Naht

1. Die Naht ist wie der Schneider (oder: wie die Näherin).


2. Die Naht macht (hält) den Sack.

Holl.: De naad breekt den zak. (Harrebomée, II, 112b.)


3. Je fester die Naht, je grösser der Riss.

Frz.: De forte coûture forte déchirure. (Bohn I, 14.)


*4. Dicht bei der Naht weg.


*5. Eim auf d' Näht' sitze.


*6. Einem auf die Naht (die Börse) fühlen.

Seinen Vermögenszustand auszuforschen suchen.


*7. Einen aus allen Nähten loben.

Gesuchtes, aber auch sehr starkes Lob.


*8. Er geht auf der Naht.


*9. Er het en i d' Nöth gno.Sutermeister, 78.

Er hat ihn scharf ausgefragt. Dass hier Naht gemeint ist, vermuthe ich blos, weil der Verfasser auch in der Redensart: Die Nähte ausklopfen, das Wort, an Noth erinnernd, schreibt, wo doch offenbar Nähte gemeint sind. Auch die nebengestellten Redensarten: Einem die Jüppe schütteln, das Hemd warm machen, lassen auf die Naht schliessen, während gerade die beigefügte Bemerkung: »scharf ausfragen«, die Ansicht rechtfertigen könnte, dass die Redensart »in die Noth nehmen« hiesse und von der scharfen Frage des peinlichen Strafverfahrens mittels der Tortur abgeleitet sei. Unzählige solcher Zweifel hätte der Verfasser durch eine einfache Bemerkung beseitigen können, wenn er nicht angenommen hätte, dass die ganze Welt mit allen Ausdrücken und Redeweisen der schweizer Cantönlisprache bekannt sei, über die man sogar bei Stalder und Tobler vergeblich Belehrung sucht.


*10. Et ging enne1 donne2 an der Naht her. (Lippe.)

1) Ihm.

2) Nahe, hart, scharf.


*11. He hett wat up de Nât.Schütze, III, 130.

Er besitzt Vermögen.


*12. He kleiet (oder pulet) all in de Naht.Richey, 171.

Er sucht den letzten Pfennig hervor. Das Nahtpulen wird auch von einem Knicker gesagt, der nicht gern Geld zu sich steckt oder es schwer herausnimmt.


*13. Upper Naht pul'n.Eichwald, 1376.

Pulen hat mehrere Bedeutungen, unter denen die des Abschälens, Enthülsens die ursprüngliche ist. Es heisst dann auch soviel als klauben, abnagen, rupfen, zupfen, ferner kitzeln, auch bohren, stochern u.s.w. (Vgl. Stürenburg, 186b.)


*14. Wort, i will der d' Noth ithun.Sutermeister, 24.


*15. Wort, i will der d' Nöth usklopfe.Sutermeister, 24.

Diese beiden Redensarten drücken eine Drohung aus und gehören in die Gruppe der unter Laus 103 aufgeführten.


[Zusätze und Ergänzungen]

16. Die Nähte sind aus dem Sack gegangen.

In einer von der Pfaffenpartei Oberschlesiens gegen den Herzog von Ratibor und zu Gunsten des geistlichen Raths Müller veröffentlichten Wahlansprache heisst es: »Die Nähte sind aus dem Sack gegangen, und es hat sich gezeigt, mit wem es der Herzog hält.« (Schles. Zeitung, 1872, Nr. 66.)


*17. Einem auf die Nähte gehen. (Köthen.)


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 3. Leipzig 1873.
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