkehrte Geschmak des Tonsezers die Dichter zu der Ungereimtheit verleitet in den Arien so sehr ofte Vergleichungen mit Schiffern, mit Löwen und Tygern und dergleichen die Phantasie reizenden Dingen anzubringen.

Dazu kam noch allmählig beym Tonsezer, Sänger und Spiehler die kindische Begierde schweere, künstliche Sachen zu machen. Der Sänger wollte dem Pöbel einen außerordentlich langen Athem, eine ungewöhnliche Höhe und Tiefe der Stimme, eine kaum begreifliche Beugsamkeit und Schnelligkeit der Kehle und andre dergleichen Raritäten zeigen: auch der Spiehler machte seine Ansprüche auf Gelegenheit die Schnelligkeit seiner Finger, in blizenden Passagen und gewaltigen Sprüngen zu zeigen. Dazu mußte der Tonsezer ihm Gelegenheit geben. Daher entstehen die Mißgebuhrten von Passagen, Läufen und Cadenzen, die oft in affektvollen Arien alle Empfindung so plözlich auslöschen, als wenn man Wasser auf glüende Kohlen göße. Daher die unleidliche Verbrähmung, wodurch ein sehr nachdrüklicher Ton, in eine reiche Gruppe feiner Tönchen so gut eingefaßt wird, daß man ihn kaum mehr vernehmen kann. Wer nur einigen Geschmak oder Empfindung hat, wird von dem lebhaftesten Unwillen getroffen, wenn er hört, daß ein Sänger anfängt in rührenden Tönen eine zärtliche, oder schmerzhafte Gemüthslag an den Tag zu legen, und dann plözlich schöne Raritäten auskramt. Anfänglich fühlt man sich von Mitleiden über sein Elend gerührt; aber kaum hat man angefangen die süße Empfindung mit ihm zu theilen, so sieht man ihn in einen Marktschreyer verwandelt, der von der vorgegebenen Leidenschaft nichts fühlt, sondern uns blos die raren Künste seiner Kehle zeigen will; und izt möchte man ihn mit Steinen von der Bühne wegjagen, daß er uns für so pöbelhaft hält, einen Gefallen an solchen Gaukeleyen zu haben.

Endlich muß man in so mancher Oper die meiste Zeit mit Anhörung sehr langweiliger, keine Spuhr von Empfindung verrathender Gesänge über nichtsbedeutende Texte zubringen. Denn es soll bald in jeder Scene eine Arie stehen. Da aber doch das Drama nicht durchaus in Aeußerungen der Empfindung besteht, so müßte der Dichter auch Befehle, Anschläge, Anmerkungen oder Einwendungen, in lyrischen Ton vortragen, und der Sezer mußte nothwendig Arien daraus machen, die dem Zuhörer unerträgliche Langeweile machen, oder, welches noch ärger ist, ihn mitten in einer ernsthaften Handlung, da er das Betragen, die Anschläge und Gedanken der darin verwikelten Personen beobachten möchte, an einen Ball erinnern. Denn diese auf nichtsbedeutende Texte gesezte Gesänge, sind insgemein in dem Ton und Zeitmaaß einer Menuet, Polonoise oder eines andern Tanzes.

Zu allen diesen Ungereimtheiten kommt noch die einschläfernde Einförmigkeit der Form aller Arien. Erst ein Ritornell, denn fängt der Sänger an ein Stük der Arie vorzutragen; hält ein, damit die Instrumente ihre Geräusch machen können; denn fängt er aufs neu an; sagt uns dasselbe in einem andern Tone noch einmal; dann läßt er seine Künste in Passagen, Läufen und Sprüngen sehen und so weiter. Es würde für eine Beleidigung der hohen Oper gehalten werden, wenn irgendwo, auch da wo die Gelegenheit dazu höchst natürlich wäre, ein rührendes, oder fröhliches Lied angebracht, oder wenn eine Arie ohne Wiederholungen und ohne künstliche Verbrämungen erscheinen sollte. Unfehlbar würde der Sänger dem sie zu Theil würde, sich dadurch für erniedriget halten. Und der Thor bedenkt nicht, daß in dem empfindungsvollen Vortrag des einfachesten Liedes, der höchste Werth seiner Kunst besteht.

Nun kommt das Unschikliche der äußerlichen Veranstaltungen, wodurch so manche Oper ein pöbelhaftes Schauspiehl wird. Da begeht man gleichgroße Ungereimtheiten durch Ueberfluß und durch Mangel. Man will in jeder Oper wenigstens einige Scenen haben, die das Aug des Zuschauers betäuben, die Natur der Handlung lasse es zu oder nicht. Könige kommen ofte mit ihrer ganzen Leibwache ins [844] Audienzzimmer. Das unnatürliche Gefolg stellt sich für einen Augenblik in Parade; weil aber die Unterredung geheim seyn soll, so zieht es auch gleich wieder ab; und nicht selten fängt währenden Abzug, der ofte mit nicht geringen Geräusch begleitet ist, die geheime Unterredung, von der der Zuhörer kein Wort vernehmlich hört, an. Andremale wird eine Scene durch die Armuth der Vorstellung abgeschmakt. Man will ein ganzes Heer, oder wol gar eine Feldschlacht vorstellen, und bewürkt dieses Schauspiehl, das den Zuschauer in Erstaunen sezen soll, mit einem paar duzend Soldaten, die man um ihren Zug recht wunderbar zu machen, einzeln, drey bis viermal im Kreis herumziehen läßt, damit Niemand merke, daß ihrer nur so wenig seyen: und die fürchterliche Schlacht, wird unter dem Geräusch der Violinen dadurch geliefert, daß die Krieger mit ihren hölzernen Degen, auf die von Pappe gemachten Schilde der Feinde schlagen, und ein dumpfes Geräusch machen. Nicht einmal Kinder können sich bey einer so fürchterlichen Schlacht des Lachens enthalten. Aber es wird mir zu verdrießlich die Kindereyen zu rügen, die das höchste Werk der schönen Künste, bis zum Possenspiehl erniedrigen. Ueber die Verziehrungen und Tänze, hab ich meine Anmerkungen in andern Artikeln vorgetragen.4

Damit mich Niemand beschuldige, daß ich blos aus verdrießlicher Laune, so viel Böses von der Oper sage, oder die Sachen übertreibe, will ich die Gedanken eines in diesem Punkt gewiß unpartheyschen Mannes, des Grafen Algarotti anführen, der seinen Versuch über die Oper mit folgender Betrachtung anfängt. »Von allen Schauspiehlen, die zum Zeitvertreib der Personen von Geschmak und Einsicht erfunden worden, scheinet keines feiner ausgedacht oder vollkommener zu seyn, als die Oper. – Aber unglüklicher Weise geht es damit, wie mit mechanischen Werken, die sehr zusammengesetzt sind, und eben deswegen leicht in Unordnung gerathen. – Alles wol betrachtet, läßt sich leicht begreifen, warum ein Schauspiehl, das natürlicher Weise das angenehmste von allen seyn sollte, so abgeschmakt und so langweilig wird. Man hat dieses blos der vernachläßigten Uebereinstimmung der verschiedenen Dinge zuzuschreiben, die zur Oper gehören, dadurch geschieht es, daß sie nicht einmal ein Schatten einer wahren Nachahmung ist: die Täuschung die nur aus vollkommener Vereinigung aller dazu gehörigen Dinge entstehen kann, verschwindet: und dieses Meisterstük der Erfindung des Wizes, verwandelt sich in ein langweiliges, unzusammenhangendes, unwahrscheinliches, abentheuerliches und groteskes Werk, das alle die schimpfliche Namen, die man ihm giebt, und die strenge Rägung derer, die mit Recht das Vergnügen, als eine sehr wichtige Sache ansehen, wol verdienet.« So urtheilt ein Italiäner, dem die Ehre seiner Nation sehr am Herzen liegt, von einer Erfindung, die in Italien gemacht und wodurch es berühmt worden ist. Bey dem in der lezten Anmerkung vorkommenden Ausdruk der schimpflichen Namen, führet er eine spöttische Stelle aus einem englischen Wochenblatt die Welt an, die so lautet: »Wie das Wasser eines gewissen Brunnens in Thessalien, wegen seiner berauschenden Kraft in nichts anderm, als einem Eselshuf konnte aufbewahrt werden; so kann dieses matte und zertrümmerte Werk (die Oper) nur in solchen Köpfen, die besonders dazu gemacht sind, Eingang finden.«5

Und dennoch hat selbst bey diesen Ungereimtheiten, dieses Schauspiehl in einzelen Scenen mich oft entzükt: mehr als einmal hab ich dabey vergessen, daß ich ein künstliches, in so manchen Theilen unnatürliches Schauspiehl sehe, habe mir eingebildet das Weheklagen unglüklicher Personen, das Jammern einer Mutter um ihr umgebrachtes Kind; die Verzweiflung einer Gattin, der ein geliebter Gemahl entrissen und zum Tode verurtheilt worden; den natürlichsten und durchdringensten Ausdruk zärtlicher, oder heftiger Leidenschaften, nicht nachgeahmt, sondern würklich zu hören. Nach solchen hinreißenden Scenen begreift man, was für ein fürtrefliches Schauspiehl die Oper seyn und wie weit sie die andern übertreffen könnte. Man bedauert, daß so herzrührende Dinge mitten unter so viel Ungereimtheiten vorkommen, und man kann sich nicht enthalten auf Entwürfe zu denken, wie dieses Schauspiehl von dem Unrath des darin vorkommenden kindischen Zeuges gereiniget, und bey seiner so überwiegenden Kraft auf einen edlern und größern Zwek, als der bloße Zeitvertreib ist, angewendet werden könne.

Ich weiß wol, daß die Mode und mancherley unüberlegte und kaum bemerkbare Ursachen, die gleich dem unhintertreiblichen Schiksal, das dem Lauf aller menschlichen Geschäfte seine Wendung giebt, in jedem Jahrhundert den Wissenschaften und Künsten ihren Schwung und ihren Geist, den man Genium [845] sæculi nennen kann, geben. Gegen diese nicht sichtbar würkenden Ursachen, vermögen Vorschläge, wenn sie gleich von der reinesten, gesundesten Vernunft gethan werden, sehr wenig. Aber man kann sich nicht enthalten das Muster der Vollkommenheit so bald man es entdeket aufzustellen, und eine Sache, die durch den Strohm der Vorurtheile und des schlechten Geschmaks umgerissen und verunstaltet worden, wenigstens in der Einbildung, schön zu sehen, und in ihrer Vollkommenheit zu genießen.

Der festeste Grund um die Oper, als ein prächtiges und herrliches Gebäude daraufzusezen, wär ihre genaue Verbindung mit dem Nationalinteresse eines ganzen Volks. Aber daran ist in unsern Zeiten nicht zu denken. Denn die Staaten haben sich niemals weiter, als izt, von dem Geist entfernt, der ehemals in Athen und Rom geherrscht, und durch den die öffentlichen Schauspiehle, besonders die griechische Tragödie, die im Grund eine würkliche Oper war,6 zu wesentlichen Stüken politischer und gottesdienstlicher Feyerlichkeiten geworden sind. Ohne so hoch in die unabsehbaren Gegenden der süßen Phantasien zu fliegen, wollen wir nur von den Verbesserungen sprechen, die man der Oper nach der gegenwärtigen Lage der schönen Künste und der politischen Anordnungen, geben könnte. Dazu würde, wie der Graf Algarotti richtig anmerkt, nothwendig erfodert, daß ein von den Musen geliebter großer Fürst, die ganze Veranstaltung dessen, was zu diesem Schauspiehl gehöret, einem Mann gäbe, der mit dem guten Willen und viel Geschmak, ein vorzügliches Ansehen besäße, wodurch er den Dichter, Tonsezer und alle zur Oper nothwendige Virtuosen, nach seinem Gefallen zu lenken vermöchte. Die Foderung ist schweer genug, um uns alle Gedanken zu benehmen, sie höher zu treiben.

Die Hauptsache käme nun auf den Dichter an. Dieser müßte, ohne Rüksicht auf die Sänger und ohne die vorher erwähnten Betrachtungen, die ihn gegenwärtig in so viel Ungereimtheiten verleiten, blos dieses zum Grundsaz nehmen, »ein Trauerspiehl zu verfertigen, dessen Inhalt und Gang sich für die Hoheit, oder wenigstens das Empfindungsvolle des lyrischen Tones schikte.« Dazu ist in Wahrheit jeder tragische Stoff schiklich, wenn nur dieses einzige dabey statt haben kann, daß die Handlung einen nicht eilfertigen Gang, und keine schweeren Verwiklungen habe. Eilfertig kann der Gang nicht seyn; weil dieses der Natur des Gesanges zuwider ist, der ein Verweilen auf den Empfindungen, aus denen die singende Laune entsteht, voraussezet.7 Schweere Verwiklungen verträgt er noch weniger, weil dabey mehr der Verstand, als die Empfindung beschäftiget wird. Wo man Anschläge macht, Plane verabredet, sich berathschlaget, da ist man von dem Singen am weitesten entfernt.

Also würde der Operndichter von dem tragischen vornehmlich darin abgehen, daß er nicht, wie dieser, eine Handlung vom Anfang bis zum Ende mit allen Verwiklungen, Anschlägen, Unterhandlungen und Intrigen und Vorfällen, sondern blos das, was man dabey empfindet, und was mit verweilender Empfindung, dabey geredt oder gethan wird, vorstellte. Um dieses kurz und gut durch ein Beyspiel zu erläutern, wollen wir Klopstoks Bardiet oder Hermanns Schlacht anführen, die viel Aehnlichkeit mit der Oper hat, wie unser Ideal sie zeiget. Der Dichter stellt, wie leicht zu erachten, nicht die Schlacht selbst, sondern die empfindungsvollen Aeusserungen einer wolausgesuchten Anzahl merkwürdiger Personen, vor und während und nach der Schlacht vor. Darum fehlt es seinem Drama doch nicht an Handlung, noch an Verwiklung, noch an wahrem dramatischen Ausgang.

Man därf nur obenhin Oßians Fingal oder Temora lesen, um zu sehen, wie auch daraus wahrer Opernstoff zu schöpfen wäre. Wir wollen nur eines einzigen erwähnen. In dem Gedichte Temora sieht Fingal, von einigen Barden umgeben, der Schlacht von einem Hügel zu. Nachdem die Sachen sich wenden, schiket er von da Bothen an die Häupter des Heeres, oder empfängt Bothschaften von ihnen. Weil insgemein vor der Schlacht die Barden Gesänge anstimmten, so kann sich jeder leicht vorstellen, wie natürlich die Handlung hier mit Gesang anfieng. Ihr Fortgang, ihre mannigfaltigen Abwechslungen und Verwiklungen würden von Personen, die so wesentlich dabey intereßirt sind, und so mancherley abwechselnde Leidenschaften dabey fühlen, in dem wahren lyrischen Ton, bald in Recitativen, bald in Arien, Liedern, oder Chören geschildert werden. Nach Endigung der Schlacht folgen Triumphlieder, und, wie wir sie bey Oßian im angezogenen Gedichte würklich finden, sehr mannigfaltig abwechselnde, wahrhaftig lyrische Erzählungen von besondern Vorfällen; episodische Geschichten in dem höchsten [846] lyrischen Ton. Man müßte dem Genie eines Dichters sehr wenig zutrauen, wenn man zweifeln wollte, daß er aus diesem Theil der erwähnten Epopöe, eine recht schöne Oper machen könnte.

Ich führe diese zwey Beyspiehle nicht darum an, als ob ich den kriegerischen Stoff für den besten und bequämsten zu dieser Absicht halte; sondern vielmehr um zu zeigen, wie so gar dieser, so einförmig er ist, und so vorzüglich er für die Epopöe gemacht scheinet, sich Opernmäßig behandeln ließe. Denn jede andere, große, oder blos angenehme Begebenheit, wobey viel zu empfinden ist, kann hiezu dienen. Es kommt blos darauf an, daß der Dichter die Sachen in einer Lage zu fassen wisse, wo er eine hinlängliche Anzahl und Mannigfaltigkeit von Personen einzuführen wisse, die natürlicher Weise, bey dem, was geschieht, oder geschehen soll, in mancherley Empfindung gerathen, und Zeit haben, sie zu äußern.

Eine solche Oper wär allerdings eine völlig neue Art des Drama, wovon man sich, wenn man Klopstoks Bardiet mit Ueberlegung betrachtet, leicht eine richtige Vorstellung machen kann. Außer würklichen Begebenheiten, kann jedes merkwürdige Fest, jede große Feyerlichkeit, dergleichen Stoff an die Hand geben.

Da wir den Dichter von allen Banden und Fesseln, die der Tonsezer, Sänger und der Verziehrer oder Decorateur, ihm bis dahin, angelegt haben, freysprechen, und ihm das einzige Gesez auflegen, bey Einheit des Stoffes durchaus lyrisch zu bleiben, so wird er von selbst Mittel genug ausdenken, der Einförmigkeit der Arien auszuweichen. Wenn ers schiklich findet, wird er ein Lied, eine Ode, zwischen die gewöhnlichen Arien, Chöre, Duette und Terzette, natürlich anzubringen wissen. Ich will, um denen, die sich nicht leicht in neue Vorschläge zu finden wissen, noch ein Beyspiehl einer nach dieser Art behandelten Oper anführen.

Der Fürst Demetrius Kantemir erzählt in seiner Oßmannischen Geschichte, daß der Großsultan Murad IV. bey Eroberung der Stadt Bagdad den grausamen Befehl gegeben, alle Gefangene niederzuhauen; daß währenden schreklichen Blutbad ein gewisser Persischer Musikverständiger, die Oßmannischen Befehlshaber gebeten, seinen Tod etwas aufzuschieben, und ihm zu verstatten, nur ein Wort mit dem Kayser zu reden. Da er hierauf vor dem Kayser gebracht worden, und dieser ihm endlich befohlen, von seiner Geschiklichkeit in der Musik eine Probe zu machen, nahm er ein Scheschta (das die Griechen Psalterion nennten) in die Hand und sang dazu ein Klagelied von der Eroberung Bagdads und Murads Lobe, mit so anmuthiger Stimm und so viel Geschiklichkeit, daß dem Kayser selbst die Thränen darüber ausbrachen, und er befahl den noch übrigen Einwohnern zu schonen. Diese Begebenheit könnte gar füglich durch eine Oper vorgestellt werden. Der Dichter könnte sich einen Ort in Bagdad wählen, wo entweder blos der erwähnte Sänger mit seiner Familie, und einigen seiner Freunde, oder allenfalls etliche der vornehmsten Einwohner der Stadt, sich versammlet befänden, um die schrekliche Catastrophe zu erwarten. Es ließe sich gar leicht, um mehr Mannigfaltigkeit zu erhalten, eine sehr natürliche Veranlassung ausdenken, außer Männern auch Frauen, Jünglinge und Jungfrauen auf die Scene zu bringen. Es wäre unnöthig sich hieüber in umständliche Vorschläge einzulassen. Der Virtuos, der hier die Hauptrole spiehlt, entdeket seinen in Angst und Schreken gesezten Freunden, was er ausgedacht, um einen Versuch zu machen, sie zu retten, und geht ab, um ihn auszuführen. Mittlerweile sieht man von den andern handelnden Personen bald mehrere, bald wenigere auf der Scene, und es wird dem Dichter leicht werden, Furcht, Hofnung und andere Leidenschaften wechselsweise durch sie zu schildern. Man vernihmt, daß der Kayser den Mann vor sich gelassen; einer schmeichelt sich mit Hofnung, ein andrer nihmt seine Zuflucht zum Gebeth um einen glüklichen Ausgang zu erhalten, ein dritter, nihmt voll Kleinmuth von einer Geliebten, oder von seinen Freunden in naher Erwartung des Todes schon Abschied.

Nun kann der Dichter seine Zuschauer vor ein Zelt, oder vor einen Pallast, wo der Sultan dem Sänger Gehör giebt, versezen, kann den Virtuosen sein Klaglied singen, den Kayser in voller Rührung seinen geänderten Entschluß offenbaren, und denn auf mehr, als einerley Art, die Dankbarkeit und endlich das Frohloken der Erretteten in sehr rührenden Recitativen, Sologesängen und Chören, hören lassen.

Wenn also Dichter von Genie sich mit dem Opernstoff abgeben würden, so könnten vielerley Handlungen dazu ausgesucht, und die Sache selbst auf [847] sehr mannigfaltige Weise behandelt werden, ohne in das Unnatürliche und Ungereimte zu verfallen, das unsere Oper so abentheuerlich macht. Bey Wiederlegung des Einwurfes, daß es überhaupt unnatürlich sey Menschen bey einer ernsthaften Handlung durchaus singend einzuführen, wollen wir uns nicht aufhalten. Wir wollen gestehen, daß man einem Menschen, der nie eine gute Oper gesehen hat, durch richtige Vernunftschlüße beweisen könne, dieses Schauspiehl sey durchaus unnatürlich; aber der größte Vernünftler, der eine der besten Graunischen, oder Haßischen Opern von guten Sängern vorgetragen gehört hat, wird gestehen, daß die Empfindung nicht von Vernunftschlüßen abhängt. So ungereimt die Oper scheinet, wenn man blos die kahlen Begriffe, die der Verstand sich davon macht, entwikelt, so einnehmend ist sie, wenn man auch nur eine recht gute Scene davon gesehen hat.

Da wir den Dichter für die Hauptperson halten, um die Oper zu einem guten Schauspiehl zu machen, so werden wir über das andere, was dazu gehört kürzer seyn. Denn wir haben Proben genug vor uns, daß die Musik, wenn sie nur gut geleitet wird, das Ihrige bey der Sache sehr gut zu thun, vollkommen genug ist. Wir wissen, daß Händel, Graun und Haße, um blos der Unsrigen zu erwähnen, die gewiß keinem Welschen Tonsezer weichen dürfen, jeden Ton der Empfindung zu treffen, und jede Leidenschaft zu schildern gewußt haben. Wir dürfen also, da doch das Genie nicht von Unterricht abhängt, nur die Tonsezer von Genie vermahnen, ihre Kunst auf die Art, wie diese Männer gethan haben, zu studiren; hiernächst aber sie vor einigen Fehltritten warnen, die selbst diese große Männer, durch die Mode verleitet, gethan haben.

Daß überhaupt der Gesang in den Opern übertrieben und bis zur Ausschweiffung gekünstelt sey, kann dünkt mich auch von dem wärmesten Liebhaber des künstlichen Gesanges nicht geläugnet werden. Das Angenehme und Süße herrscht darin so sehr, daß die Kraft des Ausdruks gar zu ofte dadurch verdunkelt wird. Hier ist noch nicht die Rede von den langen Läufen, sondern von den übertriebenen Ausziehrungen einzeler Töne, wodurch gar ofte anstatt eines, oder zweyer Töne vier, sechs auch wol gar acht auf eine einzige Sylbe kommen. Dieses ist offenbar ein Mißbrauch, der durch die unbesonnene Begierde der Sänger überall künstlich und schön zu thun, Veränderungen anzubringen, und eine rare Beugsamkeit der Kehle zu zeigen, in die Arien eingeführt worden ist. Nachdem man gemerkt, daß der Vortrag des Gesanges Nachdruk und Leben bekomme, wenn die Töne nicht steif und durchaus monotonisch angegeben, sondern bald sanft geschleift, bald etwas gezogen und schwebend, bald mit einem sanften Vorschlag, oder Nachschlag angegeben würden; so trieben die Sänger ohne Geschmak die Sach allmählig bis zum Mißbrauch, und verwandelten bald jeden Ton in mehrere. Die Tonsezer mögen bemerkt haben, daß dieses nicht allemal geschikt, noch mit der Harmonie passend geschehe. Dieses brachte sie vermuthlich auf den Gedanken die ausziehrenden Töne und Manieren dem Sänger vorzuschreiben; und dadurch vermehrte sich die Anzahl der auf einen Takt gehenden Töne. Nun fiengen die Sänger aufs neue an, willkührliche Ausziehrungstöne hinzuzuthun, und auch darin gaben die Tonsezer nach, und schrieben ihnen noch mehr vor, bis die izt gewöhnliche und noch immer mehr zunehmende Verbrämung daraus entstund, wodurch die Sylben und ganze Worte unverständlich, der Gesang selbst aber in eine Instrumentalstimme verwandelt worden.

Es ist sehr zu wünschen, daß dieser Mißbrauch wieder eingestellt, und der Gesang auf mehr Einfalt gebracht, seine vorzügliche Kraft aber in wahrem Ausdruk der Empfindung und nicht in Zierlichkeit und künstlichen Tongruppen gesucht werde. In Stüken von blos lieblichem Inhalt, wo die Empfindung würklich etwas wollüstiges hat, können solche Verbrämungen statt haben; aber in ernsthaften, pathetischen Sachen sind sie größtentheils ungereimt, so lieblich sie auch das Gehör küzeln. Händel war darin noch mäßig, aber unser sonst so fürtrefliche Graun, hat sich von dem Strohm des Vorurtheils zu sehr hinreissen lassen.

Ein eben so großer Mißbrauch sind die so sehr häufigen Läufe, oder sogenannten Rouladen, die in jeder Arie an mehrern Stellen und oft auf jedem schiklichen Vocal vorkommen; so daß Unwissende leicht auf die Gedanken gerathen, daß sie die Hauptsach in der Arie ausmachen. Man sieht in der That in dem Opern ofte, daß die Zuhörer nicht eher aufmerksam werden, bis der Sänger an die Läufe kommt, wo er bald das Gurgeln der Taube, bald das Gezwitscher der Lerche, bald das Ziehen und [848] Schlagen der Nachtigall, bald gar das Stürmen der Elemente nachmacht. Doch hierüber ist bereits in einem andern Artikel gesprochen worden.8

Wir wollen über diese, aus Begierde nach Neuerungen entstandene Mißbräuche noch eine sehr vernünftige Anmerkung eines Mannes von feinem Geschmak anführen. »Man muß gestehen, daß ohne diese Neigung die Musik zu der Vollkommenheit in der wir sie bewundern nicht würde gekommen seyn: aber es ist darum nicht weniger wahr, daß sie eben dadurch in einen Verfall gerathen ist, über den Männer von Geschmak seufzen.« So lange die Künste noch in der Kindheit sind, dienet ihnen die Neigung zum Neuen zur Nahrung, befördert ihren Wachsthum, bringet sie zur Reife und zur völligen Vollkommenheit. Sind sie aber dahin gekommen, so gereicht eben das, was ihnen das Leben gegeben hat, zu ihrem Untergang.9

Endlich ist zu wünschen, daß die Tonsezer sich nicht so gar knechtisch an eine Form der Arien bänden, sondern mehr Mannigfaltigkeit einführten. Warum doch immer ein Ritornel, wo keines nöthig ist? Warum immer ein zweyter oft zu sehr abstechender Theil, wo die Empfindung dieselbe bleibt, und warum bey jeder Arie ein Zwischenspiehl der Instrumente, eine so große Ausdähnung und endlich eine Wiederholung des ersten Theiles? Alle diese Sachen können sehr gut seyn, wenn sie nur zu rechter Zeit gebraucht werden; aber oft ist es noch besser eine Veränderung darin zu treffen. So hat Graun einigemale sehr glüklich das Ritornell weggelassen, wodurch gewiß die ganze Stelle würde geschwächt worden seyn. Die fürtrefliche Scene in der Opera Cinna, wo die recht ins Herz schneidende Arie O! Numi Consiglio! vorkommt, würde durch ein Ritornell vor der Arie ihre beste Kraft unfehlbar verliehren.

Das Arioso, welches bisweilen von so fürtreflicher Würkung ist, und ein Recitativ in abgemessener Bewegung, sind beynahe ganz aus den Opern verschwunden; so daß zwischen dem Recitativ, und der so mühesam ausgearbeiteten Arie, gar keine Zwischengattungen des Gesanges vorkommen, als etwa die Recitative mit Accompagnement. Es ist kaum zu begreifen, wie man auf diese magere Einschränkung des Operngesanges gefallen ist.

Die Einrichtung der Schaubühne, und das, was zum Aeußerlichen des Auftrits der Personen gehört, ist bey jedem Schauspiehl, vornehmlich aber bey der Oper, von Wichtigkeit. Wie überhaupt bey allen Gegenständen der Empfindung die Einbildung das Meiste thut, so kann eine mittelmäßige Oper durch geschikte Veranstaltung des Aeußerlichen der Vorstellung gut, und eine fürtrefliche, durch Vernachläßigung derselben, schlecht werden. Das Allgemeine, was hierüber zu sagen wäre, ist bereits an einer andern Stelle dieses Werks gesagt worden.10 Aus demselben kann man abnehmen, wie sehr die äusserlichen Veranstaltungen bey der Oper wichtig sind. Eine feyerliche Stille; eine Scene, die finster und traurig, oder prächtig und herrlich ist; der Auftritt der Personen, deren Stellung, Anzug und alles was zum Aeußerlichen gehöret, mit jenem Charakter der Scene übereinkommt – dieses zusammengenommen, würket in den Gemüthern der Zuschauer eine so starke Spannung zur Leidenschaft, daß nur noch ein geringer Stoß hinzukommen därf, um ihren vollen Ausbruch zu bewürken; die Gemüther sind schon zum voraus so sehr erhizt, daß nun ein kleiner Funken alles darin in volle Flammen sezet.

Wer dieses recht bedenket, wird leicht begreifen, daß kein Werk der Kunst der Oper, an Lebhaftigkeit der Würkung gleich kommen könne. Aug und Ohr und Einbildungskraft, alle Spannfedern der Leidenschaften werden da zugleich ins Spiehl gesezt. Darum ist es von großer Wichtigkeit, daß die äusserlichen Zurüstungen, von denen so sehr viel abhängt, mit ernstlicher Ueberlegung veranstaltet werden.

Der Baumeister der Schaubühne muß ein Mann von sicherem Geschmak seyn, und bey jeder veränderten Scene genau überlegen, wohin der Dichter ziehlt. Denn muß er mit Beybehaltung des Ueblichen, oder des Costumé, alles so einrichten, daß das Aug zum voraus auf das, was das Ohr zu vernehmen hat, vorbereitet werde. Die Scenen der Natur und die Aussichten, welche die Baukunst dem Auge zu verschaffen im Stand sind, können [849] jede leidenschaftliche Stimmung annehmen. Eine Gegend oder eine Aussicht kann uns vergnügt, fröhlich, zärtlich, traurig, melancholisch und furchtsam machen; und eben dieses kann durch Gebäude und durch innere Einrichtung der Zimmer bewürkt werden. Also kann der Baumeister dem Dichter überall vorkommen, um ihm den Eingang in die Herzen zu erleichtern. Aber er muß sich genau an die Bahn halten, der der Dichter folget: nichts Unbedeutendes, zum bloßen Küzel des Auges; vielweniger etwas Ueberraschendes, das dem herrschenden Ton der Empfindung wiederspricht.

Auch die Kleidung der Personen ist zum Eindruk von Wichtigkeit; und es ist sehr ungereimt, wenn man dabey blos auf eine dumme Blendung des Auges sieht. In Rom war es zu der Zeit der Republik sehr gewöhnlich, daß die Großen, wenn ihnen eine Gefahr drohete; wenn sie sich vor dem Volke über schweere Beschuldigungen zu verantworten hatten, oder wenn etwa die Republik in allgemeiner Noth war, Trauerkleider anzogen. Sie wußten, was für Eindruk dergleichen geringscheinende Dinge, auf die Gemüther machen. Darauf und nicht blos auf Pracht und strozzenden Prunk, wie gemeiniglich geschieht, muß man bey der Opernkleidung sehen.

Von den Tänzen, die schiklicher ganz aus der Oper wegblieben, als daß sie, wie izt geschieht, blos die Handlung unterbrechen, und die durch dieselbe gemachten Eindrüke auslöschen, wollen wir hier gar nicht sprechen, weil das, was in andern Artikeln davon gesagt worden, hinlänglich ist dem, der den ganzen Plan einer Oper anordnet, auch eine schikliche Anwendung dieser Kunst an die Hand zu geben.

Wenn man bedenkt, was für große Kraft in den Werken einer einzigen der schönen Künste liegt; wie sehr der Dichter uns durch eine Ode hinreissen; wie tief uns der Tonsezer auch ohne Worte rühren; was für lebhafte und daurende Eindrüke der Mahler auf uns machen kann; wenn man zu allem diesem noch hinzusezt, daß das Schauspiehl schon an sich die Empfindungen auf den höchsten Grad treibet;11 so wird man begreifen, wie unwiederstehlich die Gemüther der Menschen durch ein Schauspiehl könnten hingerissen werden, in welchem die einzelen Kräfte der verschiedenen schönen Künste so genau vereiniget sind. Ich stelle mir vor, daß bey einer wichtigen Feyerlichkeit, z.B. bey der Thronbesteigung eines Monarchen, eine in allen Theilen wol angeordnete und gut ausgeführte Oper gespiehlt würde, die darauf abziehlte, den neuen Fürsten empfinden zu lassen, was für ein Glanz den Regenten umgiebt, und was für eine Glükseligkeit der genießt, der ein wahrer Vater seines Volks ist; und denn empfinde ich, daß der Eindruk den sie auf ihn machen würde, so durchdringend seyn müßte, daß kein Tag seines künftigen Lebens kommten könnte, da er sich derselben nicht erinnerte. Daß die Empfindungen, die das Gemüth ganz durchdringen, wenn man sie ein einzigesmal gefühlt hat, unauslöschlich sind, und bey geringen Veranlassungen, sich wieder erneuern, muß jeder nachdenkende Mensch, wenn er dergleichen jemals empfunden hat, aus seiner eigenen Erfahrung wissen. Aber ich kann mich nicht enthalten, ein besonder merkwürdiges Beyspiehl hievon, das Plutarchus im Leben Alexanders erzählt, anzuführen. Man hatte den Antipater bey dem König wegen vieler begangener Ungerechtigkeiten verklagt. Kaßander des beklagten Sohn, wollte ihn vertheidigen; aber Alexander, der gegen diesen, bey einer andern Gelegenheit schon einen Unwillen geschöpft hatte, sagte ihm, vermuthlich mit einer sehr nachdrüklichen Miene: »Ihr sollt es gewiß empfinden, wenn es sich zeigen wird, daß ihr den Leuten unrecht gethan habt.« Dieses prägte dem Kaßander eine so lebhafte Furcht ein, daß er lange hernach, da er schon König in Macedonien und Herr über Griechenland war, bey Erblikung einer Statue des Alexanders, die in Delphi stund, plözlich erschrak und so zitterte, daß er sich kaum wieder erholen konnte.

So verächtlich also die Oper in ihrer gewöhnlichen Verunstaltung ist, und so wenig sie den großen Aufwand den sie verursachet verdienet, so wichtig und ehrwürdig könnte sie seyn, wenn sie auf den Hauptzwek aller schönen Künste geleitet, und von wahren Virtuosen bearbeitet würde.

Sie ist eine nicht alte Erfindung des italiänischen Wizes, und wird auch außer Italien gemeiniglich in der Sprache der Welschen, und von Sängern dieser Nation aufgeführt. Zwar hatte die griechische Tragödie das mit der Oper gemein, daß der Dialog derselben nach gewissen Tonarten der Musik, wie das Recitativ der Oper declamirt wurd, und daß die lyrischen Stellen, nämlich die Chöre, förmlich gesungen wurden. Aber es ist nicht wahrscheinlich, daß die neuern Erfinder der Oper die Veranlassung [850] dazu von der alten Tragödie genommen haben. Die Art, wie sie durch allmählige Veränderungen entstanden ist, die man mit einem ziemlich unförmlichen, mit Musik und Tanz untermischten Schauspiehl, das großen Herren zu Ehren, bey feyerlichen Gelegenheiten gegeben wurd, vorgenommen hat, ist bekannt. Der Graf Algarotti hält die Daphne, die Euridice und die Ariane, die Ottavio Rinucini im Anfange des lezt verflossenen Jahrhunderts auf die Schaubühne gebracht hat, für die ersten wahren Operen, darin dramatische Handlung, künstliche Vorstellungen verschiedener Scenen durch Maschinen, Gesang und Tanz, zur Einheit der Vorstellung verbunden worden. Denn in den vorher erwähnten Lustbarkeiten, war noch keine solche Verbindung der verschiedenen Theile, die dabey vorkamen. Eine Zeitlang war die Oper blos eine Ergözlichkeit der Höfe, bey besondern Feyerlichkeiten, als Vermählungen, Thronbesteigungen und freundschaftlichen Besuchen großer Herren. Aber sie kam in Italien bald in die Städte und unter das ganze Volk; weil die ersten Unternehmer derselben merkten, daß dieses Schauspiehl eine gute Gelegenheit Geld zu verdienen, seyn würde. Und dazu wird sie noch gegenwärtig in den meisten großen Städten in Italien, so wie die comische und tragische Schaubühne gebraucht.

Außer Welschland ist sie an sehr wenig Orten als ein gewöhnliches dem ganzen Volke für Bezahlung offenstehendes Schauspiehl eingeführt. Nur wenige große Höfe haben Truppe Welscher Operisten in ihren Diensten, und geben in den so genannten Winterlustbarkeiten, etliche Wochen vor der in der römisch catholischen Kirche gebothenen Fastenzeit, einige Vorstellungen, zum bloßen Zeitvertreib. So lange die Oper in dieser Erniedrigung bleibet, ist freylich nichts Großes von ihr zu erwarten. Doch hat man ihr auch in dieser knechtischen Gestalt die Anwendung der Musik auf die Schilderungen aller Arten der Leidenschaften zu danken, woran man ohne die Oper vermuthlich nicht würde gedacht haben.

1In der Abhandlung sur l'Energie in den Memoires de l'Acad. Roy. des Scien. et Belles-Lettrespour l'Année MDCCLXV.
2S. Adriano di Metastasio. Att. II. s. 5. saggio guerriero antico. etc.
3Ebendaselbst. Att. III. s. 2. Piu bella, al tempo usato etc.
4 Ballet, Tanz, Schaubühne.
5Man sehe auch Glucks Vorrede zur Oper Alcestis.
6S. Tragödie.
7S. Gesang.
8S. Läufe
9Algarotti saggio sopra l'Opera. Um über alles, was ich von der Oper zu sagen hätte, kürzer zu seyn, verweise ich überhaupt die, denen diese Materie interessant ist, auf dieses kleine Werk, das mit eben so viel Geschmak als Einsicht geschrieben ist.
10Im Art. Leidenschaft. S. 696.
11S. Schauspiehl.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 842-851.
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