[157] Gefängniss (Kerker), ist im Allgemeinen jeder zur Beraubung der persönlichen Freiheit bestimmte Ort.
Der Staat bedient sich der Gefängnisse theils als Sicherungsmittels gegen das Entweichen solcher Personen, die sich wegen des Verdachts, ein Verbrechen begangen zu haben, in Untersuchung befinden (Verwahrungsgefängnisse), theils als wirklichen Strafmittels für überführte Verbrecher (Strafgefängnisse). Personen, welche nur der gegen sie eingeleiteten Untersuchung wegen in Hast sind, werden in der Regel nur soweit des Gebrauchs ihrer Freiheit beraubt, als nöthig ist, ihr Entkommen zu hindern. Man erlaubt ihnen gewöhnlich die Wahl ihrer Beschäftigung und vergönnt ihnen selbst Genüsse, die sie sich aus eignen Mitteln zu verschaffen vermögen, gestattet wol auch den Zutritt von Freunden und Verwandten in das Gefängniß. Die Maßregeln gegen sie werden nur geschärft, wenn man fürchtet, sie möchten Mittel zur Flucht in die Hände bekommen, oder wenn man sie zum Geständniß der aus der Untersuchung offenbar sich ergebenden Schuld bringen will. Anders verhält es sich mit den Gefängnissen, deren sich der Staat zur Vollstreckung wirklicher Strafe (Freiheitsstrafe) an Verbrechern, die nach vorhergegangener Untersuchung für schuldig befunden worden, bedient. Man unterscheidet insgemein drei Grade solcher Gefängnißstrafe. Der erste ist Festungsbaugefangenschaft, in den neuern Gesetzgebungen auch Kettenstrafe oder schwerer Kerker (s. Festung) genannt. Dieser Strafe gleich kommt in einigen Staaten die Galeerenstrafe (s. Galeeren). Etwas minder streng, jedoch in gleichem Grade, wie Festungsbau, infamirend, ist die Zuchthausstrafe, die gegenwärtig besonders in Deutschland sehr gebräuchlich ist. Sie wird auf verschieden lange Zeit, bis zu lebenslänglicher Einkerkerung, nach der Gefährlichkeit der Verbrecher und nach der Größe ihrer Vergehungen zuerkannt. Auch gibt es gewöhnlich mehre Grade, die sich theils durch die strengere Bewachung, z.B. durch Anschließung in den Gefängnissen, Anlegung von Ketten u.s.w., theils durch die Verschiedenheit der von den Züchtlingen zu verrichtenden Zwangsarbeit voneinander unterscheiden. In einigen Staaten werden die Züchtlinge noch überdem gleich beim ersten Eintritt ins Zuchthaus mit einer körperlichen Züchtigung (Willkommen) belegt, in mehren Staaten mit derselben sogar auch noch nach Abbüßung der Strafzeit beim Austritt (Abschied) aus dem Zuchthause entlassen. Die geringste der Freiheitsstrafen nennt man Gefängniß, gefäng liche [157] Haft schlechthin. Diese Strafe hat nicht, wie die vorhergenannten, den Verlust aller bürgerlichen Ehrenrechte zur absoluten Folge und wird daher nur bei geringern Vergehungen in Anwendung gebracht. Man unterscheidet hier zwischen den Gerichtsgefängnissen einzelner Orte und den Landesgefängnissen. Zu der Einrichtung der letztern sahen sich in neuerer Zeit mehre Staaten durch die Übervölkerung der Zuchthäuser und die Erfahrung veranlaßt, daß die Mehrzahl der zu diesen Verurtheilten durch die unfreiwillige Vermischung mit dem Auswurfe der Menschheit diese Anstalten nicht selten noch entsitteter verlassen, als sie dieselben betraten. Die allgemeinen Landesgefängnisse haben vor den einzelnen Gerichtsgefängnissen (die unter besondern Namen, als: Bürgergehorsam, Stockhaus, Carcer, Schuldthurm u.s.w. vorkommen) hauptsächlich Das voraus, daß sie nicht so kostspielig wie diese sind und daß es in ihnen möglich wird, die Gefangenen strenger zu beobachten und sie nach Verhältniß ihrer körperlichen und geistigen Kräfte zu einer zweckmäßigen Arbeit anzuhalten. Eine bekannte Gattung der leichtern Gefängnißstrafe ist die (mit Festungsbau nicht zu verwechselnde) Festungsstrafe oder Festungsarrest. (S. Festung.) Auch bedient man sich der Festungen zur Aufbewahrung von Kriegsgefangenen. Entspringen aus dem Gefängniß zieht engere Hast nach sich und wird in Zuchthäusern auch noch durch Schläge bestraft.
Die Gefängnisse sind wahrscheinlich so alt wie die Staaten. Wenigstens läßt sich ein geordneter Staat nicht ohne diese Mittel zur Bestrafung der Verbrecher denken. Die ältesten Gefängnisse im Morgenlande waren wasserleere Cisternen. In Athen gab es 49 Gefängnisse, und unter diesen eins auf dem Markte für zahlungsunfähige Schuldner. In Rom erbauete der König Ancus Marcius das erste Gefängniß und zwar gleichfalls für Schuldner. Das Hauptgefängniß in Rom wurde nach seinem Erbauer, dem König Servius Tullius, »Tullianum« genannt. Von ihm und der barbarischen Behandlung der Gefangenen in demselben entwirft der Geschichtschreiber Sallust eine traurige Schilderung. Überhaupt kannte das nichtchristliche Alterthum keine liebende Sorge für die Gefangenen. Den milden Lehren der christlichen Religion verdankten diese die erste Erleichterung ihres bis dahin schrecklichen Looses, was selbst ein satirischer Feind des Christenthums, der Grieche Lucian, nicht in Abrede stellt. Er erzählt uns, wie die Christen ihre gefangenen Glaubensgenossen besuchten, trösteten, mit ihnen beteten und selbst bei ihnen im Gefängnisse schliefen. In den christlichen Gemeinden der ersten Jahrhunderte nach Christus hatten die Diakonen und Diakonissinnen neben der Sorge für Arme und Kranke auch die Pflicht, für das Seelenheil der Gefangenen Sorge zu tragen. Die barbarische Rauheit des Mittelalters verließ jedoch diesen segensreichen Pfad der christlichen Liebe. In dieser Zeit nämlich benutzte man gewöhnlich die unterirdischen Räume der Burgen, die Burgverließe, zu Gefängnissen. Sie kamen besonders in Deutschland vor und gehörten zu den grausamsten und nachtheiligsten für die Gesundheit, deren die Geschichte gedenkt. Einen nicht bessern Ruf haben die sogenannten Bleikammern in Venedig wegen der im Sommer darin herrschenden unausstehlichen Hitze. (S. Venedig.) Auch die Gefängnisse der Inquisition sind berüchtigt. Eins der berühmtesten Gefängnisse war die gleich beim ersten Ausbruch der franz. Revolution von der Volkswuth zerstörte Bastille (s.d.) zu Paris. In London (s.d.) hat man ganze Bezirke dieser Riesenstadt den Gefangenen eingeräumt. In dem Bereiche der großen Schuldgefängnisse Kingsbench genießen die Schuldgefangenen große Freiheiten; sie wählen sich Vorsteher und Richter aus ihrer Mitte, haben ihre Vergnügungs- und Versammlungsplätze u.s.w. Die Gefängnisse in China rühmt man wegen der in ihnen obwaltenden Sorge für die Gesundheit der Gefangenen. Die Gefängnisse bilden dort meistens große Vierecke, wo die Gefangenen in besondern Zellen wohnen und die Erlaubniß haben, zuweilen unter den Augen ihrer Aufseher in einem geräumigen Hofe spazieren zu gehen. Man ist darüber in Zweifel, welcher europ. Staat zuerst ein Zuchthaus gehabt habe. Eines der ältesten ist das zu Bury in England, welches wahrscheinlich schon im Jahre 1589 bestand. Auf dem Festlande begegnen wir diesen Anstalten zuerst in den Niederlanden. In Amsterdam wurde 1595 ein Zuchthaus für Männer und im folgenden Jahre eins für Weibspersonen gebaut. In Deutschland fanden sie zwar erst im Laufe des 17. Jahrh. Eingang, doch zählte man daselbst schon gegen die Mitte des vorigen Jahrh. einige 50 Zuchthäuser. Eins der besteingerichteten ist das von der Kaiserin Maria Theresia in Gent erbaute. – In Europa war es dem edlen Menschenfreunde John Howard (geb. 1727 zu Clayton in England, gest. 1790) vorbehalten, durch die unermüdlichste Sorge für Erleichterung des Schicksals der Gefangenen (welches er aus eigner Erfahrung als Kriegsgefangener in Frankreich, sowie auf seinen spätern Reisen durch ganz Europa gründlich kennen gelernt hatte) das Augenmerk des engl. Parlaments auf dieses bis dahin sehr vernachlässigte Gebiet des Staatsrechts zu lenken. Von dieser Zeit an kamen die wesentlichsten Verbesserungen des Gefängnißwesens auf, welche sich nach und nach von England aus in alle civilisirten Staaten mit mehr oder minder glücklichem Erfolge verbreiteten. Am weitesten sind in dieser Beziehung die nordamerik. Freistaaten vorgeschritten. Schon im Jahre 1776 bildete sich in Philadelphia eine Gesellschaft zu Verbesserung des Gefängnißwesens, deren Bemühungen von dem schönsten Erfolge gekrönt worden sind. Zwei Systeme sind es hauptsächlich, welche man gegenwärtig bei der Gefängnißbauart und der Gefangenzucht in den nordamerik. Vereinsstaaten befolgt. Der Hauptgrundsatz des zuerst in Neuyork aufgekommenen und von da aus in vielen andern Städten Nordamerikas verbreiteten Systems besteht darin, daß man die Gefangenen bei Nacht voneinander trennt und sie in einzelnen Zellenreihen verwahrt, welche eine von diesen weit abstehende starke Mauer umschließt. Man bezeichnet diese Bauart als Schachtelplan und nennt jene Zellenreihen »die innere Schachtel« und die diese umgebende Mauer »die äußere Schachtel.« Bei Tage läßt man die Gefangenen gemeinschaftlich arbeiten und essen, wobei jedoch eine strenge militairische Zucht und ein vollkommenes Schweigen der Sträflinge unabweislich gehandhabt wird. Nach dem andern Systeme, welches zuerst in Philadelphia aufkam, aber wegen der damit verbundenen größern Kostspieligkeit noch keine so bedeutende Ausbreitung gefunden hat, treibt man die Strenge gegen die Sträflinge und deren Absperrung voneinander noch weiter, indem man nicht allein bei Nacht, sondern auch bei Tage jeden Gefangenen einsam in seiner [158] Zelle sich selbst überläßt. Außer dem lautlosen Gefangenwärter naht sich ihm kein menschliches Wesen, und eine Beschäftigung wird ihm nur als Belohnung gestattet. Jede dieser Zellen hat übrigens einen besondern kleinen Hof, in welchem der Gefangene Luft schöpfen kann. Wenn man erwägt, wie groß der von der Natur in die Brust jedes Menschen gelegte Trieb nach Geselligkeit und Beschäftigung ist, so muß man gestehen, daß kaum eine größere und wirksamere Strafe erdacht werden kann. Doch führt sie ebendeshalb bei lebhaften Naturen leicht zum Wahnsinn und ist schon aus diesem Grunde nur mit großer Vorsicht und nur bei schweren und ganz demoralisirten Verbrechern in Anwendung zu bringen. Höchst heilsam wird sie aber dadurch, daß durch die ununterbrochene Einsamkeit auch das verworfenste Gemüth zur Selbstbetrachtung und hierdurch zur Selbsterkenntniß, folglich zu moralischer Selbstbesserung gezwungen wird und daß die Verbrecher in der Arbeit Trost und Erholung finden. – In England ist eins der besten Gefängnisse das hier abgebildete Besserungshaus Milbank bei London. Es ist kreisförmig gebaut; der Vorsteher hat seine Wohnung im Mittelpunkte und die voneinander getrennten Behältnisse der Gefangenen im Kreise um sich her. Diese freilich sehr kostspielige und ungefähr 600 Sträflinge enthaltende Anstalt zeichnet sich besonders durch eine musterhafte, auf religiöse Zucht und zweckmäßige Beschäftigung gerichtete Beaufsichtigung der Gefangenen aus, welche in Classen abgetheilt sind und nur bei Nacht abgesperrt werden. Für noch vorzüglicher gilt eine in neuerer Zeit vielfach (unter andern in Genf, in Sonneburg bei Küstrin und zu Insterburg in Ostpreußen) in Anwendung gekommene Bauart der Gefängnisse, welche unter dem Namen des Strahlenplanes bekannt ist.
Der größte Nachtheil, der immer noch an allen unsern strengen Gefängnißanstalten haftet, ist die Folge der Infamie, welche an Jedem haftet, der einmal als Sträfling in einem Zuchthause gewesen. Jedermann weicht einem solchen aus, Niemand mag ihn in Dienste nehmen, und so muß der Unglückliche nicht selten seinen nothdürftigen Lebensunterhalt sich wieder auf verbotene Weise suchen. Es ist der Fall vorgekommen, daß ein solcher Verstoßener ein neues Verbrechen beging, um nur wieder im Zuchthause einen Zufluchtsort zu finden. Zwar wird gegenwärtig fast allenthalben auf die moralische Besserung der Züchtlinge mit großem Fleiße hingewirkt, aber zur gänzlichen Beseitigung des gegen ehemalige Sträflinge noch herrschenden Vorurtheils sind immerhin noch besondere Maßregeln nöthig. Die zweckmäßigste dürfte die sein, daß Gesellschaften von wahren Menschenfreunden sich zum Zweck machen, ehemaligen Züchtlingen Gelegenheit zu rechtlichem Erwerb zu geben und zu dem thatsächlichen Beweise der geschehenen Besserung. Vereine mit derartigem Zwecke haben sich auch in mehren deutschen Ländern gebildet, und namentlich ist ein solcher im Laufe dieses Jahres in Sachsen zu Stande gekommen. – Eine besondere Art nichtinfamirender Gefängnißstrafe ist diejenige, welche Gläubiger über ihre Schuldner verhängen können, entweder bis sie bezahlt haben oder auf gewisse gesetzlich bestimmte Zeit. Solchen Gefangenen kann keine Zwangsarbeit auferlegt werden.
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