Zeit

[976] Zeit, hier das aus astronomischen Beobachtungen gewonnene Maß für die Aufeinanderfolge von Ereignissen.

Ortszeit ist ganz allgemein die Angabe einer richtig gehenden Uhr. Nicht an allen Orten der Erde herrscht im gleichen Moment dieselbe Zeit, sondern diese unterscheidet sich nach der zwischen den einzelnen Orten bestehenden Längendifferenz; die Längendifferenz gibt direkt den Unterschied der Ortszeiten an. Orte, die auf gleichem Meridian liegen, haben die gleiche Ortszeit. Die Zeitangaben richten sich entweder nach der Stellung der Sonne oder der der Fixsterne, und man unterscheidet demgemäß Sonnenzeit (als wahre und mittlere Sonnenzeit) und Sternzeit. Als wahre Sonnenzeit bezeichnet man direkt den Stundenwinkel des Sonnenzentrums, d.h. die Anzahl der Stunden, Minuten und Sekunden, welche im Beobachtungsmoment seit dem Durchgang des Sonnenzentrums durch den Meridian des betreffenden Ortes verflossen sind. Die Sternzeit in einem bestimmten Moment ist dagegen gleich dem Stundenwinkel des Frühlingsanfangspunktes. Im bürgerlichen Leben rechnet man allgemein nach Sonnenzeit, in der Astronomie aber vielfach nach Sternzeit. Da die Erde sich aber nicht in einem Kreis um die Sonne bewegt, sondern in einer Ellipse, so muß sie gemäß dem zweiten Keplerschen Gesetze mit ungleichförmiger Geschwindigkeit in ihrer Bahn fortschreiten; daher kommt es, daß die wahre Sonnenzeit kein gleichförmiges Zeitmaß sein kann. Die einzelnen aufeinanderfolgenden Meridiandurchgänge der Sonne werden daher nicht um gleiche Zeitdifferenzen auseinander liegen, ihre Vergleichung mit künstlichen Zeitmessern, den Uhren, die zweckmäßigerweise nur für gleichförmigen Gang gebaut werden können, wird daher nicht unmittelbar möglich sein, und Unterabteilungen würden sich nur schwer angeben lassen. Man denkt sich daher an die Stelle der wahren Sonne eine andre, fingierte Sonne gesetzt, die ihren scheinbaren Umlauf um die Erde im Aequator mit gleichförmiger Geschwindigkeit ausführt; diese Sonne nennt man die mittlere Sonne und die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden Kulminationen derselben einen mittleren Tag (zum Unterschied mit dem wahren Tag) und ihren Stundenwinkel für einen bestimmten Moment und Ort die mittlere Zeit. Den Unterschied zwischen wahrer Zeit und mittlerer Zeit nennt man die Zeitgleichung (s.d.).

Da die Ortszeiten verschiedener Orte sich um deren Längendifferenzen unterscheiden, wird man im gleichen absoluten Moment an verschiedenen Orten verschiedene Zeitangaben haben. Das ist in manchen technischen, der Allgemeinheit weiterer Ländergebiete dienenden Betrieben (z.B. Eisenbahn-, Telegraphenbetrieb) unbequem. Deshalb hat man schon seit den 1880er Jahren danach gestrebt, diese Zeitangaben zu vereinheitlichen. Solche Vorschläge sind von verschiedenen Seiten ausgegangen, vor allem von dem Amerikaner Fleming (Toronto) [1], Sie haben schließlich dazu geführt, für bestimmte Gebiete der Erde Einheits- oder Zonenzeiten anzunehmen (die Einführung einer für die ganze Erde gültigen Einheitszeit, etwa der Greenwichzeit, ist nicht durchgedrungen). Diese Zonenzeiten sind derart gewählt, daß sie den genauen Ortszeiten für Meridiane entsprechen, die um je 15°= 1h von dem Greenwicher Meridian abstehen. Die entsprechenden Zonenzeiten unterscheiden sich also auch immer um je eine volle Stunde. Für Europa kommen in Betracht die westeuropäische Zeit (Greenwichzeit selbst, England, Belgien, Niederlande); die mitteleuropäische Zeit (Deutschland, Italien, Oesterreich-Ungarn, Norwegen und Schweden, Dänemark u.s.w.), sie entspricht der Ortszeit eines Meridians, der in der Nähe von Stargard vorübergeht; die osteuropäische Zeit (weltliches Rußland, Bulgarien, örtliche Türkei u.s.w.), sie entspricht bis auf eine Minute genau der Petersburger Zeit. Frankreich rechnet noch nach Pariser Zeit, die um sehr nahe 9m 21s der westeuropäischen Zeit vorgeht. – Dem Vorschlag, auch den astronomischen Tag ebenso wie den bürgerlichen um 12h mitternachts beginnen zu lassen, hat der größte Teil der Astronomen nicht zugestimmt, da sonst die doch zumeist in die Nachtzeit fallenden Beobachtungszeiten sehr oft in unbequemer Weise ein verschiedenes Datum tragen müßten.

Als Einheit für alle Zeitmessungen gilt der Sterntag oder auch der mittlere Tag, denn das Zeitintervall, welches verstreicht zwischen zwei aufeinander folgenden Kulminationen desselben Punktes am Himmel (also, wenn auch nicht ganz streng, zwischen zwei Kulminationen desselben Fixsternes), ist, so weit man bisher hat nachweisen können, konstant. Der Zeitabschnitt eines Tages ist aber für die Messung langer Zeiträume zu kurz, d.h. man müßte diese nach vielen; Tausenden von Tagen angeben, und für sehr kleine Zeitintervalle zu lang. Man faßt deshalb eine gewisse Anzahl von Tagen (7) wieder zu Wochen, 30 resp. 31 zu Monaten und 365 resp. 366 zu dem Intervall eines Jahres zusammen. Und anderseits teilt man die Stunde in 60 Minuten zu 60 Sekunden. (Früher unterschied man auch noch sogenannte Tertien, die aber wieder ganz zugunsten der dezimalen Teilung der Sekunde abgekommen sind.) Der Begriff des Jahres und in gewisser Weise auch der des Monats decken sich im allgemeinen nicht ganz mit einer ganzen Anzahl von Tagen, weil wir unter einem Jahr zunächst das Zeitintervall verstehen, während dessen sich die Erde einmal um die Sonne bewegt hat, und unter Monat auch wohl die Zeit von einem Neumond bis zum nächsten (synodischer Monat). Wegen der näheren Erläuterung der Begriffe Jahr und Monat muß aber hier auf die betreffenden Artikel verwiesen werden. Die Zeitrechnung bei den verschiedenen Völkern ist sehr verschieden und damit auch die Datierung derselben Tage im Laufe der Zeit. Es mag hier nur an die Kalenderrechnung der Russen, der Juden, der moslemitischen Völker u.s.w. erinnert werden. Angaben über die synonymen Bezeichnungen für die gleichen Tage, finden sich in den Kalendern und in den astronomischen Jahrbüchern. Die Grundsätze, nach denen diese verschiedenen Datierungen erfolgen, lehrt die Kalenderwissenschaft, die Chronologie, s. [2]–[4]. Als zweckmäßig gewähltes Zwischenglied für die Umwertung der einzelnen Kalenderrechnungen ineinander benutzt man die sogenannte Julianische Periode. So nennt man die Festsetzung nach Joseph Scaliger,[976] der 19 × 28 × 15 = 7980 Jahre so nannte (diese Zahlen entsprechen bestimmten, in der Chronologie eine Rolle spielenden Jahresperioden) und das erste Jahr dieser Periode auf das Jahr 76 – (9 × 532) ansetzte. Das entspricht dem Jahr – 4712 oder 4713 v. Chr., so daß alle Daten, die sich noch irgendwie auf historische Ereignisse beziehen, nach dem Beginn dieser Periode fallen. Der 1. Januar 1900 entspricht dem 2415021. Tage und der 1. Januar 1910 dem 2418673. Tage der Julianischen Periode. – Die Bestrebungen zwecks Einführung der Dezimalteilung des Tages haben noch wenig Anklang gefunden und dürften gegenwärtig noch viel weniger Aussichten auf allgemeine Einführung haben, wie die schon für viele Zwecke eingeführte Dezimalteilung des Quadranten, obgleich in beiden Fällen die Zweckmäßigkeit besonders für die Technik des Rechnens unverkennbar ist und auch kaum mehr bestritten wird. Es sind rein praktische Erwägungen oder eine direkte Abneigung gegen solche Neuerungen, die der allgemeinen Einführung noch im Wege stehen.

Mit der Festlegung bestimmter Zeitmomente und mit der Kontrolle der dazu dienenden Uhren (Pendeluhren, Chronometer, Taschenuhren u.s.w.) hat sich die Theorie und Praxis der Zeitmessung zu beschäftigen. Es wird im allgemeinen Sache der Astronomen sein, genaue Bestimmungen der in einem gegebenen Moment geltenden Zeit auszuführen, denn nur mittels Beobachtungen an Gestirnen oder wohl auch der Sonne lassen sich in direkter Weise solche Bestimmungen ausführen. Es gibt aber auch eine Anzahl einfacher Instrumente und gewisse Methoden, die erhebliche astronomische Kenntnisse nicht voraussetzen. Dahin gehören die Beobachtungen an Sonnenuhren, die, wenn sie richtig gebaut sind, sofort die wahre Sonnenzeit W und sodann mit Hilfe der Zeitgleichung Z die mittlere Zeit M nach der Beziehung M = W + Z liefern. Da die Kurve der scheinbaren täglichen Bewegung der Fixsterne zum Meridian symmetrisch ist, so werden gleichen Höhen der Gestirne über dem Horizont (oder gleiche Zenitdistanzen) auch gleichen Abständen vom Meridian vor und nach der Kulmination, also gleichen Stundenwinkeln entsprechen. Hat man also nach einer Uhr mit Hilfe eines Chronodeiks oder ähnlicher einfacher Instrumente oder mittels eines Sextanten oder Universalinstruments die Momente solcher gleicher Höhen ermittelt, so wird die halbe Summe der beiden Zeitangaben t1 und t2 dem Moment entsprechen, wenn das Gestirn den Meridian passierte; dabei ist nur vorausgesetzt, daß die Uhr während der Zwischenzeit einen gleichmäßigen Gang hatte. Im Moment des Meridiandurchganges muß aber eine richtig nach Sternzeit gehende Uhr so viel anzeigen, als der beobachtete Stern Rektaszension (α) besitzt. Kann man also diese aus einem Jahrbuche (Ephemeride) entnehmen, so ist der Fehler der Uhr Δ u bestimmt durch die einfache Gleichung Δ u = α – (t1 + t2) : 2. Diese Methode der Zeitbestimmung, die man in der Astronomie mit dem Namen der »korrespondierenden Höhen« bezeichnet, ist auch bei sorgfältiger Beobachtung mit guten Instrumenten einer großen Genauigkeit fähig, und sie ist vor allem deshalb von großer Bedeutung, weil sie keinerlei Kenntnis andrer Elemente, namentlich nicht die der geographischen Breite des Beobachtungsortes erfordert. Auch auf die Sonne läßt sie sich anwenden, nur muß dann der Veränderung der Deklination der Sonne während der Zwischenzeit der beiden Beobachtungen Rechnung getragen werden. Das geschieht mit Hilfe der sogenannten »Mittagsverbesserung« sind die beiden Beobachtungen nicht am Vor- und Nachmittag, sondern am Nach- und Vormittag gemacht, so tritt an die Stelle des Mittags die Mitternachtsverbesserung, die sich von der ersteren nur durch den konstanten Faktor f = (12 – τ) : τ unterscheidet – wo τ das Supplement der halben Zwischenzeit zu 12 Stunden bedeutet. Die Mittagsverbesserung hat die Form


Zeit

wo Δ δ die stündliche Veränderung der Sonnendeklination, φ die geographische Breite, δ die Deklination und A und B die von dem Stundenwinkel abhängigen Größen t : 15 sin t resp. t : 15 tg t bedeuten. Die letzteren Größen sind in dieser oder ähnlicher Form in vielen astronomischen Tafelsammlungen mit t als Argument gegeben [5].

Ganz ohne Instrumente, aber allerdings mit Aufwendung erheblicher Rechenarbeit, kann man Zeitbestimmungen dadurch vornehmen, daß man den Durchgang eines Gestirnes durch zwei etwa durch zweckmäßig aufgehängte Fäden bestimmte Vertikalebenen oder den mehrerer Gestirne durch eine solche Ebene [6] oder eines Sternes durch eine Ebene von bestimmtem Azimut beobachtet [7]. Diese Methoden sind sehr schön, sie werden aber nur zur Anwendung gelangen, wenn andre Möglichkeit, eine Zeitbestimmung zu erhalten, nicht gegeben ist. Auch die Beobachtungen der Uhrzeiten, zu denen verschiedene Sterne die gleichen Höhen erreichen, liefern gute Zeitbestimmungen und sind, abgesehen von dem Gaußschen Problem der drei gleichen Höhen, in neuerer Zeit mehrfach zur Anwendung gelangt [8]. Stehen bessere Instrumente zur Verfügung, so können Zeitbestimmungen mittels Messungen von Zenitdistanzen von Gestirnen mit Vorteil ausgeführt werden. Wenn bei den bisher genannten Methoden die Teilungen an Kreisen keine Rolle spielten, so ist das bei diesen Messungen aber der Fall und ihre Resultate sind von der Güte der Teilungen abhängig und auch von der Güte der Instrumente im allgemeinen, da die Messungen in beliebigen Zenitdistanzen erfolgen können (innerhalb durch die Praxis gebotener Grenzen, etwa zwischen 25 und 70°), s. Höhenwinkelmessung. Aus den Zenitdistanzen z findet sich dann der Stundenwinkel t des beobachteten Gestirns nach den Formeln cos t = cos z/cos φ cos δ – tg φ tg δ, oder für logarithmische Rechnung bequemer


Zeit

Ist t gefunden, so hat man für die Uhrkorrektion Δ u wieder die Beziehung: Δ u = α + tU, wo dann U die zu der gemessenen Zenitdistanz gehörige Uhrangabe ist. – Ist der Stern im[977] Ollen des Meridians beobachtet, rechnet man t zweckmäßig negativ. Für genauere Bestimmungen beobachtet man natürlich nicht nur ein z, sondern 4–6, aber es m durchaus zweckmäßig, die t einzeln zu berechnen.

Die genaueste Methode der Zeitbestimmung ist aber die aus Meridiandurchgängen, welche an einem transportablen oder festaufgestellten Durchgangsinstrument ausgeführt werden. Ist das Durchgangsinstrument (s.d.) so aufgestellt, daß seine Absehnslinie sehr nahe im Meridian liegt, so werden die Durchgänge einer Anzahl (zwei würden ausreichen) richtig ausgewählter Gestirne genügen, die Abweichung der Absehnslinie vom Meridian und die Uhrangabe für den Durchgang durch den Meridian selbst scharf zu bestimmen, wenn anderweitig die Neigung der Umdrehungsachse gegen den Horizont und der Winkel zwischen dieser Achse und der Absehnslinie (der Kollimationsfehler +90°) bestimmt sind, was durch Messungen an irdischen Objekten bezw. durch die Libelle oder den Quecksilberhorizont geschehen kann. Zwischen der Uhrangabe U, dem Fehler der Uhr Δ u, und der Rektaszension eines beobachteten Gestirns besteht dann wieder die einfache Relation Δ u = αUick, wo Uick die wegen der Fehler des Instruments korrigierte Uhrangabe, also diejenige sein wird, welche man an einem vollkommen berichtigten Instrument beobachtet haben würde. (Es ist hierzu das über die Mayersche Formel im Art. Durchgangsinstrument Gesagte zu vergleichen.) In einem solchen Instrument ist dann nicht nur ein Faden, sondern eine ganze Anzahl ausgespannt, um dadurch genauere Angaben zu erhalten.

Die Genauigkeit, welche mit solchen Instrumenten einer Zeitbestimmung gegeben werden kann, beträgt durchschnittlich ± 0,02 Sekunden; sie ist weniger abhängig von der Größe des Instruments als vielmehr von der Sicherheit seiner Aufstellung und vor allem von der Sorgfalt und Geschicklichkeit des Beobachters, mit der er die jeweiligen Fehler des Instruments zu bestimmen vermag. Bei der Ausführung solch genauer Beobachtungen spielen sehr viele Umstände, auf die man sonst nicht zu achten braucht, eine Rolle, besonders auch Fehler, die durch die Unvollkommenheit unsrer Sinne herbeigeführt werden (physiologische Fehler). Dahin gehört z.B. der Unterschied in der Auffassung eines Sterndurchganges durch einen Faden im Gesichtsfeld des Instruments durch das Auge und der Wahrnehmung der Schläge der Beobachtungsuhr durch das Ohr oder der Abgabe des den Durchgang auf einem Chronographen (s.d.) markierenden Zeichens durch die Hand. Auch die verschiedene Helligkeit der Gestirne bedingt solche Auffassungsfehler. Man hat durch Einführung bestimmter Beobachtungsmethoden und besonders konstruierter Mikrometer (Repsoldsches unpersönliches Mikrometer) dergleichen Fehler zu eliminieren versucht, und bis zu einem gewissen Grade ist das auch gelungen. Auch die Bestimmung des wirklichen Betrages solcher Fehler (persönliche Gleichung) ist von Interesse, um ihre Konstanz beurteilen und eventuell ihren Einfluß in Rechnung ziehen zu können [9].

Auch außerhalb des Meridians lassen sich mit Hilfe der Durchgangsinstrumente zweckmäßigerweise Beobachtungen zur Zeitbestimmung anstellen (Beobachtungen im Vertikal des Polarsternes [10]), auf die aber hier nicht weiter eingegangen werden kann; es muß dieserhalb auf die Lehrbücher der sphärischen Astronomie von Chauvenet, Brünnow, Herr u.a. verwiesen werden. – Der Laie und auch der Astronom ist nicht in jedem Moment in der Lage, eine direkte Zeitbestimmung auszuführen. Es müssen demnach Mittel vorhanden sein, auch indirekt, mit Bezug auf eine gute Uhr, deren Stand und Gang so oft als möglich astronomisch kontrolliert wird, scharfe Zeitangaben zu erhalten. Die genaue Prüfung solcher Uhren sowie ihre sichere Aufstellung ist Sache der Sternwarten und Astronomen. Für transportable Uhren, speziell Schiffsuhren, bestehen in allen ausgedehnte Seefahrt treibenden Staaten besondere Institute zu ihrer Prüfung und Auswahl für die Schiffe. In Deutschland z.B. die Deutsche Seewarte, Abteilung IV. – Von solchen Instituten oder von bestimmten Sternwarten werden an vielen Orten, namentlich Hafenstädten, zu bestimmten Zeiten (Greenwich Mittag oder 0 Uhr Ortszeit) verabredete Signale abgegeben, durch deren Beobachtung dann jedermann seine Uhr kontrollieren kann (Zeitballstationen, Signalschüsse u.s.w. Ein genaues Verzeichnis über solche Signalstationen mit allen zugehörigen Angaben enthält z.B. das Nautische Jahrbuch, herausgegeben vom Reichsamt des Innern, und andre ähnliche nautische Ephemeriden und Tafelsammlungen).

Uebertragungen von Uhrsignalen werden einmal zur Regulierung des Standes von Uhren an verschiedenen Orten ausgeführt, dann aber werden sie bei geodätischen Arbeiten zur Bestimmung des Längenunterschiedes benutzt (s. oben). Man kann derartige Uebertragungen durch optische und elektromagnetische Signale mit Vorteil bewirken, z. B, werden solche Signale von Berlin aus jeden Tag allen Telegraphenämtern zu bestimmter Stunde gemeinsam gegeben. Auch die Hamburger Sternwarte hat in neuester Zeit einen solchen für Private nutzbaren automatischen Zeitsignaldienst eingerichtet [11]. – Zu Arbeiten dieser Art hat man neuerdings auch die drahtlose Telegraphie verwendet und zwar, wie die Versuche von Th. Albrecht vom Kgl. Geodätischen Institut auf der Strecke Potsdam–Brocken bewiesen haben, mit sehr gutem Erfolge. Auch die Fernregulierung eines ganzen Systems von Uhren in größeren Städten kann auf elektrischem oder auch pneumatischem Wege eingerichtet werden und zwar so, daß jede Minute, jede Stunde oder auch alle Sekunden ein Regulieren der Nebenuhren erfolgt (sogenannte sympathetische Uhren oder Zifferblätter) [12]. – Werden die Zeitbestimmungen, wie es für solche von großer Genauigkeit nötig ist, mit Hilfe der Beobachtungen von Fixsternen ausgeführt, so erhält man daraus fall stets den Fehler einer nach Sternzeit gehenden Uhr. Für alle Zwecke des bürgerlichen Lebens benutzt man aber Uhren, die nach mittlerer Zeit gehen. Es ist deshalb nötig, die Sternzeitangaben in solche nach mittlerer Zeit zu verwandeln. Dazu bedarf es nur der Kenntnis, wieviel in einem bestimmten Zeitintervall, etwa dem einer mittleren Stunde, Sternzeitsekunden verstreichen. Dieses Verhältnis läßt sich leicht finden, wenn man bedenkt, daß in einem Jahre genau ein Sterntag mehr sein muß als mittlere Tage. Deren sind es aber[978] im Jahre 365 · 2422, also 366 · 2422 Sterntage. Daher ist das Verhältnis der Dauer einer Sternzeitsekunde zu einer mittleren Zeitsekunde gleich 365 · 2422 : 366 · 2422 oder wie 1 : 1.00273972, oder umgekehrt, die Dauer einer mittleren Zeitsekunde verhält sich zu der einer Sternzeitsekunde wie 1 : 0.99726957. Die astronomischen Jahrbücher und die Tafelsammlungen enthalten zweckmäßig eingerichtete Tafeln, die gestatten, auf sehr einfache Weise ein in Sternzeit gemessenes Zeitintervall in mittlerem Zeitmaß auszudrücken und umgekehrt. Will man aber die für einen bestimmten Moment gültige mittlere Zeit kennen, wenn dieser in Sternzeit angegeben ist, oder will man die Sternzeit für einen bestimmten Moment mittlerer Zeit kennen lernen, so ist dazu noch nötig, zu wissen, wieviel es um 0 Uhr mittags (mittlere Zeit) an dem betreffenden Tag Sternzeit war. Diese Angabe enthalten die astronomischen Jahrbücher für den Beginn jeden Tages, aber für 0 Uhr mittlere Zeit desjenigen Meridians, für welchen das Jahrbuch berechnet ist. Für andre Orte muß die Sternzeit im mittleren Mittag oder die Rektaszension der mittleren Sonne für deren Meridiandurchgang an diesem Orte erst berechnet werden und zwar auf Grund der Ueberlegung, daß die Aenderung der Rektaszension der mittleren Sonne in 24 Stunden mittlerer Zeit den 365 · 2422. Teil dieser Zeit selbst, nämlich 3m56s.56 oder pro Stunde 9s.86 beträgt; 1 mittlerer Tag (gleich 24h mittlere Zeit), ist also gleich 1 Sterntag + 3m56s.56 Sternzeit, 1 Sterntag (gleich 24h Sternzeit) ist also gleich 1 mittlerer Tag – 3m55s.91 mittlere Zeit. Die »Connaissance des Temps« gibt z.B. für den 7. Oktober 1909 als Sternzeit im mittleren Mittag für Paris 13h1m56s.30; daraus findet man die Veränderung der Sternzeit für den mittleren Mittag desselben Tages für Göttingen = (30m.4 × 9s.86)/60 = 5s.00 und die Sternzeit selbst für den mittleren Mittag des 7. Oktober für Göttingen gleich 13h1m56s.30 – 5s.00 = 13h1m51s.30, weil Göttingen sehr nahe 30m.4 östlich von Paris liegt. Wollte man die Sternzeit für 6h3m50s mittlere Zeit Göttingen für diesen Tag wissen, so hätte man noch die seit dem mittleren Mittag verstrichenen, in mittlerer Zeit ausgedrückten 6h3m50s.0 in Sternzeit zu verwandeln und diesen Betrag zur Sternzeit im mittleren Mittag zu addieren, man findet also:


Zeit

(Die Verwandlung der 6h3m50s.0 in Sternzeit ist mit den erwähnten Hilfstafeln gemacht.) – Umgekehrt würde man erhalten für 1909 Oktober 10 18h0m0s Sternzeit als Angabe in mittlerer Ortszeit wiederum für Göttingen:


Zeit

Literatur: [1] Fleming, S., Uniform now local Time (Terrestrial Time), London 1878, u. Papers on Time, reckoning and the selection of a prime Meridian, Report of the United States Nat. Museum s. 1886; Förster, W., Ortszeit und Weltzeit, Berlin 1884; Hammer, E., Meridian und Weltzeit, Hamburg 1888. – [2] Wislicenus, W., Astronom. Chronologie, Leipzig 1895. – [3] Ginzel, F.K., Handbuch der mathem. und technischen Chronologie, Bd. 1, Leipzig 1906; Neuausgabe von L. Idelers Handbuch gleichen Namens, Berlin 1825 und 1826. – [4] Schram, R., Hilfstafeln zur Chronologie, Wien 1883. – [5] Albrecht, Th., Formeln und Hilfstafeln zur geographischen Ortsbestimmung, 4. Aufl., Leipzig 1909; Ambronn-Domke, Astronom.-geodätische Hilfstafeln, Berlin 1909. – [6] Harzer, P., Ueber geographische Ortsbestimmung ohne Instrumente, in Petermanns Mitteilungen, Gotha 1896, Ergänzungsheft 123. – [7] Wislicenus, W., Handbuch der geographischen Ortsbestimmungen, Leipzig 1891; über die mit einfacheren Instrumenten auszuführenden Zeitbestimmungen ist auch besonders nachzusehen: Jordan, Grundzüge astronom. Zeit- und Ortsbestimmung, Berlin 1885, sowie auch die Lehr- und Handbücher der sphärischen Astronomie. – [8] Stechert, C., Die Zeitbestimmung aus gleichen Höhen, Hamburg 1898; aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. – [9] Die bezüglichen Instrumente zur Bestimmung der persönlichen Gleichung sind ausführlich beschrieben in Ambronn, Handbuch der astronomischen Instrumentenkunde, Berlin 1898. Neuerdings sind die unpersönlichen Mikrometer auch wieder mit geeigneten Uhrwerken versehen worden von Fr. Cohn (früher Königsberg); vgl. Königsberger Beob., Abt. 42 (1909) und Astr. Nachr., Bd. 157, S. 357. – [10] Zeitbestimmung mittels des tragbaren Durchgangsinstr., zwei Abhandlungen von Döllen, 1863 und 1874. – [11] Mitteilung über ein von der Hamburger Sternwarte abgehendes Zeitsignal, Astronom. Nachr., Nr. 4355 (Bd. 182, Nr. 11), 1909. – [12] Ambronn, 1. c, Bd. 1, Kap. Uhren, S. 163 ff.

Ambronn.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 976-979.
Lizenz:
Faksimiles:
976 | 977 | 978 | 979
Kategorien:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon