[600] Photogrammetrie. Die Fortschritte der Stereophotogrammetrie haben Vorrichtungengeschaffen, welche die Rechenarbeiten verringern oder sogar ganz entbehrlich machen und die Angaben des stereoskopischen Plattenpaares mehr oder weniger selbsttätig auf die wagerechte Zeichenfläche übertragen. Die vollkommenste ist der von v. Orel erfundene und durch das Zeißwerk in Jena ausgeführte Stereoautograph. Mit dem Unterbau des Stereokomparators, s. Bd. 7, S. 116, ist eine Zeichenplatte verbunden. Der Komparator ist etwas anders eingerichtet wie die ältere Form, die dort beschrieben worden ist (s. die Figur). Der Hauptschlitten A mit der linken Platte wird auch jetzt durch die Schraube H in seiner Längsrichtung verschoben. Dagegen verstellt die Schraube V nicht auch den Hauptschlitten, sondern den Schlitten B mit den Mikroskopen rechtwinklig dazu. Die Schraube U zum Messen der stereoskopischen Parallaxe fehlt.
Der Hauptschlitten trägt noch den Nebenschlitten C mit der rechten Platte. Dieser nimmt an der Bewegung des Hauptschlittens teil, kann aber auch noch für sich mit der Schraube T in gleicher Richtung verschoben werden. Die wesentlichsten Teile der Zeichenvorrichtung sind zwei gerade Hebel 1 und 2, ein Kniehebel 3 und zwei Schienen 4 und 5. Die Hebel drehen sich um die Achsen I, II und III und werden durch die drei Schlitten bei F1, F2 und F3 geführt. Durch leichtes Umformen der Formeln in Bd. 7, S. 117, erhält man die Beziehungen X : S = x : d, ∆ h : S = y : d und S : k a = (d : k) : e. Gelten nun X, S und ∆ h nicht als die natürlichen Größen, sondern als Größen der Kartenzeichnung in verjüngtem Maßstabe, so veranschaulichen diese Beziehungen ohne weiteres den Vorgang des Zeichnens, k ist eine Unveränderliche, die eingeführt worden ist, um zu spitze Schnitte zwischen dem Hebel 3 und der Schiene 5 zu vermeiden. Wenn die beiden Mikroskopmarken über den gleichen Punkten p und p' der beiden Platten stehen, so bezeichnen der Hebel 1 die Seitenrichtung und der Hebel 2 die Höhenrichtung. Die Schiene 4 steht dann im Abstande S von der Ebene durch die drei Achsen I, II und III. Dadurch werden, wie die Figur zeigt, die Lage von P und der Höhenunterschied ∆ h bestimmt. Der natürliche Wert von ∆ h wird an einem Maßstabe abgelesen. Man kann den Maßstab aber auch so verstellen, daß er unmittelbar die Höhe von P über einer Ausgangsfläche angibt. Es ist nun nicht nur möglich, jeden Geländepunkt, der auf dem Plattenpaare abgebildet ist, auf der Zeichenfläche darzustellen und seine Höhe zu ermitteln, sondern auch jede Linie, die im Stereobilde sichtbar ist, abzubilden und schließlich auch die Höhenlinien nach dem Anblicke des im Stereoskop betrachteten Geländebildes zu zeichnen. Durch Drehen der Schrauben H und T führt man die Marke des Stereoskops so, daß ihre Spitze scheinbar die Geländeoberfläche berührt. Wenn eine Höhenlinie gezeichnet werden soll, wird die Haltung des Hebels 2 durch die Klemmschraube K an dem Punkte des Maßstabes festgeklemmt, der die Höhenlage der Linie angibt. Der Hebel selbst gleitet unter dem Maßstabe. Auch kann noch die perspektivische Ansicht der Höhenlinie auf ein Abbild der linken Platte übertragen werden, das auf dem Hauptschlitten befestigt ist. von Orel gibt an, daß sich bei einiger Uebung Unterschiede in der Lage mehrmals gezeichneter Linien von mehr als 0,2 mm vermeiden lassen. Als Beispiel für die Schnelligkeit des Verfahrens sei erwähnt, daß die Wiedergabe eines Gebietes der Oetztaler Alpen von etwa 20 qkm in 1 : 25000 nur 2 Tage Feldarbeit und 16 Stunden Hausarbeit erfordert hat. Der Stereoautograph hat den älteren Stereoplotter von Thompson, der etwa nach gleichen Grundsätzen gebaut ist, die Aufgabe der selbsttätigen Uebertragung aber nicht so vollständig löst, überholt. Da der Stereoautograph der hohen Kosten wegen nicht von jedem beschafft werden kann, der sich mit der Photogrammetrie beschäftigt, werden die einfachen Auftragevorrichtungen, welche z.B. Pulfrich und v. Hübl verwenden, ihre Bedeutung behalten. Näheres s. [1][7]. Während die Platten bei der Aufnahme bis jetzt in einer Ebene stehen müssen, eröffnet Pulfrich in [6] und [7] die Aussicht, demnächst auch mit gleichmäßig verschwenkten[600] und beliebig zur Standlinie gerichteten Platten aufnehmen zu können. Ueber Instrumente s. [8][10]; in [10] findet man auch eine reiche Literaturangabe. Wegen einer Küstenaufnahme in Spitzbergen s. [11]. Besprechung des älteren photogrammetrischen Verfahrens in [12].
Die Photographie von einem Erdstandpunkte aus gibt einen Aufriß des Geländes. Die Karte soll dagegen den Grundriß darstellen. Im Aufriß verdeckt der Vordergrund häufig den Hintergrund, jedoch um so weniger, je höher der Standpunkt lag. Darum verlegt man den Aufnahmeort in die Luft und photographiert abwärts. Mittel, die Kammer in große Höhe zu heben, sind die Rakete, der Drachen, der Fesselballon, der bemannte Freiballon, das lenkbare Luftschiff und das Flugzeug. Auch ist schon versucht worden, kleine Kammern durch Brieftauben zu heben. Für ausgedehnte Geländeaufnahmen durch Photogrammetrie aus der Luft werden die wichtigsten Mittel in Zukunft der Freiballon und das Luftschiff, vielleicht auch das Flugzeug sein. Da der Gesichtswinkel einer einzelnen Kammer nur klein ist, haben Thiele in Moskau und Scheimpflug (+ 1911) in Wien Panoramaapparate gebaut mit erheblich größeren Gesichtswinkeln, bis zu 140° beim Scheimpflugschen Apparate. Um eine Mittelkammer mit wagerechter Platte sind sechs oder lieben Seitenkammern mit geneigter Platte gleichmäßig verteilt und fest gelagert. Bei einem Gesichtswinkel von 140°, einer Objektivbildweite von 90 mm und einer Aufnahmehöhe von 2250 m ist die Größe der Panoramafläche z.B. etwa 10000 ha = 100 qkm. Die mit wagerechter Platte aufgenommene Photographie eines wagerechten, ebenen Geländes ist eine naturbildtreue Karte. Ihr Maßstab ist gleich dem Verhältnisse der Bildweite zur Aufnahmehöhe, in dem eben angegebenen Beispiele 1 : 25000. Liegt die Platte nicht wagerecht, so müssen die Verzerrungen im Bilde der geneigten Platte beseitigt werden. Mit Scheimpflugs Photoperspektographen kann das Bild der geneigten Platte in ein wagerechtes umphotographiert werden entweder nach Einstellen des Photoperspektographen, wenn die Größe und Richtung der Neigung bekannt sind, oder durch optische Koinzidenz eingemessener und auf einer Mattscheibe vorgezeichneter Geländepunkte. Scheimpflug berechnete die Konstanten seines Apparates, d.h. die Lage der Rahmenmarken der Seitenkammern zur Objektivachse der Mittelkammer, nach Sternhimmelaufnahmen. Durch den Photoperspektograph werden die Einzelbilder des Panoramaapparats in die Ebene des Mittelbildes umgeformt. War dieses auf einer wagerechten Platte aufgenommen, so erhält man ein wagerechtes Vogelschaubild, sonst ein geneigtes. Das geneigte Vogelschaubild oder eine ganze Gruppe solcher Bilder, die einander übergreifen, können auf wagerechte umphotographiert werden nach der Lage von mindestens drei, besser von mehr trigonometrisch festgelegten Geländepunkten, und zwar gleichzeitig in dem gewünschten Kartenmaßstabe. Bei der Aufnahme wird die Mittelplatte so gut wie möglich nach Libellen wagerecht gestellt. Auch die Aufnahmehöhe wird dem Kartenmaßstabe nahezu angepaßt. Um stereophotographische Bilder zu erlangen, ist es nötig, daß jeder Geländeteil von zwei verschiedenen Punkten aufgenommen wird, wobei die Aufnahmen sich zur Hälfte übergreifen müssen. Nachdem die Aufnahme durch den Photoperspektograph in wagerechte und geodätisch orientierte Vogelschaubilder umgewandelt worden sind, werden Höhenschichtenpläne des Geländes im Vogelschaubilde selbst und in rechtwinkliger Projektion gezeichnet, entweder ohne besondere Instrumente oder, wenn stereophotographische Bilder vorliegen, mit Hilfe des Stereokomparators. In [13] hat Scheimpflug die Verfahren beschrieben und mathematisch begründet. Im Vogelschaubilde eines unebenen Geländes sind die hoch gelegenen, dem Aufnahmeorte näheren Geländeteile in einem größeren Maßstabe abgebildet als die tief gelegenen. Die einzelnen Höhenschichten müssen daher noch auf den gleichen Maßstab umgebildet werden. Dies geschieht mit dem photographischen Zonentransformator, in dem die einzelnen Zonen des perspektivischen Schichtenplanes des Vogelschaubildes mit dem Schichtenplane der rechtwinkligen Projektion zur Deckung gebracht werden. Näheres s. [14] und [15]. Thiele führt die perspektivischen Bilder der Seitenkammern in die wagerechte Ebene der Mittelplatte über durch das Perspektometer. Dies ist ein Diapositiv mit einem perspektivischen Netze gerader Linien, das der Größe und Richtung der Neigung der Seitenplatten und einem Quadratnetze in der wagerechten Projektion entspricht. Wenn die Horizontale und die Hauptvertikale des Perspektometers die gleichen Linien des geneigten Bildes decken, können die Geländepunkte im perspektivischen Netze ausgemessen werden [16]. Gasser ist damit beschäftigt, die stereophotogrammetrische Aufnahme vom starren Luftschiff aus durchzubilden. Doležal hat schon 1909 ein solches Verfahren vorgeschlagen. An beiden Enden des Luftschiffes im scharf bestimmbaren Abstande von etwa 100 m, der Basis, wird je eine Kammer aufgehängt, deren Platten im Augenblicke der Aufnahme elektromechanisch in gleicher Höhe wagerecht gerichtet werden [3], [4]. Um die mathematische Behandlung der Photogrammetrie hat sich besonders Finsterwalder verdient gemacht. Von seinen zahlreichen Abhandlungen s. hier z.B. [17]. Die Photogrammetrie aus der Luft hat schon gute Erfolge zu verzeichnen, steht aber noch im Anfange ihrer Entwicklung. Es kann erwartet werden, daß sie später an den geodätischen Messungen bedeutenden Anteil nehmen wird. So hat Scheimpflug in [18] vorgeschlagen, die Kolonialvermessungen durch Ballonaufnahmen zu beschleunigen und zu verbilligen. Er veranschlagte die Kosten der topographischen Aufnahme von Deutsch-Südwestafrika in 1 : 25000 ausschließlich Triangulation zu 200 bis 250 Millionen Mark, dagegen die Kosten der Ballonaufnahme in 1 : 10000 zu 43 Millionen Mark und in 1 : 20000 zu 13 Millionen Mark, beide ausschließlich Triangulation, die Ausführungszeiten zu 150, bezw. 13 und 34 Jahren. Leider ist es ihm nicht vergönnt gewesen, an einer ausgedehnten Vermessung zu zeigen, was seine Ballonaufnahmen leisten können.
Literatur: [1] Der Stereoautograph: Mitt. d. k. k. militärgeogr. Inst., 30. Bd., Wien 1911, S. 62; von Orel. Petermanns Mitt. 1911, 2. Bd., S. 92; v. Steeb. Internat. Arch. s. Photogrammetrie, 3. Bd., S. 38; Doležal. Zeitschr. f. Verm. 1913, S. 7; Eggert. [2] Mitt. a. d. Markscheiderw.[601] 1912, S. 146; Fuhrmann, Die Photographie im Dienste des Messers. [3] Zeitschr. d. Ver. d. Höh. Bayer. Vermessungsbeamten 1911, S. 191; Gasser, Die aeronautische Ortsbestimmung. [4] Ebend. 1912, S. 355; ders., Studien zu einer aerogeodätischen Landesaufnahme. [5] Internat. Arch. f. Phot., 2. Bd., S. 75; Pulfrich, Ueber den Gebrauch der von mir angegebenen Hilfsmittel für die Kartierung bei stereophotogrammetrischen Aufnahmen. [6] Ebend., 3. Bd., S. 89; ders., Ueber eine einfache Vorrichtung zur Demonstration der Kurven gleicher Parallaxe. [7] Ebend., S. 157; ders., Ueber die Konstruktion der Lage und der Höhe eines Punktes nach stereophotogrammetrischen Aufnahmen mit gleichmäßig nach links oder rechts verschwenkten horizontalen Achsen. [8] Ebend., S. 59; Doležal, Instrumentelle Neuerungen. [9] Ebend. 2. Bd., S. 79; Dokulil, Neue Instrumente für die photogrammetrische Aufnahme von Baudenkmälern. [10] Weiß, Die geschichtliche Entwicklung der Photogrammetrie und die Begründung ihrer Verwendung für Meß- und Konstruktionszwecke, Stuttgart 1913. [11] Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdkunde 1908, S. 599; von Bock, Versuch photogrammetrischer Küstenaufnahmen gelegentlich einer Spitzbergen-Expedition im Sommer 1907. [12] von Neumayer, Anleitung z. wissensch. Beobachtungen auf Reifen, 3. Aufl., Hannover 1905, 1. Bd.; Finsterwalder, Die Photogrammetrie als Hilfsmittel der Geländeaufnahmen. [13] Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien, 116. Bd., Abt. II a, 1907; Scheimpflug, Die Herstellung von Karten und Plänen auf photographischem Wege. [14] Internat. Arch. f. Phot., 2. Bd., S. 34; ders., Ueber Orientierung von Ballonaufnahmen. [15] Ebend., 3. Bd., S. 196; Kammerer, Th. Scheimpflugs Landvermessung aus der Luft. [16] Ebend., 1. Bd., S. 35; Thiele, Métrophotographie aérienne à l'aide de mon Auto-Panoramographe. [17] Sitzungsber. d. Kgl. Bayer. Akad. d. Wissensch., 22. Bd., 2. Abt., S. 223; Finsterwalder, Eine Grundaufgabe der Photogrammetrie und ihre Anwendung bei Ballonaufnahmen. [18] Denkschr. der I. internat. Luftschiff-Ausst., Frankfurt 1909, I, S. 177; Scheimpflug, Die technischen und wirtschaftlichen Chancen einer ausgedehnten Kolonialvermessung.
Hillmer.
Buchempfehlung
Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.
146 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro