List [2]

[607] List, Friedrich, deutscher Nationalökonom, geb. 6. Aug. 1789 in Reutlingen, gest. 30. Nov. 1846 in Kufstein, arbeitete sich vom Schreiber bis zum Oberrevisor am Oberamt in Tübingen empor, hörte seit 1816 noch akademische Vorlesungen und erhielt 1818 die dort neuerrichtete Professur für Staatskunde und Staatspraxis. Wegen seiner politischen Wirksamkeit in der Presse von der Regierung zur Rechenschaft gezogen, legte er 1819 sein Amt nieder und nahm die Stelle eines Konsulenten des Deutschen Handelsvereins an, dessen Mitbegründer er gewesen war. Von seiner Vaterstadt 1820 in die Kammer gewählt, ward L. wegen einer Petition an die Stände, die eine Reihe von Mißständen in Verwaltung und Rechtspflege rügte, im Februar 1821 seiner Stellung als Abgeordneter enthoben und 6. April 1822 zu zehnmonatiger Festungsstrafe verurteilt. Er entfloh nach dem Elsaß, kehrte aber nach dritthalbjährigem Aufenthalt daselbst und in der Schweiz in die Heimat zurück und trat seine Hast auf dem Hohenasperg an. Nach einigen Monaten aber erhielt er (1825) auf sein Nachsuchen die Erlaubnis zur Auswanderung nach Amerika, wo er sich bei [607] Harrisburg ankaufte. Er verfaßte für eine pennsylvanische Gesellschaft die Schrift »Outlines of a new system of political economy« (Philad. 1827), die bereits einige der in seinem spätern Hauptwerk entwickelten Gedanken enthielt. Nachdem er auf einem Ausflug in die Blauen Berge Pennsylvaniens ein Kohlenlager entdeckt hatte, verband er sich 1830 mit andern zu dessen Ausbeutung und behufs dieses Zweckes zur Gründung einer Eisenbahn von Tamaqua bis Port Clinton. Überhaupt entfaltete L. auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens, dessen Bedeutung er schon frühzeitig klar erkannte, eine ausgedehnte, insbes. die planmäßige Bildung ganzer Schienennetze erstrebende Tätigkeit. 1833 zum amerikanischen Konsul in Leipzig ernannt, rief er hier unter Rottecks und Welckers Redaktion das »Staatslexikon« ins Leben und wirkte durch die Presse, z. B. in der Schrift »Über ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems« (Leipz. 1833), zunächst für das Projekt der Leipzig-Dresdener Eisenbahn. Gleichwohl vermochte er bei derselben keine Anstellung zu finden. 1837 begab er sich nach Paris, von wo aus er sich an der »Allgemeinen Zeitung«, der »Deutschen Vierteljahrsschrift« etc. beteiligte. Im Frühjahr 1840 nach Deutschland zurückgekehrt, arbeitete er, jedoch ohne Erfolg, gemeinschaftlich mit Joseph Meyer (s. d. 1) in Hildburghausen für Ausbau einer Eisenbahn von Nürnberg über Bamberg, Hildburghausen, Kassel nach den Hansestädten. Ende d. J. erschien sein Werk: »Das nationale System der politischen Ökonomie« (Stuttg. 1840, Bd. 1; 7. Aufl. von Eheberg, 1884; Neudruck nach der Ausgabe letzter Hand, mit Einleitung von Waentig, Jena 1904). In diesem setzte er der Ad. Smithschen Lehre, nach der möglichst viel Tauschwerte erzielt werden müßten, seine Theorie der produktiven Kräfte entgegen, nach der jedes Volk in erster Linie seine eignen Kräfte zu heben habe, wenn auch zunächst mit Verzichtleistung auf Gewinn an Tauschwerten. Auf diesem Gedanken baute er seine Forderung des Zollschutzes für eine junge, noch aufstrebende Industrie auf. 1842 siedelte er nach Augsburg über und begründete hier 1843 sein »Zollvereinsblatt«, in dem er den Krieg gegen den Freihandel mit großem Geschick fortsetzte. Vergeblich bewarb er sich in Württemberg, wo er endlich vollständig amnestiert worden war, in Bayern sowie in Wien, wo er 1844–45 verweilte, um eine Anstellung; auch eine 1846 nach England unternommene Reise, um den in seiner Denkschrift über eine Allianz zwischen Großbritannien und Deutschland entwickelten Gedanken praktisch zu verfolgen, blieb ohne Ergebnis. Tief verstimmt und körperlich leidend suchte er auf einer Alpenreise Erholung, kam aber nur bis Kufstein, wo er seinem Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende machte. Lange entschieden bekämpft, hat L. als Verfechter des Protektionssystems in der neuern Zeit, als seine Ausführungen praktisch verwertet werden konnten, sowie als deutscher Patriot und trefflicher Schriftsteller allgemeine Anerkennung gefunden. Seine »Gesammelten Schriften« nebst seiner Biographie hat Häusser aus seinem Nachlaß herausgegeben (Stuttg. 1850–51, 3 Bde.); eine Sammlung seiner noch unveröffentlichten und zerstreuten Schriften und Korrespondenzen (im Auftrag der württembergischen Regierung) ist in Vorbereitung. Denkmäler Lists wurden in Reutlingen (1863) und Stuttgart (Bronzebüste von Stocker, 1905) errichtet; ein größeres soll 1906 in Kufstein enthüllt werden. Vgl. Goldschmidt, Friedrich L., Deutschlands großer Volkswirt (Berl. 1878); »Fr. L., ein Vorläufer und ein Opfer für das Vaterland« (2. Aufl., Stuttg. 1877, anonym); Eheberg in der Einleitung zur 7. Auflage des »Nationalen Systems« (s. oben) und Artikel »List« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«; Jentsch, Friedrich L. (Berl. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 607-608.
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