Gastmähler und Mahlzeiten

[322] Gastmähler und Mahlzeiten. Wie der Geschmack das Bedürfniß und die Production aus dem Pflanzen- und Thierreiche, waren sie zu allen Zeiten und bei fast allen Völkern verschieden. Die Urvölker aßen geröstetes Fleisch, rohe Pflanzenkost und opferten dergleichen, als Göttermahlzeit, auch ihren Götzen. Der Grieche späterer Zeit opferte Herden und seine Prachtmahlzeiten waren groß in Hinsicht auf die Menge und den nöthigen Raum. Der frühere Römer aß einen gekneteten Mehlbrei, der spätere bewirthete seine Gäste mit einer Verschwendung, einem Erstaunen erregenden Ueberfluß und raffinirten Gaumenkitzel. Bei[322] den Griechen speiste jede Person an einem besondern Tischchen, das zugleich als Teller diente. Die Kost war derbes Fleisch und Gemüse, seltener Fische und Vögel. Bekannt ist die herbe spartanische Suppe. Man aß mit den Fingern und wusch sich vor und nach der Mahlzeit die Hände. Den vermischten Wein reichten Sclaven herum. Die Angesehenen erhielten größere Portionen und wurden durch den Tanz und Gesang der Sclavinnen unterhalten. Obst wurde wenig aufgetragen, man genoß Zwiebeln, Milch, Käse; Butter war noch unbekannt. Man aß gleich nach dem Aufstehen, 5 Stunden später noch ein Mal, und Nachmittags, nach Beendigung der Geschäfte, folgte die Hauptmahlzeit. Es gab damals schon gemeinschaftliche Schmäuse, wo jeder der Geladenen Etwas mitbrachte, oder wo Einer allein bewirthete, so wie Hochzeit- und Leichenessen. Bei den Israeliten standen die Gastmähler mit den Opfern und Bündnissen, so wie auch mit Familienereignissen, z. B. Geburtstagen, Hochzeiten etc., in Verbindung, und wurden meist nach Sonnenuntergang gehalten. Man wusch den Gästen bei ihrer Ankunft die Füße, salbte ihnen Bart und Haar, selbst auch die Kleider mit wohlriechenden Oelen und schmückte ihr Haupt mit Blumenkränzen. Wollte man ihnen besondere Ehre erweisen, so setzte man ihnen eine doppelte, ja fünffache Portion vor. Musik, Sprichwörter, Räthselaufgaben, Tanz belebte die Unterhaltung, die oft bis spät in die Nacht hinein dauerte. Beim Abschiede räucherte man die Gäste und besprengte sie mit köstlichem Wasser. Selten erschienen Frauen bei diesen Gastmählern, aber Sclavinnen warteten auf, und es war für jede Art der Bequemlichkeit gesorgt Die ältern Römer lebten sehr einfach und jeder Hausvater verzehrte seine mäßige Mahlzeit mit den Seinigen am Feuerherde vor den Familiengöttern (Laren). Die vornehmsten Staatsbeamten und Feldherren, die, wenn sie kein Amt bekleideten, das Land mit eigenen Händen bauten, genossen mit ihrem Gesinde an einem Tische ein ländliches Mahl, das sie selbst bereiteten oder ihnen die Frauen[323] auf's Feld brachten. Suppe und warmes Essen waren damals noch unbekannt, eben so das Brodbacken; zum Frühstück trank man Meth. Das zweite Frühstück war schon eine solide Mahlzeit, das Hauptessen bestand aber aus mehreren Gerichten, worunter Fleischspeisen die Hauptrolle spielten. Bei Einladungen wurde das Hauptgericht besonders angeführt. Der Nachtisch bestand aus Früchten und Honig. Man saß auf Ruhebetten halbliegend und hatte besondere Kleider bei Tische. Als Ueppigkeit, Reichthum und schlechte Sitten in Rom einzogen, übertrafen die Römer die schwelgerischen Griechen bei weitem in der Verschwendung bei der Tafel, und es wurde das Thier- und Pflanzenreich der ganzen damals bekannten Erde und des Meeres geplündert, um den verwöhnten Gaumen zu kitzeln. Man aß Pfauen, Fasanen, Vögel aus Ionien, indische Hühner, Nachtigallen, Krammetsvögel, Gänse, Enten, Fische, Austern und Desserts von Aepfeln, Birnen, Oliven, Feigen, Weintrauben, Pistacien, Datteln, Ananas, Confect etc. Mit ungeheuren Kosten legte man Fischbehälter an, in die man das Meerwasser leitete und darin Seefische fütterte und zähmte, so daß sie auf den Ruf des Wärters heranschwommen. Die Häuser, worin Vögel und Hafen gezogen wurden, waren Prachtgebäude; Obstkammern errichtete man mit der größten Zierlichkeit, Mäuse fütterte man in Fässern, Schnecken in Gehegen, so daß ein Schneckenhaus oft zu einer Größe wuchs, daß es 10 Quartiere faßte. Der Feinschmecker aß nur Pfauen aus Samos, Hühner aus Phrygien, Kraniche aus Melos, Thunfische aus Chalcedon, Hechte aus Passinus, Austern von Tarent, Muscheln von Chios, Seefische aus Rhodus und Cilicien, Nüsse aus Thasos, Datteln aus Aegypten, süße Eicheln aus Spanien etc. Ein Paar Trauben kosteten 13 bis 70 Thaler, ja sogar 111 Thaler, Krammetsvögel 15 Groschen, ja in einem Jahre wurden zu Triumphfestgelagen aus einem Vogelhause 5000 Stück, im Preise von 4165 Thalern verkauft. Den Prasser Lucullus kostete eine Mahlzeit für zwei Gäste 6000 Thaler. Dieser reiche[324] Mann hatte 5000 Prachtgewänder für Schauspieler vorräthig, welche seine Gäste unterhielten, und ließ 100,000 Eimer griechischen Weines unter das Volk vertheilen. Er erklärte, nebenbei gesagt, nur den für reich, der eine Armee aus eigenen Mitteln zu errichten im Stande sei, wie er gethan. – Apicius nannte das wilde Schwein das reichste Feld des Geschmackes, weil es fünfzigerlei Lekkerbissen an sich habe. Er reiste nach Afrika, um eine eigene Hummerart kennen zu lernen und vergiftete sich, als er noch reich war; denn der Mann, der Millionen in der Küche vergeudete und den einzelne Gastmähler so viel kosteten, als wenn ein Kaiser das ganze Volk speiste, glaubte Hungers zu sterben, als sein Vermögen etwas geschmolzen war. Man aß nicht mehr des Hungers, selbst nicht des Geschmackes wegen, sondern wegen anderer Nebenkitzel. Den Appetit beim Genusse einer Nachtigallenzunge reizte der Gedanke an ihren schönen Gesang. Ein Gericht war schön, wenn es die Quintessenz von ungeheuren Massen bildete. Apicius empfing seinen Bruder mit einem Gastmahle von 5000 der ausgesuchtesten Fische und 7000 Vögel. Vitellius ließ auf einer großen Schüssel, Schild der Minerva genannt, Lebern von Seefischen und Fasanen, Pfauengehirne, Zungen von Goldfasanen, Milch von Muränen (Fischart aus dem Mittelmeere, die man zuweilen mit Menschen- (Sclaven-) Fleisch fütterte) etc. auftragen. Der Mullus, ein Seefisch aus der Familie der Barsche, war beliebt, weil er im Sterben seine Farbe so schön veränderte. Die Gäste hatten ihn in Gläsern vor sich, weideten sich an der Marter und aßen ihn dann, wenn er in Fischroggenextract, nach der Angabe des Apicius, gestorben und zubereitet war. Crassus gab dem Volke auf 3 Monate Korn und speiste es an 10,000 Tischen mit einer solchen Reichlichkeit, daß täglich eine Masse Lebensmittel in den Fluß geworfen werden mußte, und der Wein, wirklich im Sinne des Wortes, strömte. Bei Cäsar's Gastmählern wurden immer neue Stücke servirt und die eben angeschnittenen weggetragen. Zahllose Sclaven[325] nach Nationen vertheilt, köstlich gekleidet, bedienten die Gäste; Sänger, Gelehrte, Schauspieler, Kämpfer, Tänzer und Tänzerinnen; fechtende Mädchen trugen zur Unterhaltung bei. Der Wein (wovon man 80 seine Sorten hatte) wurde mit prunkenden Zetteln, worauf Alter und Sorte verzeichnet war, versehen, kredenzt. Geübte Vorschneider tranchirten nach dem Takte der Musik mit heroisch-zierlichen Gesten, Knaben wischten den Abfall mit seinen Stoffen auf, die Toaste brachte der durch Würfeln bestimmte Gastmahlskönig aus. Man aß nicht um des Sättigens, sondern bloß um des Schmeckens willen. Vor dem Essen machte man sich Appetit durch Leibesübungen, Bäder, Anschauen Appetit erregender Gegenstände, hungrig-schmausender Sclaven etc. Man setzte die Laren und Salzfässer auf die Tafel, schmückte sich mit Kränzen und Kräutern, die den Rausch abhalten sollten etc. Frauenzimmer scheinen nur bei Hochzeitsmälern und im engern Familienkreise bei Tische gegenwärtig gewesen zu sein. Sie verließen das Gelage wenn die stärkeren Weinsorten unvermischt aufgetragen wurden, so wie heut' zu Tage in England. (S. d. A. englische Mahlzeiten.) Man schloß die Tafel mit Gebeten und Libationen, worauf der Wirth Geschenke austheilte und sie verlosen ließ. Man bat sich mit seinen Freunden selbst zu Gaste bei gastfreien Leuten, führte sans gêne Freunde ein und war bei Tische so ungenirt wie jetzt. Es gab reiche Freigelassene, bei welchen der Ritter und Patrizier nicht zu essen verschmähte, wenn ihre Tafel gut war. Sie suchten die Vornehmen an Luxus zu überbieten, um die Schmach der Herkunft zu bedecken. Wie bescheiden sind dagegen unsere Gastmähler, die in vielen Beziehungen wie alle unsere Sitten und Lebensverhältnisse noch ein Abglanz römischer Vorbilder sind. Apicius brauchte für sich allein täglich mehr, als das feinste englische Diner, dem die höchsten Notabilitäten beiwohnen, kostet, und unsre Bedienung bei Tische ist gegen das Heer der Köche, Sclaven, Sclavinnen und Kinder, die alle ihre eigenen Functionen hatten, [326] nicht zu vergleichen. Wir essen nicht mehr so derbe Kost wie z. B. deutsche Kaiser vor 600 Jahren, die sich mit ungenießbaren Reihern, Schwänen und Bärenfleisch auf ungedecktem Tische begnügten, sind aber in der Küche auch so weit gediehen, daß Milchreis nicht mehr eine fürstliche Leckerei und Zucker nicht eine große Seltenheit ist. Wir essen in Deutschland um 12 oder 1 Uhr, je nach den Geschäften, aber auch um 3 und 4 Uhr. Südländer, der großstädtische Franzose und der fleischliebende Engländer speist um 5, 6, 7 Uhr zu Mittag. Der Franzose liebt viele Gerichte, die in mehreren Gängen und zierlicher Zubereitung auf die Tafel kommen; er will Geschmackreiz in kleiner Menge und ist im Ganzen bei seinen Gastmählern mäßig, zierlich, heiter und trinkt wenig. In England liebt man große, in die Augen fallende Fleisch- und Fischspeisen ohne viele Entremets, ißt mehr und trinkt nach dem Abgange der Damen, viele und schwere Weine. Große politische Vorbereitungen, allgemeine Festlichkeiten, Ehrenbezeigungen etc. heiligt stets ein Gastmahl. Der Deutsche ist im Essen kein römischer Wüstling, der das Fremdartige versucht, wenn er es auch nicht verschmäht. Seine liebsten Gerichte sind seine heimathlichen; der Freund der Seefische heißt bei uns schon Gourmand. Der Franzose muß schon Trüffeln von Perigord, Pasteten aus Straßburg etc. haben. Indessen ist wie in den Sitten, so auch die deutsche Küche eine Mischung und Nachahmung fremder Kost, jedoch ohne Ausartung.

D.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 322-327.
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