Halévy

[648] Halévy (spr. allewi), 1) Jacques François Elie Fromental, Komponist, geb. 27. Mai 1799 in Paris aus israelitischer Familie (Lévy), gest. 17. März 1862 in Nizza, von 1809 an Schüler des Pariser Konservatoriums (Berton, Cherubini), erhielt 1819 den Römerpreis (s. d.) und wurde schon 1816 Hilfslehrer und 1827 ordentlicher Lehrer für Harmonie, 1833 für Kontrapunkt und 1840 für Komposition am Konservatorium. Daneben fungierte er 1827–30 als Akkompagnist an der Italienischen Oper und 1830 bis 1845 als Repetitor an der Großen Oper. Schon 1836 wurde er Mitglied der Akademie und 1854 deren ständiger Sekretär. Von seinen mehr als 30 Opern und 2 Balletten, die er nach mehreren Ablehnungen seit 1827 auf die Bühne brachte, haben nur zwei wirklich bedeutenden und nachhaltigen Erfolg gehabt, nämlich die große Oper »Die Jüdin« (»La Juive«) und die komische Oper »Der Blitz« (»L'´Éclair«, beide 1835). Doch errang H. durch diese beiden eine Stellung in der ersten Reihe der Vertreter beider Gattungen. Nur in zweiter Linie sind neben diesen beiden die Herrschaft Halévys sowohl über ein kräftiges Pathos als über eine geistvoll pointierte leichte Beweglichkeit[648] dokumentierenden Werken zu nennen: »La reine de Chypre« (Große Oper 1841, Klavierauszug von Rich. Wagner) und die Beendigung von Hérolds »Ludovic« (Komische Oper 1833), obgleich viele Einzelnummern oder Opern (z. B. von »Guido et Ginévra«, Große Oper 1838) verdienten Beifall fanden. Im allgemeinen schrieb H. zu schwerfällig, um gegenüber Meyerbeer, Auber u. a. sich zu behaupten. Außerhalb der Bühne nur Szenen aus dem »Entfesselten Prometheus« (1849 im Conservatoirekonzert), einige Kantaten, Chorgesänge, Klaviersachen und einige Kirchenstücke (»De profundis«, 1818). Seine Gedächtnisreden auf verstorbene Akademiemitglieder erschienen gesammelt als »Souvenirs et portraits« (1861) und »Derniers souvenirs et portraits« (1863). Das unter Cherubinis Namen verbreitete Lehrbuch des KontrapunktesCours de contrepoint et de fugue«, französisch und deutsch bei Peters in Leipzig erschienen, eine neue Bearbeitung von G. Jensen, Köln 1896) ist von H. nach seinen Schulheften verfaßt. Seine Biographie schrieben sein Bruder Léon H. (2. Aufl., Par. 1863) und Pougin (das. 1865).

2) Léon, franz. Schriftsteller, Bruder des vorigen, geb. 14. Jan. 1802 in Paris, gest. 3. Sept. 1883 in St.-Germain-en-Laye, studierte Rechtswissenschaft, trat dann in Beziehungen zu Saint-Simon, zu dessen Werk »Opinions littéraires, philosophiques et industrielles« (1825) er die Einleitung schrieb, war 1831 bis 1834 Professor an der Polytechnischen Schule, bekleidete 1837–53 eine Stelle im Ministerium des Unterrichts und widmete sich dann ausschließlich der Schriftstellerei auf verschiedenen Gebieten. Er hat Gedichte (»La peste de Barcelone«, 1822; »Les Cyprès«, 1825, u. a.), Fabeln (zwei Sammlungen, 1843 und 1853), Novellen und dramatische DichtungenLe czar Démétrius«, 1829), auch Lustspiele und Vaudevilles hinterlassen und sich besonders durch ÜbertragungenPoésies européennes«, 1837; »La Grèce tragique«, 1845–61, 3 Bde.) und Bühnenbearbeitungen moderner Dramen des Auslandes (z. B. von Werners »Luther«, Shakespeares »Macbeth«, Goethes »Clavigo« u. a.) verdient gemacht. Endlich gab er auch eine Biographie seines Bruders (s. Halévy 1) heraus.

3) Joseph, franz. Orientalist und Afrikareisender, geb. 15. Dez. 1827 in Adrianopel, besuchte 1868 das nördliche Abessinien, durchforschte dann im Auftrag der Pariser Akademie 1869–70 Jemen nach sabäischen Inschriften, deren er 683, z. T. in einer vorher unbekannten Schwestersprache des Sabäischen, dem Minäischen, abgefaßt, heimbrachte. Er schrieb: »Rapport sur une mission archéologique dans le Yémen« (Par. 1872); »Essai sur la langue Agaou« (das. 1873); »Mélanges d'épigraphie et d'archéologie sémitiques« (1874); »Mélanges de critique et d'histoire relatifs aux peuples sémitiques« (1883); »Mahbéret. Recueil de compositions hébraïquesen prose eten vers« (1894); »Recherches bibliques« (1895–1901, Bd. 1 u. 2) und gibt die »Revue sémitique d'épigraphie et d'histoire ancienne« (1892 ff.) heraus.

4) Ludovic, franz. Bühnendichter und Schriftsteller, Sohn von H. 2), geb. 1. Jan. 1834 in Paris, machte sich zuerst bekannt als Verfasser der Texte zu den Offenbachschen Operetten (z. T. in Gemeinschaft mit Meilhac: »Orphée aux enfers«, 1861; »La belle Hélène«, 1865; »La vie parisienne«, 1866; »La grande-duchesse de Gérolstein«, 1867; »Les Brigands«, 1870, u. a.). Größten und nachhaltigsten Erfolg fand das ernste Pariser Sittenstück »Froufrou« (1869). Es folgten die Posse »Tricoche et Cacolet« (1872), das Lustspiel »Le mari de la débutante« (1878) u. a. Sein humoristisches Talent fand vielleicht den glücklichsten Ausdruck in den pikanten Skizzen aus dem Pariser Theaterleben: »Madame et Monsieur Cardinal« (1873) und »Les petites Cardinal« (1880), die ihn auch als seinen Beobachter und Schilderer der Pariser Sitten zeigen. Noch sind zu erwähnen: »L'Invasion« (1872), eine Sammlung von ursprünglich im »Temps« veröffentlichten Feuilletons (persönliche Erinnerungen an den Krieg von 1870/71 enthaltend), »Notes et souvenirs, 1871–1872« (1889). Außerordentlich war der Erfolg des gemütvollen Familienromans »L'abbé Constantin« (1882), der 150 Auflagen erlebte und auf der Bühne ähnliches Glück hatte. Zu erwähnen sind noch die Romane »Criquette« (1883), »Karikari« (1892), »Mariette« (1893). H. wurde 1884 Mitglied der französischen Akademie. Die mit Meilhac gemeinsam verfaßten Stücke erschienen als »Theâtre de Meilhac et H.« in 8 Bänden 1900–02.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 648-649.
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