Chatham

Chatham

[405] Chatham (William Pitt, Graf von), einer der größten und verdienstvollsten engl. Staatsmänner, geb. 1708, war der Sohn des Landedelmanns Robert Pitt von Boconnoc in Cornwall, trat nach zurückgelegter Schul- und Universitätsbildung als Fähnrich in das engl. Heer, und wurde 1735 Vertreter des Fleckens Old-Sarum im Unterhause, wo er durch seinen edeln Patriotismus und seine durch innere Wahrheit, wie durch glänzenden Vortrag und Würde seiner Haltung siegende Beredtsamkeit schnell die allgemeine Aufmerksamkeit und Achtung erwarb.

Das damalige engl. Ministerium sah in ihm seinen einflußreichsten Gegner und C. verlor deshalb seine Stelle im Heere, allein die Herzogin von Marlborough ehrte 1744 den mit allen Tugenden Gezierten durch ein Vermächtniß von 10,000 Pf. Sterl., und später hinterließ ihm aus gleichem Grunde ein gewisser Pynsent sein ansehnliches Vermögen. Nachdem C. kurze Zeit Kammerherr des Prinzen von Wales gewesen, ward er 1746 Unterschatzmeister für Irland und Geheimrath, und nachdem er 1755 diese Posten aufgegeben, 1756 Staatssecretair. Da er jedoch den kriegerischen Absichten Georg II. in Bezug auf Deutschland hinderlich war, erhielt [405] er noch im nämlichen Jahre seine Entlassung, worüber sich aber die allgemeine Unzufriedenheit so laut aussprach, daß der König C. 1757 von Neuem zum Staatssecretair ernannte. Von da an entwickelte er seine glänzendste Thätigkeit, beherrschte blos durch die Ueberlegenheit seines Geistes und ohne zu Intriguen und Ränken seine Zuflucht zu nehmen, das Parlament und das Ministerium, ermannte die engl. Nation zu neuen Anstrengungen und es war eine Folge seiner Anordnungen, daß England den damaligen Krieg mit Frankreich siegreich beendigte und sein fast verlorenes Übergewicht, sowie die Alleinherrschaft zur See behauptete. C.'s ganzes Bestreben war die Erhebung seines Vaterlandes durch Demüthigung der bourbonischen Reiche, und daher rieth er schon 1760 zum Kriege gegen das noch unvorbereitete Spanien, das später unfehlbar Frankreich beistehen werde. Der Tod Georg II. hemmte jedoch C.'s Pläne, indem König Georg III. sich durch den Grafen Bute so wider ihn einnehmen ließ, daß er 1761 sein Amt niederlegte und nur Mitglied des Unterhauses blieb, bei welcher Gelegenheit ihm die Stadt London eine öffentliche Danksagung überreichte und ihm zu Ehren eine Inschrift auf die Blakfriarsbrücke setzen ließ. C.'s Rath entgegen kam 1763 der Friede mit Frankreich und Spanien zu Stande, und er machte nun die Rechte und das Wohl des engl. Volks zum einzigen Ziele seiner Thätigkeit. Aus den Bedrückungen der engl. Colonien in Amerika sah er den drohenden Verlust derselben voraus und rieth unaufhörlich, allein umsonst, zu versöhnenden Maßregeln. Nachdem er 1766 ein neues Ministerium hatte bilden helfen, in welchem er das Amt des geheimen Siegelbewahrers übernahm, das er aber 1768 schon niederlegte, ward er zum Viscount von Burton, Baron Pynsent und Grafen von Chatham erhoben, und vermöge dieser Würden Mitglied des Oberhauses, wo er fortfuhr, zu gelinden Maßregeln gegen Amerika zu rathen, und voraus, sagte, daß England im Kampf unterliegen werde. Die wie, derholte Demüthigung der engl. Waffen und die Nachricht von dem Bündnisse zwischen Frankreich und Nordamerika veranlaßten im Apr. 1778 den kranken C., sich, von seinem Sohn geführt, zum letzten Mal ins Oberhaus zu begeben, wo er mit Freimüthigkeit das Verfahren der Minister gegen Amerika tadelte und von Schmerz über Englands Unglück wie von Anstrengung erschöpft, am Schlusse seiner Rede ohnmächtig niedersank. Bald darauf erfolgte am 4. Mai sein Tod und ganz England betrauerte den Verlust seines größten Staatsmannes während des 18. Jahrh. Mit großem Pomp ward er auf öffentliche Kosten bestattet, in der Westminsterabtei und in Guildhall wurden ihm prächtige Denkmale gesetzt, das Parlament bezahlte seine Schulden und bewilligte demjenigen von C.'s Söhnen, dem die Grafschaft Chatham zufiel, für sich und seine Nachkommen ein Jahrgeld von 4000 Pf. St. Auch in Amerika bewahren viele Ortsnamen das Andenken dieses großen Mannes, unter dessen Söhnen sich der Minister William Pitt (s.d.) ebenfalls berühmt gemacht hat.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 405-406.
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