[444] Empfangsgebäude der Eisenbahnen, auch Haupt-, Aufnahms- oder Stationsgebäude genannt, dienen zur Vermittlung des Personenverkehrs zwischen Bahn und Ort sowie zwischen verschiedenen Bahnlinien untereinander. Sie enthalten demnach alle hierfür erforderlichen Räume, die sich hauptsächlich in zwei Gruppen zusammenfassen lassen: Räume für das Publikum und solche für Dienstzwecke. Daran reihen sich unter Umständen als dritte Gruppe[444] noch Räume für Post und öffentlichen Telegraph, die jedoch in Deutschland wegen der, mit Ausnahme von Bayern und Württemberg, völlig getrennten Verwaltungen (Staats- bezw. Privatbahn und Reich) meist in besonderen Gebäuden oder Gebäudeteilen untergebracht werden.
Als Räume für das reisende und nichtreisende (begleitende und empfangende, Erkundigungen einziehende) Publikum sind auf mittleren und größeren Bahnhöfen zunächst erforderlich: ein Haupt- oder Eingangsflur mit den nötigen Fahrkarten- und Gepäcksschaltern für die Abreisenden (in Deutschland in der Regel auch für den Ausgang der Ankommenden dienend, auf großen Bahnhöfen aber besser gesondert), in Verbindung damit die Warteräume, in der Regel nach zwei oder drei Fahrklassengruppen getrennt, nebst Damen- und Nichtrauchzimmern, ohne oder mit Wirtschaftsräumen für Speisen und Getränke. Dazu kommen, zumal auf größeren Bahnhöfen, Wasch- und Umkleideräume sowie Abortanlagen, diese vom Flur und vom Bahnsteig (oft auch vom Damenzimmer) aus zugänglich, unter Umständen (Bahnsteigsperre) verdoppelt mit Scheidewand (auf kleineren Bahnhöfen pflegt man die Abortanlagen in Nebengebäuden unterzubringen). Geeignetenfalls treten weitere Räume hinzu, so für Fürstlichkeiten und andre hohe Herrschaften. Die Diensträume enthalten zunächst die Fahrkartenausgabe am Flur mit der erforderlichen Schalterzahl, daher bei großen Bahnhöfen wohl mitten im Flur in einem besonderen Einbau oder an den Wänden; sodann die Gepäckabfertigung, auf großen Bahnhöfen getrennt nach Annahme und Ausgabe (auf amerikanischen Bahnhöfen auch in besonderen Gebäuden). Daran schließen sich auf kleineren und mittleren Stationen inmittelbarer Verbindung, sonst auch getrennt davon die Räume für den gesamten Stationsdienst, als: Dienstzimmer für den Bahnhofsvorstand, für dessen Assistenten, für die Bedienung der Bahntelegraphen, unter Umständen noch besondere Kassenräume u.s.w.; endlich noch Räume zur Aufbewahrung von Handgepäck und auf kleineren Bahnhöfen damit vereint für den Hauswart (Portier), dem das Abrufen der Züge, das Zurechtweisen und allerlei sonstige Dienste für das Publikum obliegen. Diese Räume müssen leicht auffindbar, also vom Bahnsteig oder vom Flur aus zugänglich sein, werden bei getrenntem Ein- und Ausgangsflur auch wohl verdoppelt oder liegen zwischen beiden. Auf großen Bahnhöfen reihen sich an den Flur oder Bahnsteig ferner: Räume für Polizei, für Auskunft, für Geldwechsler, Dolmetscher, für Gepäckbeförderungsgesellschaften u.s.w. Anderseits sind auf manchen Stationen noch Räume erforderlich für den Aufenthalt und auch wohl für Uebernachtung von Zugpersonal, für Aufbewahrung und Vorbereitung von Beleuchtungs- und Heizvorrichtungen der Züge u.s.w.; solche werden je nach Umständen im Haupt- oder in Nebengebäuden untergebracht. Zu diesen Hauptgruppen kommen häufig noch Dienstwohnungen für den Bahnhofvorsteher auch wohl für mehrere Beamten, meist in Obergeschoffen; ebenso Mietswohnungen für den Bahnhofswirt sowie die erforderlichen Küchenräume, diese meist im Kellergeschoß, neuerdings aber auch (Münster u.a.) über den Warteräumen, um diese von Küchendunst freizuhalten und die Küche selbst besser beleuchten zu können.
Besondere Diensträume für die Zollbeamten und namentlich große Zollrevisionshallen werden erforderlich auf Grenz- oder Uebergangsstationen zwischen den Eisenbahnlinien verschiedener Zollgebiete. Diese Hallen müssen so angeordnet werden, daß alle die Zollgrenze überschreitenden Reisenden, sowohl ankommende als übergehende, gezwungen sind, sie mit ihrem Gepäck zu durchwandern und dasselbe der Zollprüfung unterwerfen zu lassen. Auf großen Bahnhöfen bilden endlich die Bahnhofs- oder Einsteighallen (s. Bahnhofshallen) ein wichtiges Zubehör der Empfangsgebäude, während auf weniger großen Stationen in der Regel nur einfache Bedachung des nächsten Bahnsteigs mit offener Langseite lieh dem Gebäude anschließt, auch wohl eine beiderseits offene Bedachung weiterer Bahnsteige hinzukommt.
Nach dem Gesagten ist der Bedarf an Räumen je nach Zweck und Bedeutung des Bahnhofs ungemein verschieden. Während auf großen Stationen viele Räume verdoppelt werden müssen, vereinigen sie sich auf kleinen Stationen mehr und mehr, so daß auf Haltestellen oft nur ein Warte- und ein Dienstraum übrigbleibt, manchmal sogar ohne Flur, mit einzigem Eingang vom Bahnsteig aus und mit Fahrkartenschalter im Warteraum oder am Bahnsteig, so namentlich bei Nebenbahnen. Aufgabe der Grundrißbildung für die Empfangsgebäude ist es, die in jedem besonderen Falle erforderlichen Räume nach ihrer Größe richtig zu bemessen und in solcher Weise aneinander zu reihen, daß alle vorbezeichneten Zwecke in tunlichst bester Weise erreicht werden. Vor allem müssen die für das abreisende und durchreisende Publikum bestimmten Räume (s. oben) und die einzelnen Abfertigungsstellen leicht auffindbar und ohne weite Wege erreichbar fein; dabei sollte auf Bahnhöfen mit lebhaftem Verkehr ein Gegenstrom der Zu- und Abgehenden möglichst vermieden werden, wie dies in England ziemlich streng durchgeführt wird. Insbesondere sind dann der Ein- und Ausgang zu den Bahnsteigen voneinander zu trennen und ist für großen Andrang eine zweckmäßige Teilung des Menschenstroms zu bewirken, was freilich zur Anlage wiederholter Eingänge, Schalter u.s.w. und damit zur Vermehrung des Beamtenpersonals, also zu erhöhten Ausgaben führt, behufs rascher Abfertigung großer Massen aber unerläßlich ist. Einen wesentlichen Einfluß übt hierauf, wie auf die Grundrißbildung überhaupt, die Frage, ob und an welcher Stelle eine Bahnsteigsperre mit Fahrkartenprüfung stattfinden soll, um das für die Beamten gefährliche Nachsehen der Fahrkarten während der Fahrt zu vermeiden und die Bahnsteige von Verkehrshinderungen durch nichtreisendes Publikum zu entlasten, damit sie ihren eigentlichen Zweck besser erfüllen. Sind die Bahnsteige geräumig genug, um die Sperre und Fahrkartenprüfung auf ihnen selbst mittels Schranken zu ermöglichen, so können die Zugänge von den Wartesälen und andern Räumen zum Bahnsteig geöffnet bleiben. Andernfalls muß der Weg von den Warteräumen zum Bahnsteig im Innern des Gebäudes zu besonderen Ausgängen geführt werden, die bei kleineren Anlagen[445] mit denen vom Hauptflur aus vereinigt werden. Dann führt also der Weg der Abreisenden vom Hauptflur zu den Wartesälen, von diesen wieder zurück über den Flur zum Bahnsteig. Alsdann kann von der sonst üblichen Regel, alle Warteräume unmittelbar an den Bahnsteig anzulegen, abgewichen werden. Eingangsflur und Durchgänge zum Bahnsteig werden in der Regel zwischen den beiden Hauptgruppen, den Warteräumen für das Publikum und den Diensträumen, liegen, weil beide keiner unmittelbaren Verbindung bedürfen, in sich jedoch meist nicht getrennt werden können, die Gruppe der Warteräume wenigstens dann nicht, wenn sie eine gemeinsame Wirtschaft erhalten sollen. In Deutschland und Oesterreich ist es im allgemeinen üblich, auch auf Stationen mit vielen Bahnrichtungen, einen gemeinsamen Eingangsflur für alle Abreisenden anzulegen und die Wege zu den Bahnsteigen erst von diesem aus oder erst in der Bahnhofshalle selbst zu trennen. In England dagegen zieht man vor, den Menschenstrom schon außerhalb des Gebäudes durch gesonderte Eingänge nach Hauptreiserichtungen zu trennen, um großen Zusammenstrom von Menschen von vornherein möglichst zu vermeiden. Die Flure und Wartezimmer werden dann wiederholt, letztere sind aber meist klein und werden wenig benutzt. Dadurch wird es möglich, mit wenig Raumbedarf für Gebäude und Bahnsteigbreiten große Verkehrsmengen zu bewältigen im Gegensatz zu dem sehr viel größeren Raumbedarf in Deutschland.
Im übrigen ist die Grundrißbildung ganz abhängig von der Art des Bahnhofs (s.d.). Als Hauptformen lassen sich in dieser Hinsicht folgende unterscheiden:
A. Seitenform: Gebäude an einer Langseite der Bahnsteig- und Gleisanlage; so namentlich für Zwischen- und kleinere Anschlußstationen. Auch bei größeren Anschluß- und Kreuzungsbahnhöfen, alsdann aber mit schienenfreien Zugängen zu den Zwischenbahnsteigen (Hannover, Straßburg, Bremen, Münder, Berlin-Charlottenburg, Berlin-Schlesischer Bahnhof u. v. a.).
B. Inselform: Gebäude zwischen den beiderseitigen Gleis- und Bahnsteiganlagen, und zwar a) Zugang von der Giebelseite zwischen den Gleisen; so namentlich bei Keilform, aber auch bei Inselform des Bahnhofs für Anschluß- und Kreuzungsstationen (Hameln, Halle, Duisburg u. v. a.); b) Zugang mittels schienenfreier Unter- oder Ueberschreitung eines Teiles der Gleise (Personentunnel) von der Langseite her (Görlitz u.a.), unter Umständen auch mit besonderem Vorgebäude (Hildesheim, Düsseldorf, Erfurt, Köln); c. Zugang auf beiderlei Art (Magdeburg u.a.).
C. Kopfform bei Endbahnhöfen, Gebäude quer vor Kopf der Gleise und Bahnsteige (in England sehr üblich mit Hotel in Obergeschossen), je nach Bedarf (in Deutschland meist) mit einem oder zwei Seitenflügeln, welche die Bahnsteighalle einschließen Frankfurt a. M., München, Potsdamer, Anhalter, Stettiner und Görlitzer Bahnhof in Berlin, Altona, Neubau Leipzig (1904 begonnen). Mit sehr vielen Gleisen und Bahnsteigen u.a. St. Lazare Paris, Centralblatt der Bauverwaltung 1886; ferner St. Louis und Boston (s.u.). Auch mit einem Mittelflügel zwischen zwei Hallen (Stuttgart, Florenz); statt dessen auch wohl nur zwei Seitengebäude durch Glaswand verbunden (Berlin, Lehrter Bahnhof).
D. Viaduktform: Dienst- und Warteräume ganz oder großenteils unter (oder über) den Gleisen und ihren Zwischensteigen, Zugang zu diesen durch Treppen, und zwar a) von einer Querstraße (Unterführung) aus (Berliner Stadtbahn: Bellevue, Jannowitzbrücke); b) von einer seitlichen Längsstraße aus (Berlin: Friedrichstraße, Börse); c) beides (Berliner Stadtbahn: Zoologischer Garten, Tiergarten, Lehrter Bahnhof, Alexanderplatz). Das Gebäude kann in solchen Fällen (a) auch über den Gleisen sich wieder zusammenschließen und höher geführt werden, oder es kann die Bahn im Einschnitt liegen und das Gebäude quer darüber gestellt werden mit Treppen zu den Bahnsteigen hinab wie beim Neubau des Hauptbahnhofes in Hamburg, im Bau 1905 (beides von Rincklake vorgeschlagen, Zentralblatt der Bauverwaltung 1883, S. 317). Ein bemerkenswertes Beispiel eines Inselbahnhofs mit tiefliegenden Kopfgleisen und hochliegenden Durchgangsgleisen bietet der Hauptbahnhof Dresden-Altstadt 1898 (s. Civilingenieur 1895 und Zeitschr. d. Ver. deutscher Ing. 1898). Bis in die neueste Zeit wurden die Empfangsgebäude in England und Nordamerika fad nur als Nützlichkeitsbauten behandelt und recht einfach gehalten. Im übrigen Europa und namentlich in Deutschland wird dagegen von reher viel Wert gelegt auf gleichzeitige reiche Ausstattung. Neuedens wird jedoch auch in England und Amerika auf hübsche Ausstattung der Stationen mehr Wert gelegt (New-Yorker Untergrundbahn, St. Louis u.a.; ferner Marylebone-Station der Gr. Zentralbahn in London).
Literatur: Rölls Encyklopädie des Eisenbahnwesens, »Empfangsgebäude«; Schwabe, Englisches Eisenbahnwesen 1877; Kemmann, Verkehr Londons 1892; Wulff, Das Eisenbahnempfangsgebäude, Leipzig 1881; Grüttefien, Preußische Bahnhöfe, Zentralblatt d. Bauverwaltung 1888; Ebend. 1899 (Hamburg und Altona); 1902 (Metz); 1900 (Boston); 1904 (Leipzig); Zeitschr. f. Bauwesen 1888 (Frankfurt); 1893 (Halle); 1894 (Düsseldorf und Dresden); 1900 (Potsdamer Bahnhof Berlin); 1898 (Köln); 1903 (Stettiner Bahnhof Berlin); Deutsche Bauztg. 1896 (Dresden); 1899 (St. Louis); 1900 (Leipzig); Eisenbahntechnik der Gegenwart, Abt. Bahnhofsanlagen, Wiesbaden 1899; Humbert, Traité complet des chemins de fer, Paris 1891.
Goering.
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