[174] Gelübde sind feierliche Versprechungen, gewöhnlich der Gottheit gethan. So kindisch uns gegenwärtig die Vorstellung erscheint, Gott durch Versprechungen zu Erfüllung einer Bitte zu bewegen, so nahe liegt dieselbe doch dem weniger gebildeten Menschen, welcher sich die Gottheit nur als ein mächtiges menschenähnliches Wesen vorstellt, das menschliche Bedürfnisse und menschliche Freude an dargebrachten Gaben hat. Wie die Opfer, so finden wir auch die Gelübde bei fast allen heidnischen Völkern. Aber auch in das Christenthum ging die Sitte, bei gewissen Gelegenheiten Gelübde zu thun, über, jedoch mit der höhern, Gott würdigern Bedeutung, daß die Gelübde nicht sowol um Gottes willen, als um des Menschen willen gethan wurden. Theils war es die Dankbarkeit, die das Bedürfniß sich zu äußern hatte, theils ging der Mensch bei Gefahren, in Angst und Noth in sich und nahm sich vor, sein ferneres Leben, sein Vermögen ganz oder zum Theil künftighin religiösen Zwecken zu widmen, nicht sowol um Gott damit einen Dienst zu erweisen, als um seines eignen Seelenheiles willen. Mit dieser christlichen Gesinnung wurde aber freilich die kindischheidnische bei Ablegung von Gelübden häufig verwechselt. Die christlichen Gelübde können sich nicht auf Opfer, sondern einzig auf Darlegung christlicher Gesinnung beziehen: Wallfahrten zu thun, eine Kirche zu bauen, einen Theil seines Vermögens der Kirche zu schenken, Arme zu speisen, zu gewissen Zeiten Bet- und Bußübungen vorzunehmen und dergleichen. Eine besondere Art der Gelübde machen die Klostergelübde aus. Sie drücken im Allgemeinen den Entschluß aus: allen Freuden der Welt für immer entsagen und nur der Betrachtung und Anbetung Gottes sein ferneres Leben widmen zu wollen. Da man den Umgang mit dem andern Geschlechte, Reichthümer und Befolgung des Eigenwillens für die größten weltlichen Freuden hielt, so bezogen sich die Klostergelübde namentlich auf jene drei Punkte und bestanden in dem Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des unbedingten Gehorsams gegen die Ordensregeln und die Befehle der Vorgesetzten. Einzelne Orden haben noch besondere Gelübde, z.B. die Karthäuser das des Schweigens, manche andere das der Krankenpflege u.s.w. Die geistlichen Ritterorden hatten neben den Klostergelübden noch das des Kampfes gegen die Ungläubigen. Das Gelübde der Armuth hatte verschiedene Grade. Im Allgemeinen dürfen nämlich, wenn auch nicht die einzelnen Personen, welche in das Kloster gehen, selbst, doch die Klöster Eigenthum besitzen. Man nennt aber hohe Armuth, wenn ein Kloster nur so viel liegende Gründe haben darf, als es zu seiner Erhaltung bedarf; höhere Armuth, wenn das Kloster nur bewegliches Eigenthum (Bücher, Speisen, Getränke u.s.w.), und höchste Armuth, wenn es gar kein, weder bewegliches noch unbewegliches Eigenthum besitzen durfte. Die erste Art der Armuth geboten unter andern Karmeliter und Augustiner, die zweite Dominikaner, die letzte Franziskaner, besonders Capuciner. Nur die außerordentlichen [174] Klostergelübde können nach den Regeln der katholischen Kirche erlassen werden. Von den Gelübden der Laien findet jedoch Entlassung (Dispensation) statt, doch nur durch ausdrückliche Bewilligung der Kirche. Namentlich gilt dieses von den öffentlichen vor der Kirche abgelegten Gelübden; wogegen die einfachen Gelübde, welche der Mensch nur vor Gott und sich selbst thut, mehr der Gewissenspflicht überlassen bleiben. Ein Gelübde kann nur aufgehoben werden durch den Willen des Herrschenden über den Beherrschten, wenn das Gelübde des Letztern dem Willen des Erstern entgegenwirken würde; beim Vorhandensein einer geistigen oder physischen Unmöglichkeit, und durch veränderte Überzeugung, im Fall sich Der, welcher das Gelübde gethan, überzeugt hat, daß vielmehr die Unterlassung der Erfüllung des Gelübdes Pflicht sei. Die Kirchenobern haben das Recht, Gelübde zu lösen, aber von fünf Gelübden kann nur der Papst dispensiren, nämlich: 1) vom Gelübde ewiger Keuschheit; 2) vom Gelübde, in einen geistlichen Orden treten zu wollen; 3) von der Wallfahrt nach Rom; 4) von der Wallfahrt nach San-Iago di Compostella (s.d.); 5) von einem Kreuzzuge. – Die protestantische Kirche überläßt die Gelübde gänzlich dem Gewissen ihrer Bekenner, weil sie auf die Frömmigkeit nur als Gesinnung dringt und glaubt, daß alle Handlungen nur durch die fromme Gesinnung, mit welcher sie gethan werden, nicht aber an sich gottgefällig sind. Daher kann man nach den Grundbegriffen der protestantischen Kirche auch eigentlich nicht Handlungen geloben, sondern einzig Gesinnungen, sodaß es nur Ein wahres Gelübde gibt: mit allen Kräften der Gottähnlichkeit nachstreben zu wollen. Wer dieses Gelübde hält, und dasselbe legt jeder Christ am Altar ab, der wird auch der göttlichen Gnade theilhaftig.