Feuchtigkeit der Luft

[758] Feuchtigkeit der Luft. Die atmosphärische Luft enthält stets Wasserdampf, und zwar meist weniger, als sie bei der herrschenden Temperatur aufzunehmen vermag. Wird ihr bei unveränderter Temperatur durch Verdunstung von Wasser mehr Wasserdampf zugeführt oder sinkt die Temperatur bei gleichbleibendem Wassergehalt, so kann in beiden Fällen nach einer gewissen Zeit Sättigung der Luft mit Wasserdampf eintreten. Bei weiterer Dampfzufuhr oder Temperaturerniedrigung tritt dann Nebelbildung ein, indem sich das Wasser in der Luft in Form von seinen Kügelchen ausscheidet. Jeder Temperatur entspricht eine mit wachsender Temperatur zunehmende größte Menge in der Luft enthaltenen Wasserdampfes, der sich dann im Maximum seiner Spannkraft befindet oder seinen Sättigungsdruck besitzt. Für Temperaturen unter Null ist die Maximalspannung des Wasserdampf es, der sich mit Eis in Berührung befindet (Eisdampf), etwas (bis zu 0,2 mm) geringer als bei flüssigem Wasser. Somit liegt der Taupunkt, diejenige Temperatur, bei der in gegebener Luft die Sättigung eintritt, für gewöhnlich unterhalb der Lufttemperatur, um so tiefer, je trockener die Luft, und fällt erst bei der Sättigung mit dieser zusammen.

Da die Wasserdämpfe nahezu das Mariotte-Gay-Lussacsche Gesetz befolgen, so läßt sich das Gewicht des in feuchter Luft von der Temperatur t bei dem Luftdruck B enthaltenen Wasserdampfes von der Spannung e leicht berechnen. Bei 760 mm Druck und 0° wiegt 1 l[758] trockener Luft 1293 mg, bei B mm und C. B/760 1293/1 + αt mg, wo α = 1/273 = 0,003665 (der Ausdehnungskoeffizient der Gase); Wasserdampf wiegt bei gleichem Druck und gleicher Temperatur 0,622 mal so viel wie trockene Luft, und demnach beträgt das Gewicht des unter seinem eignen Druck e in der feuchten Luft stehenden, in 1 l enthaltenen Wasserdampfes


Feuchtigkeit der Luft

In der Meteorologie wird der Wassergehalt der Luft nicht durch das Gewicht, sondern durch den in Millimeter Quecksilber Höhe gemessenen Druck e des Wasserdampfes angegeben, welche Dampfspannung man als absolute Feuchtigkeit (seltener Dunstdruck) bezeichnet. Da der Koeffizient von e in vorstehendem Ausdruck nicht weit von der Einheit entfernt ist, so geben nahezu (rein zufällig) die Zahlen für die absolute Feuchtigkeit auch das Gewicht des Dampfes pro Liter in Milligramm an. Beistehende Tabelle (entnommen den Tables météorologiques internationales, Paris 1890) stellt für gesättigte Luft die Dampfspannungen und Gewichtszahlen nebeneinander.

Als Sättigungsdefizit [2] bezeichnet man in der Meteorologie den Unterschied zwischen der wirklichen absoluten Feuchtigkeit der Luft und der Maximalspannung des Dampfes von der Temperatur der Luft, während relative Feuchtigkeit das Verhältnis der vorhandenen absoluten Feuchtigkeit zu dieser Maximalspannung bezeichnet; sie wird in Prozenten ausgedrückt. Wenn beispielsweise bei 20° die absolute Feuchtigkeit 10,2 mm beträgt, so berechnet sich das Sättigungsdefizit zu 7,16 mm, die relative Feuchtigkeit der Luft zu 59%. Bezold hat in der Meteorologie die Bezeichnung »spezifische Feuchtigkeit« eingeführt, die angibt, wieviel Kilogramm Wasser in 1 kg feuchter Luft enthalten sind und sich nach der Formel 0,622e/B–0,378e berechnet, wo B und e die obige Bedeutung haben. Sinkt die Temperatur bei schneller Abkühlung rasch unter den Taupunkt, so tritt dichter Nebel ein, und die Luft vermag in solchen Fällen wie auch bei ihrer Erfüllung mit Eiskristallen an Gewicht mehr Wasser zu enthalten, als der Maximalspannung nach obiger Formel entsprechen würde, wobei indessen die relative Feuchtigkeit den Wert 100% offenbar nicht zu überschreiten vermag.

Täglicher Gang der Feuchtigkeit: In der Ebene, im Innern der Kontinente besitzt die absolute Feuchtigkeit im Sommer in der täglichen Periode zwei Maxima und zwei Minima. Vom tiefsten Punkt gegen Sonnenaufgang steigt die absolute Feuchtigkeit bis gegen 8–10 Uhr, sinkt dann bis gegen 2–4 Uhr und steigt darauf bis zu ihrem zweiten Maximum am Abend gegen 9–10 Uhr, um darauf bis zum frühen Morgen zu sinken.

Die Abnahme gegen Mittag hin findet ihre Erklärung in der Entwicklung aufsteigender Luftströme, welche die Feuchtigkeit aus den unteren Luftschichten nach der Höhe fortführen. Dementsprechend wird im Winter, wo die Wärmewirkung der Sonne eine geringere ist und zu aufsteigenden Strömen weniger Anlaß gibt, die tägliche Periode eine einfache, die sich dem Gang der Temperatur anschließt. Die gleiche einfache tägliche Periode finden wir aber auch im Sommer an den Meeresufern, auf Inseln, an den Ufern von Landseen, in Flußtälern, überall wo starke Verdampfung von Wasser stattfindet. Die relative Feuchtigkeit verläuft im allgemeinen entgegengesetzt wie die Temperatur, abnehmend bei steigender, zunehmend bei linkender Temperatur.

Jährlicher Gang der Feuchtigkeit [3]: Allgemein finden wir die größere absolute Feuchtigkeit in den warmen Monaten, niedrigere in den kalten Monaten, und engeren Anschluß an den jährlichen Gang der Temperatur dort, wo genügender Zufluß von Feuchtigkeit stattfindet, also in der Nähe größerer Wasserflächen, während die absolute Feuchtigkeit auf Ebenen im Innern der Kontinente gegen die Temperatur im Gange zurückbleibt. Die relative Feuchtigkeit besitzt hier ihre niedrigsten Werte dementsprechend im April und Mai, in der Nähe von ausgedehnten Wasserflächen dagegen mit dem wärmsten Monat zusammenfallend, während die größten Werte der relativen Feuchtigkeit auf die kalte Jahreszeit fallen. Da in Europa die weltlichen Winde feuchte Luft vom Meere herbeiführen, die örtlichen dagegen dem trockenen Kontinent entflammen, ist der Feuchtigkeitsgehalt der Luft außer von der Temperatur und Höhenlage wesentlich abhängig von den herrschenden Winden, der Lage eines Ortes gegen die Gebirge u.s.w.[759]

Die vertikale Verteilung des Wasserdampfes in der Atmosphäre zeigt wie die der Temperatur häufig Abweichungen von der zu erwartenden Abnahme mit wachsender Höhe. Für die Aenderung des Dampfdruckes mit der Höhe in der freien Atmosphäre berechnet Süring


Feuchtigkeit der Luft

wo h die Höhe in Kilometern und eh bezw. e0 die Dampfspannung in h km Höhe bezw. am Erdboden als Quecksilbersäulenhöhen gemessen bedeuten.

Indem bei der Verdampfung Wärme gebunden wird, die später bei der Kondensation in der Wolkenregion wieder frei wird, gewinnt der Wassergehalt offenbar durch die Winde großen Einfluß auf die Verteilung der Wärme in der Atmosphäre, wie auch die Wolken durch Verhinderung der Erwärmung durch Einstrahlung und der Erkaltung durch Ausstrahlung nach dem Weltenraum eine große klimatologische Bedeutung besitzen. Auf die Entstehung von Nebel in den untersten Luftschichten, sobald die Abkühlung der Luft in klaren Nächten bis zum Taupunkt fortgeschritten ist, gründet sich die Vorhersage von Nachtfrost mittels der am Abend oder Nachmittag beobachteten Luftfeuchtigkeit.


Literatur: [1] Sprung, A., Lehrbuch der Meteorologie, Hamburg 1885. – [2] Wild, H., Ueber den tägl. und jährl. Gang der Feuchtigkeit in Rußland; Meyer, Hugo, Ueber den jährl. Gang der Luftfeuchtigkeit in Deutschland, Meteorol. Zeitschr. 1885. – [3] Hann, J., Handbuch der Klimatologie, Stuttgart 1883; Woeikof, A., Die Klimatologie der Erde, Jena 1887; Tyndall, J., Das Wasser in seinen Formen als Wolken und Flüsse, Eis und Gletscher, Leipzig 1873; Kaminsky, A., Der jährliche Gang und die Verteilung der Feuchtigkeit der Luft in Rußland, VI. Supplementband zum Repertorium für Meteorologie, Petersburg 1894; Süring, Die Verteilung des Wasserdampfes, Wissenschaftliche Luftschiffahrten, Bd. 3, Braunschweig 1900; Mazette, Zur täglichen Periode und Veränderlichkeit der relativen Feuchtigkeit, Sitzungsbericht der Wiener Akademie, März 1899, Bd. 108.

Großmann.

Feuchtigkeit der Luft
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 758-760.
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