Kirche

[485] Kirche, ein Gebäude, das für den öffentlichen Gottesdienst der Christen bestimmt ist.

In den ersten Zeiten des Christentums konnten die Versammlungen der Gläubigen nicht öffentlich stattfinden, es wurden vielmehr hierzu meist die säulengestützten Festsäle (Oeci) in den Wohnhäusern reicher Christen benutzt, Räume, zu denen noch das Atrium hinzugezogen wurde. Zu den Zeiten der Christenverfolgung wurden die Gottesdienste an geheimen Orten, so z.B. in den unter der Erde liegenden Katakomben (s.d.) bei Rom, abgehalten. Als die Verfolgungen aufhörten – etwa vom 2. Jahrhundert an –, wurden besondere Gebäude als Kirchen errichtet, die in einer dem Gottesdienst entsprechenden Form ausgebildet waren. Als dann das Christentum zur Staatsreligion erhoben wurde, hatte man zunächst die Tempel zu Kirchen umgestaltet, was sich jedoch in der Folge als untunlich erwies, weil jene, nur zur Aufstellung des Götterbildes bestimmt, zur Aufnahme der ganzen Gemeinde unzureichend waren, so daß man für große Gemeinden die größten öffentlichen Gebäude, d.h. die alten Markt- und Gerichtshallen, die sogenannten Basiliken (s.d.) hierzu erwählte. Neben diesen kamen noch die Taufkirchen – Baptisterien – meist als vieleckige oder Rundbauten zur Ausführung, welche zur Amtshandlung der Taufe dienten und meist in der Nähe der großen Haupt- und Bischofskirchen oder Kathedralen ihren Platz fanden. – Dies gilt für die Entwicklung in den Ländern des weströmischen Reiches, während im oströmischen oder griechischen Teile sich eine andre Kirchenform herausbildete, bei welcher über viereckiger Grundform sich Kuppeln erhoben, die, oft mehrfach aneinander gereiht, Innenräume von größter Wirkung bildeten. Ihre höchste Ausbildung fand diese Bauart in der Sophienkirche zu Konstantinopel, erbaut von Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert (s. Kuppel), und erfolgte im Kultur- und Machtbereich der späteren Nachfolger nach jenem Vorbild noch mancherlei Nachahmung. – Ueber die weitere Entwicklung des Kirchenbaus in den Zeiten des Mittelalters s. Basilika, Bd. 1, S. 557, sowie die einschlägige Literatur. In den Zeiten der Renaissance, d.i. im 15. und dem Anfange des 16. Jahrhunderts, entstand in Italien eine neue Richtung im Kirchenbau, wobei außer dem Langhaus noch eine dominierende Kuppel zur Geltung kam, eine Bauform, die an Weiträumigkeit und gewaltiger Wirkung des Innenraums alle früheren Kirchenbauten übertraf. Von da aus verbreitete sich dieser neue Kirchenstil nach dem übrigen Europa; er verdrängte allmählich überall die mittelalterliche Bauweise und fand selbst in den Ländern der protestantischen Religion Eingang, wo vorher meistens die früher katholischen Kirchen den neuen Zwecken dienstbar gemacht und seltener ein eigner Neubau errichtet worden war. – Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts trat hierin ein Umschwung ein, wo in Zeiten der romantischen Richtung die alten unvollendeten Dome ihren Ausbau erfuhren und überhaupt ein Wiederaufleben der mittelalterlichen Baustile für den Kirchenbau Platz griff. Während dies für den katholischen Kirchenbau als ein natürlicher Vorgang anzuerkennen war, trat zugleich für den protestantischen Kirchenbau die Prinzipienfrage in den Vordergrund, diese als Predigtkirche, d.h. nicht als Langbau mit Choranlage, sondern in zentraler Anordnung mit Emporen zu gestalten, um so eine tunlichste Annäherung der Kirchgänger an Altar und Kanzel zu bewirken. Ebenso wurde eine Beschränkung des Raumes angestrebt, um so für den Prediger die Möglichkeit zu geben, daß seine Stimme auch von den entfernteren Kirchgängern gehört werde. Anderseits sollten weitere Räume der Kirche angefügt werden, wie z.B. Saal für den Konfirmandenunterricht u. dergl. oder große Orgelbühne für verbesserten Kirchengesang. – Abweichend hiervon sind in England und Amerika die Gotteshäuser der Sekten ausgestattet, welche, auf eine möglichst große Aufnahmefähigkeit bei den Gottesdiensten berechnet, für mehrere tausend Zuhörer erbaut werden. Als Anforderungen, welche an unsre neuzubauenden Kirchen gemacht werden, sind folgende festzustellen:[485]

A. Im allgemeinen. Eine Kirche soll wenn möglich frei und auf allen Seiten von andern Gebäuden entfernt stehen; auch wähle man tunlichst einen erhöhten oder weithin sichtbaren Platz. Die Grundform sei ein längliches Viereck, ein Vieleck oder Kreuzform. Der Altar stehe nach Osten; diesem gegenüber sei der Haupteingang. Die Kanzel stehe so, daß man die Predigt überall in der Kirche hören kann. Die Orgel erhält ihren Platz über dem Haupteingang oder hinter Altar und Kanzel. Eine äußere Vorhalle (oder Vorhof) sollte nicht fehlen, um den Lärm der Straße fernzuhalten. Der Bau ist würdig und monumental durchzuführen.

B. Im einzelnen. a) Für die Grundrißanlagen der katholischen Kirchen wird die Basilika (s.d.) mit hohem Mittelschiff und zwei niederen Seitenschiffen die angemessenste sein, mit einem Chor für den Hochaltar als Schlußpunkt, daneben Sakristei und Paramentenkammer, eventuell einigen Seitenkapellen für den Taufstein und Nebenaltäre. Bei größeren Kirchen kommt ein Querschiff hinzu (Fig. 1). b) Für protestantische Kirchen empfiehlt sich mehr eine zentrale Anlage, also ein kurzes Langhaus mit zwei Querschiffflügeln, mit seitlichen Emporen (s.d.), Fig. 2, der Altar in der Mittelachse, davor der Taufstein, dahinter die Kanzel. Die nach hinten ansteigenden Emporen sollen an der Brüstung 3 m über dem Kirchenboden sich erheben und etwa drei Achtel der Gesamtzahl der Kirchgänger aufnehmen, c) Die Größe des Kirchenraums wird bestimmt nach der Anzahl der Kirchgänger, wobei auf den Kopf etwa 0,6 qm zu rechnen sein wird. Zur Aufnahme derselben dienen die Kirchenstühle (Entfernung von Bank zu Bank 0,85–0,90 m), welche zu beiden Seiten des 1,5 m breiten Mittelgangs aufgestellt sind und etwa 10–12 Plätze enthalten. Zu beiden Seiten vermittelst schmälere Seitengänge (etwa 1 m breit) den Zugang, d) Der Fußboden im Chorraum und den Gängen ist aus Steinplatten oder Terrazzo, unter dem Gestühl in Holz durchzuführen, e) Die Zugangstüren sind in genügender Zahl anzubringen, so daß auf 100 Kirchgänger 1 m Breite kommt. Die Türflügel sollen sich nach außen öffnen. Wo keine Vorhalle vorhanden, sind Windfänge anzubringen, f) Die Treppen zu Emporen und Orgel sind feuersicher, in geraden Läufen und bequemer Steigung anzuordnen, am besten mit gesondertem Ausgang, g) Von einer guten Fensteranlage hängt die günstige Lichtwirkung des Innenraums ab; gedämpftes Licht durch farbige Fenster ist erwünscht. Am besten wirkt hohes Seitenlicht im Mittelschiff, wobei dann Fenster in den Seitenschiffen entbehrlich sind; ebenso sind im Rücken des Altars oder der Kanzel keine Fenster anzuordnen, h) Die Beheizung der Kirche und der Nebenräume, z.B. der Sakristei, ist wünschenswert. Eine zentrale Heizung ist derjenigen durch Einzelöfen vorzuziehen, i) Durch Anordnung eines oder mehrerer Türme (s. Glockenturm) wird die äußere Erscheinung des Kirchenbaues wesentlich gehoben; hinsichtlich der Stellung zur Kirche entscheiden zumeist lokale Verhältnisse. Die Stellung über oder neben dem Haupteingang ist die gewöhnliche, doch kann auch eine solche neben dem Chor von bester Wirkung sein. Ost auch erhebt sich ein Vierungsturm (s.d.) über der Kreuzung von Mittel- und Querschiff. k) Die äußere und innere Gestaltung des Kirchenbaues wird unter Ausschluß moderner Bau- und Kunstformen in einer würdigen und monumentalen Bauausführung zu erreichen sein durch eine harmonische und stilgerechte Anwendung der altchristlichen Bauweise, der mittelalterlichen Baustile oder des Renaissancestils in seinen verschiedenen Epochen.


Literatur: [1] Hübsch, H., Die Architektur, Stuttgart 1847 – [2] Entwürfe von Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern der Kgl. preuß. Oberbaudeputation, Potsdam 1852. – [3] Adler, Kirchen, Baukunde des Architekten, 2. Teil, Berlin 1884, S. 232 ff. – [4] Viollet le Duc, Dictionnaire raisonnée de l'architecture française etc., Paris 1860, Bd. 1, S. 166 ff., Artikel Architecture religieuse; Bd. 2, S. 279 ff., Cathédrale. – [5] Neumeister u. Häberle, Deutsche Konkurrenzen, Leipzig.

Weinbrenner.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 485-486.
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