Kerzen [1]

[440] Kerzen sind Beleuchtungsmittel, bei welchen sich die zur Verbrennung dienenden Materialien in fester Form um ein Bündel kapillarer Gespinstfasern, den Docht, befinden. Als Materialien zur Herstellung von Kerzen dienen hauptsächlich Talg, Wachs, Stearin und Paraffin; zum Docht verwendet man jetzt ausschließlich Baumwolle. Man unterscheidet gedrehte und geflochtene Dochte. Letztere werden allgemein für Stearin- und Paraffinkerzen verwendet, während erstere noch vielfach für Talg- und Wachskerzen benutzt werden.

Die Talgkerzen werden entweder gezogen oder gegossen. Ersteres geschieht, indem man die Dochte wiederholt in das geschmolzene Fett eintaucht, bis die gewünschte Stärke erlangt ist; die Kerzen erhalten dabei eine mehr oder weniger unregelmäßige Form. Zum Gießen der Kerzen verwendet man Formen aus einer Legierung von Zinn und Blei, in deren Achse der Docht ausgespannt ist. Der Talg darf nicht zu heiß vergossen werden, da sich sonst die Kerzen nicht leicht aus der Form nehmen lassen.

Für die Verarbeitung des Wachses zu Kerzen sind drei verschiedene Verfahrungsarten gebräuchlich: das Anschauen oder Angießen des Wachses, das Kneten und das Gießen.

Beim Anschütten oder Angießen hält ein Arbeiter den über einer Pfanne aufgehängten Docht in der linken Hand und dreht ihn, während er mit einer Kelle in der Rechten ihn mit geschmolzenem Wachs begießt. Die Dochte hängen zu diesem Zweck in Häkchen an einem horizontalen, um seine Achse beweglichen Eisenreif, durch dessen Umdrehung die einzelnen Dochte über das Schmelzgefäß bewegt werden. Beim ersten Angießen wird das Wachs[440] etwas heiß genommen, während beim nachfolgenden Angießen die Temperatur nur so hoch gehalten wird, daß immer noch einige ungeschmolzene Wachsschnitte in dem geschmolzenen Wachse bleiben. Das obere Ende des Dochtes zieht man durch eine Blechhülse, damit es vom Wachse frei bleibt. Nachdem die Dochte, welche an dem Reif hängen, bis zu etwa einem Drittel des zu gebenden Gewichtes angegossen sind, bringt man sie auf eine Marmortafel oder eine möglichst glatt gehobelte Holztafel, um durch Rollen mit einem glatten Brett die Unebenheiten auszugleichen. Der Rolltisch wird fortwährend durch Wasser naß gehalten. Nach dem Rollen werden die Kerzen wieder an den Reif gehängt und von neuem angegossen. Da sich beim ersten Angießen der obere Teil der Kerze durch das hier schneller erkaltende Wachs etwas dicker als der untere Teil gestaltet, so setzt man beim zweiten und dritten Angießen die Gießkelle etwas tiefer an. Das Angießen und Rollen wird abwechselnd so lange fortgesetzt, bis die Kerzen die gewünschte Stärke und zugleich eine runde Oberfläche haben. Nach dem letzten Rollen werden die Kerzen unten abgeschnitten und 8–14 Tage zum Bleichen an die Luft gehängt. – Da das Angießen mehrerer Fuß langer Dochte schwierig ist, werden die großen Kirchenkerzen nicht gegossen, sondern durch Kneten bereitet. Der mit heißem Wachs getränkte Docht wird aufgespannt, das Wachs in heißem Wasser so lange durchgeknetet, bis es keine harten Knöllchen mehr hat, dann zu länglichen Streifen geformt und diese um den Docht gewickelt. Nachher werden die Kerzen auf dem Rolltisch rund gerollt.

Das Gießen der Wachslichter erfolgt ähnlich wie bei den Talglichtern, nur mit dem Unterschied, daß der Docht vor dem Einziehen in die Form mit Wachs getränkt wird, damit keine hohlen Stellen entstehen. Da sich das Wachs wegen seiner Klebrigkeit viel schwieriger aus den Formen entfernen läßt als Talg, so muß man die Formen vor dem Herausziehen in heißem Wasser oder Dampf wärmen.

Die Wachsstöcke werden aus einem langen Dochtstück gefertigt, das durch geschmolzenes Wachs hindurchgeführt wird. Der durch Wachs gezogene Docht geht dann durch Zieheisen mit kreisrunden Oeffnungen und wird hinterher aufgerollt [2].

Stearin- und Paraffinkerzen werden stets gegossen; bei beiden Kerzensorten ist erforderlich, daß die Formen zuvor mit heißem Wasser oder Dampf angewärmt werden und nach dem Gießen eine starke Abkühlung erfolgt. Die geschmolzene Masse des Stearins läßt man gewöhnlich unter Umrühren auf 40–45° C. erkalten, bis sie zu einer rahmdicken, milchigen Flüssigkeit geworden ist, welche ein Gemenge von zahllosen sehr kleinen Kristallen in einer eben noch flüssigen Grundmasse vorstellt, die bei mäßiger Abkühlung alsbald steht. Das Paraffin dagegen wird vollkommen klar und mit höherer Temperatur als Stearin vergossen, weil die Kerzen sonst nicht aus den Formen gehen [3].

Zum Gießen der Stearin- und Paraffinkerzen bedient man sich heute meist der sogenannten amerikanischen Gießmaschinen, wie sie Figur zeigt. Die Formen, hundert an der Zahl, stehen in zwei Doppelreihen in einem geschlossenen Karten T1, T2 in welchem sie im oberen und unteren Boden vollständig abgedichtet sind, sich aber einzeln aufs bequemste auswechseln lassen. Die einzelne Form ist eine an beiden Seiten offene Röhre. In dieser schiebt sich ein Piston, welches die Form für die Spitze der Kerze bildet und an einem schwachen eisernen Rohre befestigt ist. Im tiefsten Stande schließt das Piston die etwas konische Form vollständig ab. Sämtliche Pistons, welche mittels der langen Röhren in Zahnstangen geschraubt sind, werden durch eine Kurbel K mit Getriebe G und Zahnstange auf und nieder bewegt. Unten in der Maschine befindet sich der verschließbare Dochtkasten D. Er enthält 100 Dochtspulen, deren Dochte durch den Deckel in die Pistonröhrchen und durch die Pistons selbst hindurchgehen und in letzteren mittels einer einfachen Vorrichtung dicht abschließen, so daß kein Tropfen der flüssigen Masse durchlaufen kann. Ueber den beiden Trögen T1 T2, welche oben die Doppelreihe der Formen einschließen, befindet sich ein Apparat A, der Klemmer genannt, welcher dazu dient, die fertigen, aus den Formen gehobenen Kerzen zu halten. Dieser Klemmer läßt sich mit Hilfe von Scharnieren zur Seite der Maschine umlegen, wo er auf Stützen S zu ruhen kommt. Er wird durch kleine Kurbeln und Exzenter geöffnet und geschlossen. Die an der Maschine befindlichen Hähne sind mit den entsprechenden Rohrleitungen zu versehen. Der große horizontal angebrachte Durchgangshahn H dient zum Einlassen des Kühlwassers und ist mit der Wasserleitung zu verbinden.[441] Ein zweiter an derselben Seite sich befindender Hahn h ist, je nachdem man mit heißem Wasser oder Dampf erwärmen will, mit einem Heißwasserreservoir oder mit der Dampfleitung in Verbindung zu setzen. An den Schnabelhahn V, welcher zum Entleeren des Kastens vom Wasser bestimmt ist, setzt man ein Schlauch- oder Rohrstück an. Eine oben an der Seite befindliche Flansche wird mit einem ebenfalls abwärts führenden, aber schwächeren Rohre versehen, durch welches beim Einlassen von Dampf oder Wasser die Luft aus dem Kasten entweichen, auch das Kühlwasser zur Herstellung eines kontinuierlichen Durchflusses überlaufen kann. Um die Maschine mit Dochten zu beziehen, werden letztere möglichst gleichmäßig und ohne Knoten auf Rollen von Holz oder Blech gespult. Die vollen Spulen bringt man auf die Stäbe im Dochtkasten. Um die Dochte in die Formen einzuziehen, legt man den Klemmer zurück, dreht mittels der Kurbel die Pistons so hoch, daß sie über die Formen herausstehen, führt die Dochtnadel durch das Piston hindurch, bis sie unterhalb des Röhrchens hervorreicht, wo man den Docht in das Nadelöhr ein- und die Nadel zurückzieht. Sind sämtliche Dochte eingezogen, so legt man den Klemmer über die Maschine und knüpft die Dochte an quer über die Klemmeröffnung gelegte Hölzchen (später halten die in den Klemmern steckenden Kerzen die Dochte oben fest). Beim Niederlassen der Pistons spannen sich die Dochte entsprechend an. Unterhalb der beiden Zahnstangen befinden sich Stellschrauben, mittels deren man die Tiefstellung der Pistons fixiert. Die Maschine ist zum Gusse vorbereitet. Es erfolgt sodann das Anwärmen durch heißes Wasser oder Dampf und darauf das Eingießen des Stearins. Man gießt so viel ein, daß sich nicht allein die Formen füllen, sondern auch die Masse noch ca. 2 cm hoch in den Trögen steht, letzteres wegen des Nachsaugens der Kerzen. Sofort nach dem Eingießen läßt man das Kühlwasser einströmen. Sobald die Gußdecke über den Formen erkaltet ist, wird sie mit einem besonders konstruierten Messer ausgestochen. Die Kerzen werden dann durch Drehung der Kurbel aus den Formen gehoben, wobei sich der Docht an den Spulen nachzieht. Die Kerzen schieben sich durch die geöffneten Klemmer und werden, im höchsten Stande angelangt, dort festgespannt. Hierauf dreht man die Kurbel zurück, bis die Pistons die Formen unten schließen. Dann erwärmt man wieder und gießt von neuem. Ist dann die Decke wieder erkaltet, so werden die Dochtenden zwischen den oben im Klemmer steckenden Kerzen und dem Gußkopf mit Hilfe eines an einem Stiele befindlichen dreieckigen Messers abgeschnitten und die Klemmer mit den Kerzen zur Seite der Maschine umgelegt. Zum Tragen derselben dienen die Stützen S. Durch Oeffnen der Klemmer läßt man die Kerzen in untergehaltene Kästen fallen [4].


Literatur: [1] Bolley, Beleuchtungswesen, Braunschweig 1862, S. 116; Deite, Industrie der Fette, Braunschweig 1878, S. 310; Schädler, Technologie der Fette, 2. Aufl., Leipzig 1892, S. 1270. – [2] Bolley, a.a.O., S. 136; Deite, a.a.O., S. 320. – [3] Bolley, a.a.O., S. 122. – [4] Deite, Seifenfabrikant, Berlin 1888, S. 499.

Deite.

Kerzen [1]
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 440-442.
Lizenz:
Faksimiles:
440 | 441 | 442
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