[640] Merlin (walisisch Merddin, Myrdhin), der Zauberer, eine Hauptgestalt in dem altbritischen Sagenkreis. Die ältesten Nachrichten über ihn, dessen Geburt und Leben in Dunkel gehüllt sind, finden sich in Nennius' »Historia Britonum« (8.9. Jahrh.). Hiernach stammte M., mit dem Zunamen Ambrosius (Merddin Embrys), aus Caermarthen in Wales (dem Maridunum des Ptolemäos) und besaß schon als Knabe prophetische Gabe. Er wurde um 480 vor den Britenkönig Vortigern als das endlich gefundene »Kind ohne Vater« gebracht, das dieser auf Geheiß seiner Zauberer suchen ließ, damit der bisher vergeblich versuchte Bau einer Burg durch Tränkung des Bodens mit seinem Blut gelinge; M. enthüllt ihm die Geheimnisse des Bodens und den bevorstehenden Sieg der Briten über die Sachsen. Mit romantischer Ausmalung berichtet dann über ihn die Chronik (»Historia regum Britanniae«, um 1135) des Gottfried von Monmouth, der M. aus der Vermischung eines Inkubus mit einer Nonne aus königlichem Geblüt hervorgehen läßt. Der Knabe ergeht sich in einer ausführlichen politischen Weissagung, versetzt durch Zauberkraft das Stonehenge aus Irland in die Ebene von Salisbury und bewährt sich als Sterndeuter und Berater in Schlachten. Nachdem König Uter-Pendragon zur Herrschaft gelangt ist, verhilft er ihm durch Magie zur Liebe mit der schönen Iguerne, woraus Artur entsprang, an dessen Hof M. in der Folge eine wichtige Rolle spielte (s. Artur). Mit diesem M. verschmolzen erscheint ein zweiter M. mit dem Zunamen Silvester oder Caledonius, von dem Giraldus Cambrensis (um 1180) zuerst berichtet: es ist der Barde Merddin ab Morvryn, der unter König Artur gegen die Sachsen focht, aber nach der Schlacht von Celidon. vom Wahnsinn ergriffen, in den Wald floh und darin prophezeiend bis an seinen Tod verweilte. Ihm werden einige Gedichte, namentlich »Avallenau« (»Der Apfelgarten«) und »Hoianau« (»Die Horchenden«), zugeschrieben, die sich auf jene Kämpfe beziehen sollen und in der »Myvyrian archaeology of Wales« (Lond. 1801) abgedruckt sind; tatsächlich sind es politisch-tendenziöse Dichtungen des 12. Jahrh. Überhaupt datiert erst aus dieser Zeit der europäische Ruf, den M. durch[640] fünf Jahrhunderte genoß, und den vorzugsweise drei Werke verbreiteten: 1) die »Prophetia Merlini« des Gottfried von Monmouth (hrsg. mit dem Kommentar des Alanus ab Insulis, Frankf. 1603 u. ö.), eine um 1132 in lateinischer Sprache verfaßte, später seiner Chronik einverleibte Bearbeitung seiner angeblichen Weissagungen über die Geschicke Englands; 2) die »Vita Merlini« desselben Verfassers, in Hexametern (hrsg. von Michel und Wright, Par. 1837); 3) der weitschichtige »Roman de M.« des Anglonormannen Robert de Borron, der auf Gottfried von Monmouth fußt und die Sagen vom Gral, von Joseph von Arimathia und der Tafelrunde mit hereinzieht (erhalten in Prosa, gedruckt Paris 1498; von G. Paris, das. 1888, 2 Bde., und von O. Sommer, Lond. 1894; danach Friedr. v. Schlegel: »Geschichte des Zauberers M.«, Leipz. 1804). Hier wird M. von einem Teufel mit einer reinen Jungfrau erzeugt, um durch seine Hilfe wiederzugewinnen, was Christus der Hölle entrissen, und er endet schließlich als das Opfer seiner eignen Magie, indem er von seiner Geliebten und Schülerin Viviana im Wald Brecilian in einen Hagedornbusch gebannt wird, aus dem fortan nur noch seine Stimme erklingt. Danach dichteten in England Malory und dessen moderner Bearbeiter Tennyson, bei uns Immermann (»M., eine Mythe«, 1832). In neuerer Zeit (1886) wurde der Stoff als Oper behandelt von Lipiner (Musik von Goldmark) und Hoffmann (Musik von Rüfer). Abseits steht Gottschalls Dichtung »Merlins Wanderungen« (Bresl. 1887). Vgl. Heywood, The life of M., his prophecies and predictions (Lond. 1641, neue Ausg. 1813); San Marte, Die Sagen von M. (Halle 1853), worin auch die »Prophetia« Gottfrieds von Monmouth und die »Vita Merlini« mitgeteilt sind; dela Villemarqué, Myrdhinn ou l'enchanteur M. (Par. 1861); H. Ward, Catalogue of romances (Lond. 1883); Sommers Einleitung zur Ausgabe von Malorys Morte d'Arthur (das. 188992).