Fasten

[12] Fasten ist mehr oder weniger vollständige Enthaltung von dem Genusse von Speisen und Getränken oder auch im kirchlichen Sinne Beschränkung auf gewisse Speisen und Getränke während einer gewissen Zeit. Das Fasten äußert entschiedene Wirkungen auf den Zustand und das Befinden nicht nur des Körpers, sondern auch der Seele. Indeß ist sein Einfluß ein sehr verschiedener, je nachdem es im gesunden oder kranken Zustande stattfindet. Im Allgemeinen können bejahrte Leute dasselbe besser und länger aushalten als junge, sei es nun, weil Letztere noch im Wachsthume begriffen sind oder weil sie ein thätigeres, arbeitsvolleres Leben führen und deshalb einer größern Menge von Nahrungsmitteln bedürfen. In Krankheiten wird das Fasten oft außerordentlich lange ohne sichtbaren Nachtheil ertragen. So ist es bekannt, daß Kranke, namentlich hysterische Frauenzimmer, zuweilen Monate und länger zubringen, ohne etwas zu sich zu nehmen. Auch Gesunde können, wenn auch nicht so lange, doch wenigstens mehre Tage und sogar unter übrigens sehr ungünstigen Umständen, ohne etwas zu genießen, am Leben bleiben, wie dies z.B. die Falle bewiesen haben, in denen Menschen von einem Erdeinstürze verschüttet und dennoch nach einigen Tagen noch lebendig hervorgezogen wurden. Merkwürdig ist die Geschichte eines berühmten Gelehrten, der im hohen Alter von einer unüberwindlichen Schlafsucht befallen wurde. Er wachte nur alle acht Tage auf und aß folglich nur am Tage seines Erwachens. Endlich schlief er ein ganzes Jahr fast ohne Unterbrechung und starb nach Verlauf desselben an gänzlicher Erschöpfung. Daß aber im Zustande des Schlafs eine lange Entbehrung der Speisen und Getränke möglich ist, lehren schon die winterschlafenden Thiere, wie z.B. die Murmelthiere, die eine ganze Jahreszeit, ohne zu fressen, zubringen können. Bei gewissen Krankheiten ist die Enthaltung von Speise und Trank, wenigstens von gewissen Speisen, nicht nur nützlich, sondern oft zur Heilung unumgänglich nothwendig.

Mit der Religion stand das Fasten schon im frühesten Alterthume bei den Völkern des Orients in Verbindung, nicht nur, weil sich hier die Vernachlässigung der Diät empfindlicher rächt, sondern weil die Priester zugleich die Ärzte waren und ihnen die doppelte Sorge für Gesundheit und Religion oblag. Das Fasten ist deshalb in den Religionen der Indier, Perser, Juden und Mohammedaner gesetzlich vorgeschrieben und gewissen Tagen ausschließlich vorbehalten. Die Juden haben noch fünf Hauptfasttage, darunter der große Versöhnungstag, und zwei Tage zum Gedächtniß der Einnahme von Jerusalem durch Nebukadnezar und Titus. Durch die Juden, die zum Christenthume übergingen, wurde das Fasten auch bei den Christen Gebrauch, die sich dadurch auf die Feier der hohen Feste vorbereiteten. Von den drei großen Fasten, von Pfingsten bis Johanni, von Martini bis Weihnachten und der sogenannten vierzigtägigen Fastenzeit vor dem Charfreitage, mit Beziehung auf das vierzigtägige Fasten Jesu in der Wüste, wurde das letztere am strengsten gehalten und soll schon im 2. Jahrh. von einem röm. Bischofe angeordnet worden sein. Diese Zeit wird in der protestantischen Kirche nur dadurch ausgezeichnet, daß in ihr die christliche Erbauung dem Leiden und Sterben Jesu in Fastenpredigten gewidmet, das Orgelspiel gedämpft ist und die öffentlichen Musik- und Tanzvergnügungen, wie auch in der Adventszeit, eingestellt sind. Andere gebotene Fasttage waren die Vorabende hoher Feste, und der Mittwoche, Freitag und Sonnabend jeder Woche, die ein Vierteljahr beschloß. Alle Freitage (an einigen Orten auch alle Sonnabende) enthalten sich die katholischen Christen der Fleischspeisen, welches leichtere Fasten Abstinenz (Enthaltung) heißt. Die Vermeidung der Fleischspeisen hat in den katholischen Ländern die Köche veranlaßt, um den verbotenen Genuß zu ersetzen, auf wohlschmeckende Speisen zu sinnen, welche jene ersetzen sollen, und diese Fastenspeisen sind zum Theil nicht weniger einladend und den Gaumen reizend als die vermiedenen Fleischspeisen.

Die Nüchternheit des Geistes, die das Fasten befördert, gab demselben für die Angelegenheiten der Religion einen wichtigen Zweck, der aber verloren ging, als man das Fasten selbst als etwas Verdienstliches betrachtete. Viele suchten sich durch strenges Fasten einen Schein von Heiligkeit zu geben und der Kampf mit den Naturtrieben verwandelte sie in Schattengestalten. Die mitteralterliche Kirchenzucht entsühnte durch auferlegtes Fasten die Büßenden, die sich jedoch auch durch Geld davon befreien oder es zu ihrem Gunsten einem Andern übertragen konnten. Die Reformatoren ertheilten über das Fasten keine Vorschriften und überließen es dem Bedürfnisse der Gewissen. Es ist deshalb in der protestantischen Kirche fast ganz verschwunden und wird nur noch von frommen Christen als Zeichen der Reue an den Bußtagen und vor der Feier des h. Abendmahls ausgeübt. Auch in der katholischen Kirche denkt man jetzt über das Fasten milder wie ehedem, wogegen in der griech. Kirche noch strenge und gewissenhafte Fasten gehalten werden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 12.
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