[442] Dämon (griech.), Bezeichnung für Mittelwesen zwischen Gottheit und Menschen, teils guter, teils böser Natur. Die religiöse Phantasie und Spekulation fast aller alten Völker war bemüht, die Stufenleiter von den niedrigsten Produkten der Erde bis herauf zum Menschen durch Annahme von Wesen zu ergänzen, die vom Menschen bis hinauf zur obersten Gottheit fortführten. So nahmen Ägypter, Inder, Chaldäer und Perser Dämonen in großer Zahl an; die Perser haben sogar die Dämonologie (Dämonenlehre) in ein förmliches System gebracht. Bei den Juden sind die ursprünglich schwachen Ansätze zum Dämonenglauben seit der Berührung mit fremden Völkern während des Exils zur vollsten Ausbildung gekommen. Die Geister wurden nun in gute und böse (s. Teufel) geschieden, beide in Klassen geteilt, mit Namen belegt und mit Ämtern betraut. Auf böse Dämonen führte man jede Krankheit, besonders Epilepsie und Geistesgestörtheit zurück. Dies die »unsaubern Geister« und »Besessenen« des Neuen Testaments. Noch vollständigere Ausbildung und eine erschöpfende Terminologie bildete der Gnostizismus und Kabbalismus aus, so daß es zuletzt keinen Teil der Natur und Lebensverhältnisse gab, über den man nicht Geister gesetzt hätte. Bei den Griechen bezeichnet im alten Sprachgebrauch D. die Gottheit überhaupt als waltende und auf den Menschen einwirkende Macht. Der D. ist es daher, der bald mit höherm Sinn erfüllt, bald mit Wahnsinn und Unheil schlägt, und alles hervorragende, unbegreifliche Tun wird dämonisch genannt, da es für Wirkung der [442] Gottheit galt. Indes schon früh erscheinen die Dämonen als Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen, teils als dienende Kräfte und begleitende Umgebung der einzelnen Kultgötter (wie die Satyrn und Silene des Dionysos), teils als den einzelnen Menschen zugesellte Geister, die diese von Geburt an begleiten. Der allgemeine Glaube war, daß von dem D. jedes einzelnen Gutes oder Böses komme, daß der D. des einen mächtig oder wohlwollend, der des andern schwach oder übelwollend sei; später nahmen manche auch zwei Dämonen für jeden einzelnen an, einen guten und einen bösen. Eine große Rolle spielt die Dämonologie in der neuplatonischen Philosophie, in der die Dämonen als Untergötter der Natur und allen Lebensbeziehungen vorstehen und zwischen den hilfsbedürftigen Menschen und der Gottheit vermitteln. Bei den Römern vertreten die Stelle der Dämonen die sogen. Genien (s. Genius); im Laufe der Zeit fanden bei ihnen nicht bloß die griechischen Ideen, sondern auch orientalische Aufnahme und Weiterbildung. Bei den Christen der ersten Jahrhunderte lebten nicht nur die alten heidnischen Götter als Dämonen noch lange fort, sie glaubten auch in Anlehnung an altjüdische Vorstellungen an zahlreiche auf die Menschen einwirkende, durch Menschen auch zu bannende Mittelmächte, die als gefallene Engel oder als deren Kinder von Töchtern der Menschen gedacht wurden. Alle diese Geister galten für böse und Gott wie Menschen feindlich; man hielt sie für die Urheber des Übels in der Natur (Erdbeben, Seuchen etc.) wie in der sittlichen Welt; ja, sie sind selbst die Urheber des ganzen Heidentums, wozu sie die Menschen verführt haben. Auch bei fast allen übrigen Völkern finden wir in den verschiedenartigsten Ausprägungen den Glauben an gute und böse Geister. Der Glaube an Gespenster, Kobolde, Poltergeister, Nixen, Bergmännchen, Windgeister, Werwölfe u. a., auch der gesamte Hexenglaube etc, gehört mehr oder weniger hierher. Vgl. Ukert, Über Dämonen, Heroen und Genien (Leipz. 1850); Gerhard, Über Wesen, Verwandtschaft und Ursprung der Dämonen und Genien (Berl. 1852); O. Ribbeck, D. und Genius (Kiel 1868); Lehrs, Populäre Aufsätze (2. Aufl., Leipz. 1875); Hild, Étude sur les démons (Par. 1881).